Die Gnade des rechten Menschenverstands
Seite 2: Rechtsextremisten für Demokratie
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Am Tag danach dann die erste Ankündigung einer Corona-Demonstration: "Überregionales Bündnis ruft nach Chemnitz: Demo gegen die Corona-Diktatur!". Hinter dem Aufruf stehen Kameraden aus der Region, zuvorderst eine rechtsextremistische Gruppe namens "Bürgerbewegung Pro Chemnitz". Pünktlich zu Adolf Hitlers Geburtstag am 20. April soll der Protest der Demokratiefreunde stattfinden.
Das in dem "überregionalen Bündnis" vertretene politische Spektrum ist so schmal wie ein Blatt Papier: Zu ihm gehören ein Dutzend Kommunalpolitiker aus der Region — darunter dem Verfassungsschutz seit Jahren bekannte Rechtsextremisten sowie zwei Mandatsträger der AfD. Der Name eines AfD-Mitglieds verschwindet nach ein paar Tagen von der Liste der Veranstalter.
Die Behörden reagieren in der von den Veranstaltern erwarteten Weise: Die Chemnitzer Stadtverwaltung genehmigt die am Karl-Marx-Monument geplante Demonstration unter Verweis auf die Infektionsschutzmaßnahmen nicht. Auf einen Eilantrag der rechtsextremen Vereinigung wird die Kundgebung kurzfristig doch noch erlaubt.
Allerdings gelten enge Auflagen: Die Teilnehmerzahl wird vom Chemnitzer Verwaltungsgericht auf 15 begrenzt. Eine weitere von "Pro Chemnitz" bereits für den darauf folgenden Freitag beantragte Kundgebung wird von der Stadt ebenfalls untersagt. Erneut entscheidet das Verwaltungsgericht anders und genehmigt die Veranstaltung, wiederum mit nur 15 Teilnehmern.
Darauf legen sowohl die Stadt Chemnitz als auch die rechtsextremistischen Antragsteller Beschwerde ein. Das Oberverwaltungsgericht Bautzen entscheidet kurzfristig, dass die Demonstration nicht stattfinden darf.
Im Frühjahr, nach der Aufhebung der Corona-Maßnahmen, organisieren Stefan H. und seine Kameraden aus der rechtsextremen Szene noch mehrere Kundgebungen gegen den "Corona-Wahnsinn". Der geprüfte Computermechaniker, der in seinem Leben anscheinend wenig herumgekommen ist, wettert gegen den "Polizeistaat". Doch mit dem Abflauen der Infektionszahlen flaut auch das Interesse an den Protesten gegen den "Corona-Wahnsinn" rapide ab.
Risikogebiet Erzgebirge
Ende Oktober meldet das Robert-Koch-Institut (RKI), das Stefan H. für eine "Wissenschaftshure der Politik" hält, mehr als 19.000 Neuinfektionen an einem Tag. Der 7-Tage-Inzidenzwert der registrierten Neuinfektionen je 100.000 Einwohner liegt bundesweit bei über 100, dem Doppelten dessen, was erst kürzlich noch als kritische Schwelle betrachtet wurde. Mittlerweile sind bundesweit rund 5.000 Soldaten der Bundeswehr im Einsatz.
Doch hinter diesen bereits sehr hohen Zahlen bestehen regional deutliche Unterschiede. Im Erzgebirgskreis ist das Infektionsaufkommen seit Wochen besonders hoch. Die Region wurde von der sächsischen Landesregierung bereits Mitte Oktober zum Risikogebiet erklärt. Seitdem hat sich die 7-Tage-Inzidenz verdreifacht: Sie liegt nun bei 170,8. Allein am 30. Oktober meldet das RKI 12 weitere Todesfälle im Zusammenhang mit Corona für den Erzgebirgskreis.
Schon seit dem 24. Oktober gelten in der Region verschärfte Corona-Maßnahmen, darunter eine reduzierte Personenzahl für Feiern und eine Maskenpflicht in Schulen sowie an Orten, an denen Menschen dicht zusammenkommen. Von 22.00 bis 5.00 Uhr gilt eine Sperrstunde für Gaststätten sowie ein Ausschankverbot für Alkohol.
Doch die Einhaltung dieser Maßnahmen ist nicht überall gewährleistet. So kann es in diesen Tagen durchaus passieren, dass man in einer Metzgerei vor einer Verkäuferin ohne Schutzmaske und Handschuhe und neben einem Kunden ohne Maske steht. Man sollte sich dann nicht wundern, wenn man keine positive Resonanz auf die Bitte um Einhaltung der Hygieneregeln, sondern ein "Ach, lassen Sie's doch" als Antwort erhält. Während die einen aktiv die Schutzmaßnahmen verweigern, trauen sich andere nicht, dagegen aufzumucken.
Dass dies so ist und auch so bleibt - in seinen Worten: "dass wir diesem grassierenden Wahnsinn Einhalt gebieten" -, dafür liefert Stefan H., der Kreisrat im Kreistag des Erzgebirgkreises, die passenden Argumente. Er hat für den heutigen 1. November eine weitere Kundgebung geplant.