"Die Flamme des Westens"
Oculus-Gründer Palmer Luckeys Startup Anduril Industries will die Rüstungsindustrie aufmischen, und zeigt den Weg in die künftige Kriegsführung
Wenige denken bei dem Namen Interceptor an das Schiff, das Plastikmüll aus Flüssen fischt. Eine Erfindung, die die Welt verbessert. Noch unbekannter ist die Erfindung der Firma Anduril Industries, die ebenfalls Interceptor heißt. Bestenfalls macht sie Müll aus Quadcoptern, Drohnen und sonstigen Kleinstflugkörpern. Sie ist eine Drohne, die mit 200km/h auf als feindlich erachtete Drohnen zurast, sie zerschmettert und bereit für das nächste Ziel unbeschädigt landet. Der Interceptor hält so den Luftraum "sauber".
Anduril ist ein 2017 von Palmer Luckey gegründetes Startup, das Überwachungs- und Verteidigungssysteme für das US-Militär baut. An Militärstützpunkten in Japan und den Vereinigten Staaten werden Andurils Systeme eingesetzt. Der US-amerikanische Zoll- und Grenzschutz hat letztes Jahr Andurils "virtual border wall" an der Grenze zu Mexiko getestet und 55 Migranten entdeckt, die versuchten, unbefugt die Grenze zu überqueren. Auch die britische Royal Navy soll einen Vertrag mit Anduril zur Modernisierung ihrer Überwachungssysteme abgeschlossen haben. Künftig sollen Öl-Anlagen, Flughäfen und private Unternehmen zu den Kunden zählen.
"Wir können ein perfektes 3D-Modell von allem erstellen, was in einem großen Bereich vor sich geht", sagt Luckey in einem längeren Interview mit CNN. "Dann nehmen wir diese Daten und führen prädiktive Analysen durch, versehen sie mit Metadaten, finden die relevanten Informationen und leiten sie an die Soldaten und das Sicherheitspersonal weiter."
"Multi modal sensor fusion" nennt sich die Technologie, die die Daten der Sensoren, die in mit Solarzellen betriebenen Türmen und autonom patrouillierenden Quadcoptern stecken, verarbeitet. Die Überwachungstechnologie beruht auf der von Anduril entwickelten Software "Lattice AI", eine KI-gestützte Sensorfusionsplattform, die Daten von Tausenden von Sensoren - Radar, Lidar, Vibration, Akustik, elektro-optische Signale - zu einem 3D-Modell eines Geländes zusammenfügt.
"Wir wollen aus dem Soldaten einen Superhelden machen"
Wie in einem Computerspiel sollen künftig Soldaten eine Karte mit allen relevanten Informationen überblicken können, was sich um sie herum befindet, feindliche Hinterhalte, Rückzugsgebiete, Nachschub. Anduril vereinigt die Realität des Schlachtfeldes mit der Immersion von Battlefield oder Call of Duty. "In der Praxis denke ich, dass Soldaten in Zukunft Superhelden sein werden, die die Macht der perfekten Allwissenheit über ihren Einsatzbereich haben, indem sie wissen, wo sich jeder Feind, jeder Freund und jedes Kapital befindet", so Luckey. Er halte es für unwahrscheinlich, dass Soldaten der Zukunft Waffen auf dem Feld tragen werden. Stattdessen bedienen sie Maschinen und Waffen aus der Ferne.
Luckey ist ein Tüftler, ein Hacker und Elektrotechnik-Enthusiast, der sich das Programmieren selber beigebracht hat. Aus günstigen Komponenten kombiniert mit ausgefeilter Software entwickelte er im Alter von 17 Jahren das Virtual-Reality-Headset namens Oculus Rift. Vier Jahre später kaufte Facebook Oculus Rift für 2 Mrd., Luckey wurde laut Forbes zum reichsten Entrepreneur unter 25 Jahren. Nun hat sich Luckey der Mission verschrieben, die Rüstungsindustrie zu "disruptieren".
Silicon Valley ist für seine Biografie ein angemessener Ort, für seine politischen Ansichten gilt das hingegen nicht. Luckey ist Republikaner, zählt Donald Trump Jr. zu seinen Freunden und besucht regelmäßig Spendenveranstaltungen. Ein gern gesehener Gast bei den Republikanern, die sich selten mit einem Tech-Guy aus Silicon Valley schmücken können. Junge Republikaner wie Luckey sind die Ausnahme im liberalen Valley.
2016 warnten 145 Unternehmer in einem offenen Brief vor einem Amerika unter Trump (Medium). Sie fürchteten um den offenen, innovativen Ruf Amerikas. Trumps Wahl führte auch dazu, dass Mitarbeiter der großen Tech-Konzerne stärker hinterfragen, in wessen Dienste und zu welchen Zwecken sie KI-Software schreiben. Als Google sein Slogan von "don't be evil" in "do the right thing" änderte, fragten sich viele, was das sein soll, "the right thing".
