Die Entdeckung der Vaterschaft

Seite 2: Der Verlust des Paradieses: das Patriarchat

Neue Gesellschaftsformen setzen sich, wenn sie nicht mit Gewalt übergestülpt werden, nur langsam durch. Die sesshaften Ackerbaukulturen werden die Matrilinearität und Matrilokalität ihrer Vorfahren noch eine ganze Weile beibehalten haben, zumal der neue Fruchtbarkeitskult die Rolle der Mütter stärkte. Doch irgendwann kam die Wende, der Elitentausch – und das sehr radikal. Die Männer, im Bewusstsein ihrer neuentdeckten Schöpferkraft, übernahmen die Macht.

Die Spuren davon finden wir in den Mythen, Religionen und Götterwelten der Völker. Diese sind mehr oder weniger patriarchalisch, doch erzählen sie meist auch sehr fantasievoll, wie es dazu kam. Ganz am Anfang steht immer eine Urmutter, oft identisch mit der Erde (Gaia), oder wenigstens ein Götterpaar (Tiamat und Abzu in der babylonischen Religion). Männliche Götter erringen erst nach meist recht blutigen Kämpfen die Macht. Gemeinsam ist den Schöpfungsmythen auch, dass in ihnen die Zeugung bekannt ist und eine wichtige, oft detailliert beschriebene Rolle spielt.

Die große Ausnahme ist die Bibel. Gott ist von Anfang an da, er ist männlich, und von biologischer Zeugung ist in der Schöpfungsgeschichte (Genesis Kap. 1 bis 3) nirgendwo die Rede, wenn man von der Aufforderung "Seid fruchtbar und mehret euch!" absieht. Vermutlich haben die Autoren, welche im ersten Jahrtausend vor Christi ältere Mythen zu den Texten des Alten Testaments zusammenfassten, alle Details getilgt, welche das Bild vom alleinigen, allmächtigen und durchgeistigten, jeder Fleischeslust abholden Gott stören könnten.

Dabei blieben allerdings zahlreiche Widersprüche, an denen sich Theologen und Philosophen seit 2000 Jahren abarbeiten. Kurt Flasch gibt in Eva und Adam (2004) einen ebenso ausführlichen wie unterhaltsamen Überblick dazu.

Trotz oder gar wegen dieser Zensur gehört die Geschichte von Erschaffung, Versuchung und Sündenfall von Adam und Eva zu den bekanntesten und wirkmächtigsten Geschichten der Welt. Sie ist fast nach Belieben ausdeutbar, und davon haben neben Theologen auch Natur- und Geisteswissenschaftler regen Gebrauch gemacht, oft mit dem ihrem Fach entsprechenden Tunnelblick.

Der Psychoanalytiker Erich Fromm interpretierte den Sündenfall beispielsweise als Ödipuskonflikt. Er sei "die Darstellung der Verwandlung des Säuglings in den sich mit dem Vater identifizierenden Knaben, die Darstellung der Aufrichtung der Inzestschranke vonseiten des Vaters als Folge des Erwachsenwerdens des Sohnes." Das ist wohl genauso abwegig wie die Interpretation als "Entdeckung der Sexualität" oder des Verbots von Sex mit Minderjährigen.

Unstrittig selbst bei Theologen ist, dass Gott in der Sündenfall-Geschichte das Patriarchat etabliert: "Du hast Verlangen nach deinem Mann; / er aber wird über dich herrschen", ist eine psychologisch perfekt ausgedachte Mischung, denn durch ihr Verlangen kann sich die Frau dieser Herrschaft nicht entziehen.

Natürlich wird umgekehrt ein Schuh draus: Zu der Zeit, als diese perfide Story niedergeschrieben wurde, war das Patriarchat längst ökonomisch und machtpolitisch etabliert, es musste nur noch ideologisch legitimiert werden. Nie gelingt das besser, als wenn man gleich den Benachteiligten selbst die Schuld gibt.

Aber auch den Mann trifft Unbill. "Im Schweiße deines Angesichts / sollst du dein Brot essen", und zwar vom Acker! Damit ist eindeutig der Übergang zur Ackerbaugesellschaft beschrieben. Nichts mehr mit Jagd und Beerensammeln nach Bedarf, jetzt ruft die Arbeit! Der neue Bauer sieht neidvoll auf die sicher noch lange benachbarten, aber vermutlich verfeindeten Wildbeuter-Sippen, die wiederrum die Bauern wegen ihrer seltsamen Erfindung "Arbeit" verachten.

Auch heute noch ist das Jägerhandwerk Inbegriff von Freiheit. Der US-amerikanische Anthropologe Marshall Sahlins bezeichnete die historischen Wildbeuterkulturen als ursprüngliche Wohlstandsgesellschaften. Die durchschnittlich notwendige Zeit für die Nahrungsbeschaffung und -zubereitung betrug nur zwei bis drei Stunden täglich. Paradiesische Verhältnisse, aus heutiger Sicht.

