Die Folter hat System
Aggressive Verhörtechniken werden in der US-Armee seit Jahrzehnten gelehrt - die Folterbilder aus Irak erinnern beispielsweise an die Anleitung des "Kubark-Handbuchs" von 1963
Obwohl der Soldat Jeremy Sivits am vergangenen Mittwoch vor einem US-Militärgericht in Bagdad wegen der Misshandlungen von Gefangenen zur Höchststrafe von einem Jahr verurteilt wurde und Präsident George W. Bush den Abriss des Abu-Ghraib-Gefängnisses angekündigt hatte, halten sich die Zweifel, dass sich in der Menschenrechtspolitik der US-Armee ein grundsätzlicher Wandel vollziehen wird.
Nach Kräften versuchen hohe Funktionäre der US-Regierung in der Debatte um Folterbilder derzeit, die These von Einzeltätern in der US-Armee zu etablieren. Auch der neue Leiter des Abu-Ghraib-Gefängnisses, US-General Geoffrey Miller, führt die vor seiner Ernennung vorgefallenen Misshandlungen auf das Verhalten einiger weniger Kommandanten und Soldaten zurück. Es habe an Führung und Aufsicht gefehlt, so Miller. Tatsächlich ist aber seit Jahren bekannt, dass Folterpraktiken ein integraler Bestandteil der US-Militärausbildung sind.
Parallelen zu Folterhandbüchern
Auf seiner Internetseite verweist das Washingtoner National Security Archive darauf, dass die in Irak angewandten Foltertechniken jenen ähneln , die in Ausbildungshandbüchern der US-Armee aus den 1960er und 1980er Jahren beschrieben werden. Die Grundlage aller Anleitungen für geheimdienstliche und militärische "Verhörtechniken" bildet das sogenannte Kubark-Handbuch aus dem Jahr 1963. Auf der Basis der Erfahrungen aus dem Vietnam-Krieg werden in dem Kubark-Handbuch und einer 1983 überarbeiteten Fassung Techniken zusammengefaßt, mit denen Gefangenen Informationen entlockt werden können. Erst 1997 war es der US-Tageszeitung Baltimore Sun gelungen, die Handbücher unter Berufung auf den Freedom of Information Act zu veröffentlichen.
Die Androhung von Zwangsmaßnahmen schwächt oder zerstört den Widerstand (des zu verhörenden Gefangenen) gemeinhin effektiver als die Zwangsmaßnahme selber. Die Androhung von Schmerzen zum Beispiel macht mehr Angst als der unmittelbar empfundene Schmerz.
Auszug aus dem Kubark-Handbuch von 1963
Seit damals gehörte das Studium des Handbuches über geheimdienstliche Verhörmethoden zum festen Bestandteil des Lehrplans in US-Militärakademien. Bis 1989 zählte zu den politischen Zielen noch vorrangig die Niederschlagung sozialer Bewegungen im Hinterhof der USA. Im September 1996 berichtete die Washington Post, dass das 1983 überarbeitete Folterhandbuch der Armee unter anderem die Inhaftierung von Familienmitgliedern empfiehlt, um gesuchter Personen habhaft zu werden. Wurde die Person schließlich festgesetzt, sollte ihr Wille schnellstmöglich gebrochen werden. Erreicht werden könne dies am besten durch den Verlust individueller Autonomie. Die Individualität eines Menschen, heißt es in dem Handbuch weiter, stütze sich maßgeblich auf sein alltägliches Umfeld, auf seine Gewohnheiten oder auf seine sozialen Kontakte. Um eine zu verhörende Person gefügig zu machen, müßten diese Faktoren gestört werden. Mittel dazu sei der "radikale Bruch" mit den Gewohnheiten des Gefangenen, dem auch durch Sinnesentzug jede Orientierung genommen werden soll.
Zahlreiche Berichte über Folter
Das vielleicht prominenteste Beispiel für die Verwendung der Folter-Handbücher ist die School of the Americas (SOA), 2001 in Western Hemisphere Institute for Security Cooperation (WHINSEC) umbenannt. Seit ihrer Gründung im Jahr 1946 wurden in der Akademie im US-Bundesstaat Georgia rund 64.000 Militärs ausgebildet. Zu den Absolventen der Schule zählen Hugo Banzer (Bolivien), Omar Torrijos, Manuel Noriega (Panama), Leopoldo Galtieri oder Roberto Viola (Argentinien).
Als die Soziologin Katherine McCoy von der Universität in Wisconsin die Namen von 12.000 Absolventen aus sechs lateinamerikanischen Staaten vor wenigen Jahren mit bekannten Menschenrechtsverbrechern aus diesen Ländern verglich, fiel ihr auf, "dass sie umso häufiger aktenkundig wurden, je länger sie an der SOA ausgebildet wurden". Nach der Veröffentlichung der Forschungsergebnisse wurden die Datenbestände der SOA/ WHINSEC von der amtierenden Bush-Administration gesperrt.
"Der Menschenrechtsreport 'Staatsterrorismus in Kolumbien' der US-Organisation Human Rights Watch enthält die Namen von 247 kolumbianischen Soldaten, die in Menschenrechtsverbrechen verwickelt waren", sagt Handrik Voss von der Organisation SOA Watch. 124 hätten ihre Ausbildung in der SOA absolviert.
Dass Foltertechniken nicht nur an der SOA für die Ausbildung lateinamerikanischer Militärs vermittelt wurden, meint William Blum belegen zu können. Blum hatte im US-Außenministerium gearbeitet, bis er 1967 aus Protest gegen den Vietnam-Krieg den Dienst quittierte. In seinem 1995 erschienenen Buch "Killing Hope" zitiert er zahlreiche Kongressberichte und interne Regierungsdokumente zu dem Thema. So etwa die Aussage von Militärs vor dem US-Kongress 1975 über CIA-finanzierte Geheimaktionen im Rahmen der Operation Phoenix in Vietnam:
Zwei Vietkongs wurden während eines Fluges nach Saigon vernommen. Der erste weigerte sich, die Fragen zu beantworten und wurde aus 3000 Fuß aus dem Flugzeug geworfen. Der zweite beantwortete die Fragen sofort, dann wurde auch er hinausgeworfen.
William Blum, Killing Hope
Solche Methoden während der Operation Phoenix kosteten von Anfang des 1968 an bis Mai 1971 über 20.000 Vietnamesen ihr Leben. Als 1971 der Leiter der Operation, William Colby, von einem Kongressabgeordneten gefragt wurde, ob im Rahmen der Operation relevante Informationen gewonnen wurden, antwortete Colby: "Nein, nicht dass ich wüsste." Trotz der ausbleibenden Erfolge wurden brutale Foltertechniken weiter im Lehrplan gehalten. Der ehemalige Elitesoldat Donald Duncan schildert in seiner politischen Abrechnung mit der Armee eine Szene während seiner Ausbildung. Der leitende Feldwebel stellte den Soldaten während des Unterrichtes verschiedene Foltertechniken vor. Auf die Frage eines Soldaten, ob denn erwartet würde, diese Methoden im aktiven Dienst anzuwenden, entgegnete der Ausbilder unter dem Lachen der Klasse:
Die Mütter Amerikas würden das wohl nicht gutheißen. Und wir würden auf Nachfrage wohl verneinen, daß eine Nachahmung dieser Taten beabsichtigt ist.
Donald Duncan, The New Legions