Die Geister, die wir rufen: Künstliche-Intelligenz-Algorithmen als neue Alchemie

Seite 2: Umgang mit der "Black Box"

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Und natürlich hat man über Seh-, Hör- und andere Wahrnehmungsvorgänge viel gelernt, indem man in der Psychologie oder den Neurowissenschaften mit einfachen Stimuli geforscht hat. Beliebt waren und sind hierfür etwa geometrische Figuren wie Dreiecke und Kreise, die jedoch in unserer Alltagswelt eher nicht vorkommen.

Die "Black Box" ist zudem charakteristisch für eine der einflussreichsten psychologischen Schulen des 20. Jahrhunderts, nämlich den Behaviorismus. Weil man damals noch nicht so detailliert das arbeitende Gehirn untersuchen konnte wie heute, nahmen Vertreter dieser Schule wie John Watson oder Burrhus Skinner in positivistischer Manier schlicht das, was man untersuchen konnte: das Verhalten.

Wenn man so den Vergleich zwischen der heutigen KI-Forschung und der Wissenschaftsgeschichte von Psychologie und Neurowissenschaften zieht, dann zeichnen sich einige Parallelen ab. Das System, das man untersucht, ist zu komplex, um es direkt und in seiner Gänze zu erforschen. Daher unterteilt man es in Module und greift zu indirekten Forschungsmethoden.

Trend der "Computational Sciences"

Das entbehrt nicht einer gewissen Ironie, wenn man sich vor Augen führt, dass in den heute im Trend liegenden "Computational Sciences", etwa der Computational Biology, Computational Neuroscience oder gar Computational Psychiatry, KI-Algorithmen zum Erklären der untersuchten Phänomene verwendet werden. Wenn man den Alchemie-Vorwurf betrachtet, dann scheinen diese Algorithmen mehr Fragen aufzuwerfen, als sie Antworten geben.

Das bekannteste Beispiel hierfür könnte das Human Brain Project sein. In den Medien erfuhr dessen ambitiöses Ziel viel Aufmerksamkeit, auf einem Supercomputer im Forschungszentrum Jülich ein ganzes menschliches Gehirn zu simulieren. Ziel der Simulation soll ein besseres Verständnis sein - doch ob sich die Simulation, sollte es denn überhaupt gelingen, leichter verstehen lassen wird als das Original, das steht in den Sternen.

Letztlich verlieren vor diesem Hintergrund auch reduktionistische Argumente an Überzeugungskraft: Die Idee, das ganze Universum oder wenigstens den Menschen mit einer grundlegenden Formel zu erklären, rückt in weite Ferne, wenn die Arbeitsweise maßgeblicher Forschungsmethoden selbst nicht mehr verstanden wird.

Praktische Bedeutung der Probleme

Der Alchemie-Vorwurf sollte aber auch mit Blick auf praktische Anwendungen aufhorchen lassen. KI-Systeme werden immer verbreiteter. Ob es um die Abschätzung der Kreditwürdigkeit oder der Gefährlichkeit einer Person geht oder ob demnächst autonome Fahr- und Flugzeuge unsere Verkehrswege bevölkern - bei Irrtümern und Unfällen wird die Fehleranalyse schwierig, wenn Fachleute schließlich einräumen müssen: "Wir machen es schlicht so, weil es gut funktioniert."

Natürlich kann man mit einem pragmatischen Vorgehen sehr weit kommen, vor allem dort, wo es eben um die Praxis geht. Auf Dauer wird man von einer anerkannten Wissenschaft aber auch theoretisches Verständnis erwarten. Es bleibt abzuwarten, wie sich die KI-Forschung dem Alchemie-Vorwurf stellen wird.

Hinweis: Dieser Artikel erscheint ebenfalls im Blog "Menschen-Bilder" des Autors.