Als paradiesisch wird auch die sexuelle Freiheit in den Wildbeutergesellschaften erinnert (und romantisiert) worden sein. Im Islam immerhin passen sexuelle Freiheit und Paradies gut zusammen, dort sollen ja die berühmten 72 Jungfrauen auf den Rechtgläubigen warten, während es im christlichen Himmel lediglich Hosianna singende Engel sind – aber wer weiß, vielleicht ist auch hier "die Hauptsache" aus den alten Mythen herauszensiert worden.

Steht die Zeugungserkenntnis in der Bibel?

Nachdem mir vor einigen Jahren aufgefallen war, dass im "Baum der Erkenntnis" die Erkenntnis der Vaterschaft aufscheinen könnte, wunderte ich mich, dass sich darüber in der Literatur nichts fand. Sollte noch niemandem dieser Gedanke gekommen sein? Doch, das war er, zumindest so ähnlich – allerdings einem Außenseiter, dem Schriftsteller und Drehbuchautor Paul Hengge. Hengge veröffentlichte schon 1977 in mehreren Radiosendungen und später in einem Buch seine provokanten Bibelauslegungen, die er mit den hebräischen Urtexten begründete. Im Zentrum steht bei ihm die Zeugungserkenntnis, die den Menschen aus dem Tierreich erhebt. Und er findet diese Zeugungserkenntnis gleich im zweiten Kapitel der Genesis (Gen. 2.21 und 2.22):

Da Ließ Gott der Herr einen tiefen Schlaf auf den Menschen fallen, und er entschlief, und er nahm ihm eine seiner Rippen und verschloß die Stelle mit Fleisch. Und Gott der Herr baute ein Weib aus der Rippe, die er vom Manne nahm, und brachte sie zu ihm.

Nach Hengge ist mit der Rippe, aus der Gott Eva "baute", ursprünglich der Penis gemeint: Hengge schreibt:

Man darf schon einen ganz anderen Inhalt vermuten, wenn man statt "er nahm eine seiner Rippen" sagt "er nahm etwas von seinem Bogen". Die Wahrscheinlichkeit, daß das hebräische Wort ursprünglich den Penis bezeichnen sollte, ergibt sich aus den beiden anderen Begriffen in diesem Vers: "Stätte" und "Fleisch"

Dies seien nämlich im Hebräischen gebräuchliche Hüllwörter für die Vulva und den weiblichen Leib. Eine triviale, sexistische Interpretation zwar, aber sie könnte passen – die Menschen vor 10.000 Jahren dachten trivial und waren sexistisch.

Hengge zeigt auch, dass dort, wo in der Bibel "nackt" steht (Gen. 2.25):

Und sie waren beide nackt, der Mensch und sein Weib, und sie schämeten sich nicht.

ursprünglich vermutlich "klug" gemeint war, denn wenig später stehe für die "Listigkeit" der Schlange das gleiche hebräische Wort (Gen. 3.1):

Und die Schlange war listiger denn alle Tiere auf dem Felde…

Noch ein paar Verse weiter hat Hengge jedoch gegen die übliche Übersetzung nichts einzuwenden (Gen. 3.7):

Da wurden ihrer beider Augen aufgetan, und sie wurden gewahr, daß sie nackt waren; und flochten Feigenblätter zusammen, und machten sich Schurze.

Er erklärt dies so, dass es im Paradies kälter geworden sein könne, und bringt dann auch noch gleich das Feuer ins Spiel, als es nämlich um den Baum der Erkenntnis geht (Gen. 2.16 und 2.17):

Und Gott der Herr gebot dem Menschen und sprach: Du sollst essen von allerlei Bäumen im Garten; Aber von dem Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen sollst du nicht essen; denn welches Tages du davon issest, wirst du des Todes sterben.

Weil Feuer gut und böse zugleich sei, erklärt Hengge diese Warnung so:

Der Satz, mit dem im Namen Jhwh Elohim den Menschen am Anfang der Kulturentwicklung geboten wird, den Baum des Wissens von dem, was gut und böse zugleich ist, unberührt zu lassen, war vermutlich die Erkenntnis der lebensvernichtenden Gefahr, die aus dem Mißbrauch des Feuers und aller aus der Natur zu gewinnenden Energien für die Gemeinschaft entstehen würde.

So erhellend die Gedanken Henggs oft sind, so überstrapaziert wirken seine Auslegungen hier und an anderen Stellen, so zweifelhaft ist sein Ansatz, die Bibeltexte wörtlich zu nehmen – zwar mit anderen Ergebnissen, aber methodisch doch gleich dem Vorgehen der christlichen Theologen.

In Mythen zeigt sich aber nicht (anders als in Legenden) das Wetterleuchten vergangener Großtaten, Umbrüche und Katastrophen. Es sind keine Geschichtserzählungen, sie sagen uns (nach Günter Dux) nichts über die Zeit, in der sie zu handeln scheinen, aber viel über die Zeit, in der sie selbst entstanden sind. Dort muss etwas Ungewöhnliches passiert sein, das der Erklärung, Rechtfertigung und Legitimation bedurfte. Eben dies leistet ein Mythos mithilfe einer phantastischen Erzählung.

Was also ist passiert zu der Zeit, als die Mythen entstanden, welche den Stoff für die Genesis-Erzählung der Bibel lieferten?

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