Die Grenzen der Vernunft: Es ist alles sinnlos
Der Züricher Philosoph Michael Hampe gibt ein Interview über das Leben. Mit einer steilen These. Ein Vogelblick als Lebenslehre.
Michael Hampe ist ein deutscher Philosoph, den es nach viel Hin und Her irgendwann in die Schweiz verschlug. Von Hannover aus über Cambridge, Heidelberg, Dublin, Berlin, Kassel und Bamberg kam er zur ETH Zürich.
Er ist nicht nur Philosoph, sondern auch studierter Biologe. Seinem biologischen Sinn ist er gewissenhaft nachgekommen und hat Nachkommenschaft gezeugt. Über andere Arten, dem Leben Sinn zu verleihen, hat er viel nachgedacht, darüber ein Buch geschrieben und sich nun jüngst in Zeit online dazu interviewen lassen.
Anti-agil vor den Kopf stoßen
Der Artikel trägt den provokanten Titel "Es gibt keinen Sinn des Lebens". Diese steile These stößt nicht nur engagierten Sinnsuchern auf, sondern auch prinzipientreuen, die Hampe anlasten, dass er nicht von sich auf andere schließen könne. Kann er aber scheinbar locker.
Trotzdem ist ein leichtes Befremden ob dieser These nachvollziehbar, wenn gerade ein Philosoph sich so anti-agil äußert.
Schließlich wird landläufig davon ausgegangen, dass es unser Denken ist, das die Menschen über den Leistungsstandard einer Salatgurke emporhebt und dass es die Gilde der Philosophen ist, die die Menschheit mit weiterhelfenden Informationen zu einem dergestalt sinnbeschwerten Leben beliefert. Nur Herr Hampe nicht?
Der Moment des Vogels
Muss der Mann einen dauern, wenn er als Beispiel für einen scheinbar schönen und somit auch für Nichtphilosophen maximal sinnvollen Moment in seinem Leben davon berichtet, wie er einmal einen Vogel beobachtete? Er erzählt:
Ich war Ende 30, blickte durchs Fenster in den Garten. Da saß ein Vogel auf dem Ast eines Ginko-Baums. Er flog hinüber auf die andere Seite des Gartens, landete auf einem Pflaumenbaum. Dieser Moment war nach wenigen Sekunden vorbei. Im Nachhinein aber erschien er mir zeitlos. Der schimmernde Ast, der Flug des Vogels – wie ein ewiges Muster. Es stimmte mich heiter.
Ist das die bestmögliche Klimax eines Philosophenlebens? Augen auf bei der Berufswahl, mag man da meinen. Im ersten Moment.
Aber im zweiten beginnt angenehm zu wirken, wenn jemand einem mal nicht erklärt, was man zu tun und zu lassen hat, sondern "nur" eine kleine Art von lohnenswerter Reflexionsfläche in einem einzelnen Vogel findet. Das ist eigentlich doch nett.
Zum Glück waren es nicht mehrere Vögel, weil Hampe zwar gern das Erleben eines einzelnen Vogels gut finden darf, das im Dativ-Plural aber grammatikalisch weniger erhaben klingen würde. So aber erinnert sein Vogel an die bewährten Beispiele für das japanische Ikigai ( 生き甲斐).
An etwas, wofür es sich zu leben lohnt, an jenes intrinsisch motivierende Gefühl, wegen dem man morgens tendenziell eher aus dem Bett aufsteht, anstatt darin liegenzubleiben, vom Liegenbleiben mit einer Jahresdosis Schlaftabletten intus ganz abgesehen. Es geht auch anders.
Doch auch das ist ein Sinn, und sowas lehnt Hampe ja ab. Warum eigentlich?
Große Begriffe und ihre Grenzen
Denn Hampe will sich nicht von Begriffen zum Hampelmann machen lassen. Er mag sogenannte "Großbegriffe" nicht, wie eben zum Beispiel "Sinn", "Glück" oder sicher auch "Ornithologie". Nicht umsonst schrieb der Physiker Richard Feynman einmal, dass die Philosophie für Naturwissenschaftler ungefähr so nützlich sei wie Ornithologie für Vögel.
Hampe findet, dass solche Große-Felsblock-Begriffe den Blick auf Feinheiten des Alltags verstellen, weil wir schon alleine uns selbst kaum richtig betrachten könnten. Weil wir aus der Innensicht keine verlässlichen Angaben über uns liefern können. Alleine schon deswegen sei kein Sinn möglich.