Die Frage, die die Mitarbeiter der Big-Tech-Firmen umtreibt, ist die nach der ethischen Verantwortung ihrer Innovationen, insbesondere auf dem Feld der Künstlichen Intelligenz. Als heraus kam, dass Googles KI-Technologie im Rahmen des Projekt Maven für die Identifizierung von Drohnenzielen auf Schlachtfeldern im Nahen Osten verwendet wird, protestierten 4.000 Mitarbeiter. Der Widerstand veranlasste Google, seinen Vertrag mit dem Militär nicht zu verlängern.
Auch Microsoft etwa sah sich internem Widerstand ausgesetzt, als das Unternehmen einen Vertrag über 480 Millionen US-Dollar mit der Armee zur Entwicklung von Augmented-Reality-Headsets für Soldaten vorbereitete. (Ende Oktober erhielt Microsoft aber den Zuschlag für das Projekt JEDI zum Aufbau einer Cloud-Infrastruktur für das Pentagon, ein Zehn-Milliarden-Dollar-Deal.)
Amazon musste nach Protesten von Mitarbeitern den Weg über die Hauptversammlung gehen, um dort darüber abstimmen zu lassen, ob nicht fehlerfreie Gesichtserkennungstechnologie "Rekognition" an die Behörden verkauft werden darf oder nicht. (Die Aktionäre sagten "ja".)
Flamme des Westens
Bedenken, die Luckey nicht teilt. Im Gegenteil, er sieht darin eine Chance Anduril weiter voranzutreiben. Er ist sich sicher, dass viel mehr Leute für die Verteidigung und die nationale Sicherheit arbeiten, aber das nicht in der Struktur großen Firmen wie Boeing, Lockheed Martin oder Northrop tun wollen, sondern in jungen Firmen, in denen sie ihren Erfindergeist ausleben können. Oder auch Leute, die ihr Talent bei Facebook oder Google nicht mit Digitalwerbung vergeuden wollen. Anduril will für sie der Ort sein, an dem sie für die Sicherheit Amerikas und ihrer Verbündeten tüfteln können.
Luckey will die "westlichen" Werte verteidigen, wie er sagt, Menschenrechte, Privatsphäre, Rechtsstaatlichkeit. Daher habe er seine Firma nach "Anduril" benannt, dem Schwert in der "Herr der Ringe"-Saga, "die Flamme des Westens". Zwei Jahre nach der Gründung hat Anduril über 130 Mitarbeiter, und soll bereits eine Milliarde US-Dollar wert sein.
China sei die größte Bedrohung für Amerika und den Westen. China setze auf Internierungslager, Massenüberwachung und sei schließlich keine Demokratie. Wer mit China zusammenarbeite, verrate die Werte des Westens. Auf dem Forbes "30 Under 30"-Treffen in Detroit sagte er kürzlich: "Ich denke, dass diese Erzählung, dass die Unternehmen tun, was ihre Mitarbeiter wollen, sehr praktisch ist, weil es auch genau das ist, was sie tun müssen, um den chinesischen Markt bedienen zu können." Das liberale Silicon Valley sei eher an Geschäften mit China interessiert, als das Bedürfnis der amerikanischen Bürger nach Sicherheit und Freiheit abzubilden.
Peter Thiels Einfluss
Hinter Anduril steckt ein einflussreiches Netzwerk von Kapital- und Ideengebern, allen voran Peter Thiel. Als Google sich aus dem Projekt Maven verabschiedete, bedeutete das nicht das Ende der KI-gestützen Überwachung von Kampfgebieten im Nahen Osten. Palantir übernahm das Kommando, eine von Peter Thiel mit Geldern der CIA gegründeten Data-Mining-Firma, die für ihre Arbeit für Spionageagenturen und das Militär bekannt ist. Mithilfe Palantirs habe damals die CIA Osama Bin Laden ausfindig machen können (Datenkrake Polizei? Palantir als die Spitze des Eisberges).
Thiel und Palantir-Mitgründer Alex Karp sind gut vernetzt, sie gehören zum "steering committee" der Bilderberg Konferenz. (Karp sitzt auch im Aufsichtsrat von Axel Springer). Zudem verfügt Thiel, der wichtigste Trump-Partisane im Valley, über die nötigen Verbindungen, um an den Topf des Verteidigungsbudgets zu kommen. Durch seine Unterstützung während der Wahlen 2016 konnte er Einfluss auf die Trump-Administration gewinnen, zu deren Technologie-Beratern er zählt.
Seinen Geschäftspartner Trae Stephens brachte Thiel in die Gruppe des Übergangsteams von Trump, die sich mit dem Einzug der neuen Regierung in das Verteidigungsministerium befasste. Auf Thiels Geheiß wurde auch Makan Delrahim zum Chef der Kartellbehörde des US-Justizministeriums. Thiels Unterstützung für Trump is mehr strategisch als politisch. Kürzlich sagte er in einem Interview jedoch enttäuscht, Trump sei nicht mehr "disruptive".
