Die Gesellschaft ohne Schmerzen
- Die Gesellschaft ohne Schmerzen
- Die Lehren
- Der asymmetrische Dialog der Folter
- Im Visier demokratischer Waffen?
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Schmerzmaschinen Teil 3
Im dritten Teil ihrer Untersuchung über Schmerzen, die durch hoch technisierte Maschinen erzeugt werden, und Menschen, die eine „abweichende Meinung” besitzen, mit einem Schlag zur Räson bringen sollen, gehen Wolfgang Pircher und Olaf Arndt der Frage nach, wie sich eine Grenze ziehen lässt zwischen der politischen angemessenen Anwendung von staatlicher Gewalt gegen systemoppositionellen Widerstand. Sie diskutieren die Frage, wann eine Behandlung von Bürgern, die im Widerspruch zu ihrem Staat stehen, berechtigterweise als Folter bezeichnet werden muss. Dazu analysieren sie philosophische Standpunkte zum Schmerz von Kant und Nietzsche bis zu Elaine Scarry.
Dies findet allerdings vor einem Hintergrund von aktueller Brisanz statt. Auf dem 4. Symposium über nicht-tödliche Waffen des Fraunhofer Instituts für Chemische Technologie im Mai 2007 in Ettlingen bildeten Technologien zur Schmerzerzeugung ein Schwerpunkt-Thema.
Auf einen Aspekt richtete sich dabei das Hauptaugenmerk: wie können Waffen gleichzeitig absolut effektiv Gewalttäter außer Kraft setzen und deren Gesundheit dennoch nicht schädigen? Wie schließen wir die angeblich existierende „Lücke zwischen Warnschrei und Schuß” ohne klassische Gewaltanwendung, ohne sichtbare und ohne tatsächliche Verletzungen?
Ein inhaltlich verwandtes Rahmenprogramm der EU zur Forschungsförderung, wirksam ab 2008 und auf zehn Jahre angelegt, komplettiert das Bild. Umfassende Ansätze zu technischen Lösungen sozialer Problemstellungen sind erwünscht. Auch wenn in diesem Programm keine Waffen entwickelt werden sollen, lohnt ein Blick in die Unterlagen.
Fragen nach dem Bild, das wir von unserer eigenen Zukunft entwerfen, Fragen nach dem Umgang mit unterschiedlichen Lebensmodellen in einer (gemeinsamen?) Kultur, Fragen, die eng verbunden sind mit der uns prägenden und stets zunehmenden Bedeutung der Bildmedien für die Wahrnehmung und Bewertung von Gewalt, von so genannten „Ausschreitungen” oder „Exzessen”, haben jüngst im Zusammenhang mit dem Widerstand gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm zwei Wochen lang die Zeitungen und Fernsehsender intensiv beschäftigt.
Dabei spielten auch Überlegungen zur Eskalation durch Einsatz-Strategien unter Einbezug neuer Technologien (Pfeffergas und Gummikugeln) eine entscheidende Rolle.
Grenze und Gewalt
Was tun wir Bürger Europas eigentlich, um uns sicherer zu fühlen? Wir bauen einen Zaun um den Kontinent. Natürlich keine hässliche Wellblechwand, wie die an der Grenze USA - Mexiko. Nein, es wird ein smarter, eleganter, fast unsichtbarer Zaun. Ein „intelligenter” Migrationsschutzwall, abendländisch stilvoll gestaltet. Was tun wir, wenn in diesem Riesenlager Krach ausbricht? Wir setzen „selektiv wirkende” Hochtechnologie zur Spontanbefriedung ein. Wohin dann mit all den Befriedeten, die uns nicht sehr dankbar sein werden, dass wir sie erfolgreich flachgelegt, sie mundtot gemacht haben, ohne ihnen dabei nachhaltig gesundheitlich zu schaden? Nun, noch zwei, drei Anti-Globalisierungsschlachten weiter werden wir robotisierte Gefängnisse benötigen, um der Massen von Inhaftierten Herr zu werden.
Dieses Szenario entspringt diesmal nicht den Visionen eines Science-Fiction Autors. Es ist der Rohtext eines EU-Förderprogramms, das 2008 an den Start geht und den Titel “For a better Europe in a safer world” trägt.
Welche Rolle spielt bei der Debatte um „effektivere Mittel” das Szenario, das technisch als „area denial”, als dringende Notwendigkeit zur Versiegelung sensibler Zonen beschrieben wird? Kann sich eine solche Überlegung ernsthaft auf einen ganzen Kontinent – auf Europa – beziehen und welches politische Interesse ist damit verbunden? Darauf Antworten zu finden, wird uns wahrscheinlich noch einige Jahre beschäftigen. Hier nur einige bescheidene Ansätze.
Mit bereits entwickelten, einsatzbereiten Mitteln wie dem „Active Denial System” und dem Prototypen des „Taser Remote Area Denial” (einem rundum Lähmungspfeile verschießenden Dreifuss) wird der „crash course” in Sachen politischer Widerstand perfektioniert. Das ist „Kapieren kompakt”: Nach einer Sekunde hat man vollständig und nachhaltig verstanden, was man besser nie wieder tun sollte. Die „maximalen Schmerzen”, die den Waffen ihren englischen Sammelnamen geben, stehen dabei für ein Programm der radikalen Verkürzung der Lernzeit. Oder wie Kirk Hymes vom Pentagon (Joint Non-Lethal Weapon Directorate) es formuliert: Wer sich einmal einen Sonnenbrand geholt hat, geht doch nicht gleich wieder raus und verbrennt sich freiwillig noch einmal.
Nicht am schützenswerten Gegenstand (die Zone - „area” - zu der der Zugang verweigert -„denied” - werden soll), sondern am Aufgebot der Schutzmassnahmen wird die Gefahr erkennbar, die uns bedroht. Insofern ist ein komplexes Szenario nötig: denn die Bedrohung soll als allgegenwärtig erkennbar werden.
Deswegen gehört vieles zum Szenario: nicht nur ein Schutzzaun aus Stahl, Beton, oder „intelligente” Barrieresysteme aus Airbags und Netzen, sowie dazu gehörende Erkennungs- und Abwehrtechniken, die wiederum durch große Mengen von Polizisten, Militärs oder polizeinahe Dienstleister geschützt werden, sondern auch die ganze Palette der „maskierten Gewalt”, wie das Abschalten von Handynetzen in solchen Zonen, die Inanspruchnahme der Infrastrukturversorger wie Bahnen, Reisegruppen mit bestimmten Zielen oder Aufenthaltsorten zu melden, die Speicherung von Identifikationsdaten privater Rechner, die sich über Webdienste Landkarten der sensiblen Zonen besorgen wollen oder der Haus-Besuch, die vorbeugende Durchsuchung von Personen aus „militanten Kreisen“.