Jede subjektive Innen-Sicht von allem ist nun einmal subjektiv – und noch dazu alle paar Augenblicke anders. Was jeder Kaffeetrinker vor und nach einer Tasse bestätigen wird: Der fühlt sich objektiv gleich, ist aber subjektiv anders und andersherum auch.
Und da setzt Hampe an und vergleicht mit einem Schinken, was auch mit Kaffee ginge: Beides kann man gefühlt total objektiv und zielorientiert wegen Hunger oder Durst zu sich nehmen.
Zwecklosigkeit und qualitatives Erleben
Was aber das "Qualitative" dabei anginge – für Hampe ist "qualitativ" das Empfinden fernab von rationalen Begriffen – das geht über reine Zweckorientierung hinaus rüber in Richtung interesseloses Wohlgefallen.
Es gibt also zielzweckorientiert und "qualitativ". Das unterscheidet Hampe digital. Und wenn er das sagt, dann wird das so sein. Denn er ist klug. Man kommt ja nicht an eine Schweizer Uni ohne Grund.
Ein Sprichwort lehrt uns aber, dass Kluge trinken und Dumme essen – was lustig ist, weil Hampe anhand des Beispiels Schinken den Unterschied zwischen zweckorientiert und "qualitativ" erläutert.
Er erklärt also mit einem Beispiel aus der Welt der Dummen, was er meint. Dass "qualitatives" Erleben zwecklos ist, insofern es keinen Zweck verfolgt wie zum Beispiel nicht zu verhungern. Sondern zwecklos stimmt heiter.
Diese Argumentation erinnert an die rhetorische Eleganz eines Adorno, der mal geschrieben hatte, dass es nach der Grausamkeit von Auschwitz keine Gedichte mehr geben dürfe und sich das Thema Schönheit auch gleich mit total und für alle Zeiten völlig erledigt habe.
Und dann erzählt er, dass doch etwas gäbe wie ein "Licht der Erlösung".
Das ist wie ein und dieselbe Sache in verschiedenfarbigen Pullovern – und im Kern vermutlich das Gleiche wie Hampes gottähnliche oder vielleicht wirklich Gott seiende "qualitative Muster, die sich selbst erschaffen und von dem wir Teil sind".
Zum Glück ist Gott ja nicht definierbar. Also muss man sich um das Göttliche dieses Empfinden nicht viele Gedanken machen.
Hampes Schönheit des Zwecklosen
Aber vielleicht darum, dass es dieses Empfinden ist, das uns von Maschinen unterscheidet, wenn wir mal ganz zwecklos im Liegestuhl im Garten herumhängen. Oder beten, malen, spielen oder wo ein Menschenleben retten, obwohl das normalerweise nix bringt außer Stress und Reinigungskosten für die Kleidung.
Hampes "Zwecklos" entzieht sich konsequent der Regentschaft von Begriffen. Seine Rede darüber ist genau genommen philosophische Anarchie, wegen der man die echauffierte Online-Kritik an seinem Buch "Wozu? Eine Philosophie der Zwecklosigkeit" nur konsequent und stimmig finden kann. Würde es durchweg gelobt, hätte Hampe etwas falsch gemacht. Das ist faszinierend und fast schon zu gut für diese Welt der Online-Rezensionen.
Aber Konfuzius wäre genauso rustikal rezensiert worden, wenn er auf Amazon besprochen worden wäre. Sollte Hampe aber in seinem nächsten Buch argumentativ nur einen winzigen Schritt weitergehen, dann werden die Buchexemplare zwecklos bis zur Fadenheftung davonfliegen auf die nächsten umliegenden Bäume. Wäre auch interessant.
Wie die Vögel dort dazu dann stehen, wird sich zeigen. Wie viel Sinn und Zweck Vögel in Hampes Garten haben, sollen Ornithologen beantworten und alle anderen mögen schweigen. Aber was dieses Interview angeht, das macht sogar viel Sinn.
Es dauert nur ein wenig, bis man dieses "Qualitative", den Zweck des Zwecklosen versteht – aber qualitativ hochwertiger Kaffee unterstützt das Begreifen. Etwas zu essen hilft auch. Und der Spaß, sich hier und dort auf Zwecklosigkeit berufen und dann Herrn Hampe namentlich für dieses Argument anführen zu können, der ist unbezahlbar.
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