Thiels Risikokapitalunternehmen Founders Fund formt und fördert die technologische Zukunft Amerikas und die Weltverbesserer von morgen. Founders Fund finanzierte den Start von unzähligen Startups, darunter Facebook, SpaceX, Spotify, Airbnb, Lyft, Stripe. 2004 investierte Thiel als erster in Facebook, für sein Darlehen in Höhe von 500.000 US-Dollar erhielt 10% der Aktien, die ihm später etwa eine Milliarde US-Dollar einbrachten. Für Thiel stehen Unternehmen in der Verantwortung, Amerika als Weltmacht zu erhalten. Das gehe nur über KI. Kürzlich kritisierte er Google dafür, ein KI-Labor in China zu eröffnen und gleichzeitig einen KI-Vertrag mit dem Pentagon zu beenden. Technologieunternehmen hätten die "patriotische Pflicht", mit der US-Regierung zusammenzuarbeiten.
Für Anduril war Peter Thiel, dessen Firma Palantir seinen Namen ebenfalls von "Herr der Ringe" leiht, nicht nur Geld-, sondern auch Ideengeber. Luckey wurde 2016 durch eine Veranstaltung Thiels zum ersten Mal zur Entwicklung eines Militär-Tech-Startups inspiriert, heißt es. Ohnehin hatte Luckey zu dem Zeitpunkt Schwierigkeiten bei seinem neuen Arbeitgeber Facebook. (Ob er wegen Diebstahl geistigen Eigentums bei der Entwicklung von Oculus Rift, für die Facebook 500 Mio. US-Dollar bezahlen musste, oder wegen dubioser Spenden an Alt-Right-Gruppen und Anti-Hillary-Wahlkampfwerbung entlassen wurde, ist nicht gänzlich gekärt).Kurz darauf gründete Luckey mit Trae Stephens und weiteren Palantir- und Oculus-Mitarbeitern Anduril. Sie zogen südlich von Los Angeles nach Irvine, weg von den "far left"-Techies aus dem Valley.
Thiels Talentschmiede
Luckey will mithilfe Thiels an das Milliarden-Budget des Verteidigungsministeriums. Als Republikaner sei es seine patriotische Pflicht, die besten und kosteneffizientesten Systeme für sein Land zu bauen. Die traditionellen Rüstungsfirmen seien nicht im Stande, verantwortlich mit dem Geld der Steuerzahler umzugehen. "Warum geben wir jährlich Milliarden von Steuergeldern für Rüstungsunternehmen aus und haben immer noch keinen 'Iron Man'", habe er sich gefragt. Rüstungsunternehmen würden sich scheuen auf Software zu setzen. "Die haben die letzten Kriege gewonnen, aber sie werden nicht die nächsten gewinnen", so Luckey.
Die bisherigen Maßnahmen des Verteidigungsministeriums, um feindliche Drohnen lahmzulegen, kamen Luckey lächerlich vor. Sie sahen vor, die Signale der Drohnen zu stören oder sie wie Schmetterlinge einzufangen. "Warum nicht einfach zerstören?", habe er sich gefragt.
Anduril baut daher Drohnen, die selbständig auf feindliche Drohen zufliegen, um sie zu rammen, bis sie zerstört sind. Anfang des Jahres schickten sie Videos vom Prototypen des "Interceptors" an das Pentagon. Neuere Versionen der Drohne können Geschwindigkeiten von 200 Meilen pro Stunde erreichen, möglicherweise genug, um größere Projektile vom Himmel zu holen. In Planung sind auch Prototypen, die Ultraleichtflugzeuge, Hubschrauber oder Marschflugkörper angreifen können, um gezielt Öl- und Gaskonzerne und anderen Kunden, die große, weitläufige Räume überwachen müssen, zu bedienen.
Luckey, der keinen Uni-Abschluss hat, ist auch der Prototyp der nächsten Generation von Technik-Freaks, die Peter Thiel mit einem Stipendium unterstützt, dem Thiel-Fellowship (tolkienisch als "Gefährten" Thiels zu übersetzen). Geniale junge Leute sollen keine Zeit an der Uni verschwenden, sondern direkt in das Programm "20 under 20" einsteigen und ihre radikal neuen Ideen umsetzen. Dafür erhalten sie ein Stipendium in Höhe von 100.000 US-Dollar über zwei Jahre und entsprechendes Mentoring. Luckey hat das Programm nicht absolviert, er war da schon Multi-Millionär.
Thiels Talentschmiede brachte jüngst einen weiteren jungen Mann hervor, Boyan Slat, den Gründer des The Ocean Cleanup Projekts. Dessen Schiff heißt: The Interceptor. Einer, der die Welt verbessert, ohne auf Patriotismus zu setzen.
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