Die "Eine Menschheit"
- Die "Eine Menschheit"
- Prophetische Kritik: Imperien bringen eine zerrissene Menschheit hervor
- Der kosmopolitische Optimismus und das Wahngebilde "Rassismus"
- Präzise "Globalisierungskritik" wider die Lüge des Heimatmuseums
- "Es ist nicht zu spät für eine glückliche Jugend der Menschheit"
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Über die Geschichte eines "Ideals" und seine Bedeutung für einen neuen Internationalismus, der das Leben liebt
Vorbemerkung: "Internationalismus" ist für die Linke kein beliebiges, sondern ein zwingend notwendiges Erkennungsmerkmal. Wo er fehlt, ist keine Linke anzutreffen, ganz gleich was auf den Bannern stehen mag. Mehr denn je kann als "Linke" heute nur jener Bewegungsstrom gelten, der im gleichen Atemzug Partei ergreift mit und für den verachteten Menschen in der Nähe und an allen Orten des Erdkreises. Im nachfolgenden Beitrag geht es jedoch nicht nur darum, an die internationalistische Identität und Praxis zu erinnern. Zur Sprache kommen soll nichts weniger als der Weg einer visionären Linken, die den im politischen Kasperletheater verdrängten zivilisatorischen Ernstfall wirksam zu vermitteln versucht und radikal Partei ergreift für die Gattung Mensch. Die von mir im Schlussteil eingebrachte Losung lautet: Aufstehen für eine glückliche Jugend des homo sapiens.
Eine Internationale der "Verdammten dieser Erde" sollte seit Mitte des 19. Jahrhunderts leitende Perspektive und Erkennungsmelodie der Linken sein. Sie wurde alsbald verraten durch die Exkommunikation von Weggefährten, die jegliche Herrschaft von Menschen über Menschen ablehnten. Sie wurde verraten durch Arbeiterparteien, die sich zu Beginn des nachfolgenden Jahrhunderts dem Fetisch "Nation" und der Kriegsmaschine unterwarfen.
Sie wurde verraten von den "Stalinisten" aller Schattierungen, die von einem "Nationalcharakter" faselten, den Kosmopolitismus - im Verein mit dem Postulat universeller Menschenrechte - als bürgerliche Attitüde (oder "jüdische Erfindung") abtaten und schließlich den sozialistischen Ruf zur Freiheit mit Panzergetöse überrollten.
Das Elend des "nationalen Sozialdemokratismus"
Eine Linke, die den Eros der Freiheit verrät, kann die Heiligsprechung eines unbeschränkten "Rechts auf Privateigentum und Reichtumsvermehrung" nicht mehr als Kern der Selbstzerstörung des bürgerlichen Freiheitsideals entlarven. Sie verschläft deshalb auch alle Herausforderungen, die sich mit der Transformierung der "marktkonformen Demokratie" in ein autoritäres System stellen.
Gleichermaßen tragisch ist der Verlust einer universalen Perspektive, der sich in einer harmlosen Variante als "kleinbürgerliches Geschwätz" präsentiert und schlimmstenfalls in eine Kollaboration bei Verbrechen gegen die Menschheit mündet.
Der "nationale Sozialdemokratismus", der im Europa unserer Tage fröhlich Urständ feiert und gar zu neuen rechten Parteigründungen führt, hat mit einer Rückgewinnung des preisgegebenen linken "Klassenstandpunkts" rein gar nichts zu tun. Noch nie hat ein Rekurs auf das "Nationale" den Armen genützt, stets jedoch profitierten die Mächtigen und Besitzenden vom Vernebelungskomplex "Nation".
Die Anwaltschaft für jene, die sich im Getriebe des wirtschaftlichen Überlebenskampfes abstrampeln oder als ewige Habenichtse längst abgeschrieben sind, soll im "nationalen Sozialdemokratismus" nur einem bestimmten Kollektiv in der Nähe, nicht aber allen Mitgliedern unserer Spezies gelten.
Die argumentativen Spitzenleistungen hierfür machen vor keiner Peinlichkeit Halt. Sie gipfeln in der Plattitüde, die Beitragskassen der Solidar- und Sicherungssysteme seien ja eben auch durch nationale Grenzen eingezäunt. (Fürwahr, es gibt kein globales - und nicht einmal ein europäisches - Solidarsystem.)
Die Dynamik eines solchen Programms, das bisweilen die Tuchfühlung mit autoritären Kräften beinhaltet und keineswegs neu ist, verheißt nichts Gutes. Was aber soll daraus werden, falls die nächste große Finanzkrise wirklich schon vor der Tür steht? Eine sich selbst aufhebende Linke, die den menschheitlichen Horizont preisgibt, landet im Heimatmuseum oder in der Hölle!
Ist Aristoteles als Kronzeuge tauglich?
Doch war das Ideal der "Einen Menschheit" nicht schon im Kontext der antiken Sklavenhaltergesellschaft eine große Lüge? Aristoteles, Erzieher des militärischen Welteroberers Alexander III. von Makedonien, konnte in seiner "Nikomachischen Ethik" schöne Worte finden für die grenzüberschreitende Verbundenheit der menschlichen Gattung:
Gerade wenn es einen in die Fremde verschlagen hat, kann [unsereins] leicht erkennen, wie eng vertraut jeder Mensch jedem Menschen ist und wie sehr ein Freund.
Aristoteles
Der gleiche Philosoph erklärte nun aber die Sklaverei zu einer anthropologischen Konstante. Ein Teil der Menschheit sei eben von Natur aus zum Sklavendienst vorausbestimmt und müsse als Besitzgegenstand definiert werden.
Noch im 20. Jahrhundert faselten christliche Aristoteliker unter Berufung auf den großen Meister davon, es gäbe gegenüber sogenannten "Blutsgenossen" eine größere Beistandspflicht als gegenüber Fernstehenden (deren Elend das eigene nahe Kollektiv unter Umständen ja erst verursacht hat).
Die universale "Heimat Mensch" (Christoph Antweiler) kam in anderen Philosophenschulen, so in der Stoa, überzeugender zur Sprache. Doch die Anschauung, es gebe nur eine einzige - durch die Weltvernunft verbundene - menschliche Familie, führte nirgendwo zum politischen Programm einer Aufhebung der Menschenversklavung und zur Fundamentalkritik einer vom Kriegsmotor angetriebenen Zivilisation.
Was aber soll ein hehres philosophisches Ideal, das einer Fiktion gleichkommt und keine materiellen Konsequenzen zeitigt? Oder moderner: Was sollte löblich sein an einem "Kosmopolitismus", der sich als Beiwerk im Lifestyle von Privilegierten erschöpft und nur begrenzte Geltung hat, solange er nämlich nützlich ist für das Funktionieren der Geldvermehrungsmaschine?