Die "Gruppe Wagner" und andere internationale Schattenkrieger

Seite 2: Die internationale Söldner-Industrie

Wer 10.000 US-Dollar Monatsgehalt hoch findet, sollte die internationale Sicherheitsbranche mit in den Vergleich einbeziehen, denn Private Military Companies (PMC) haben sich weltweit zu einer höchst lukrativen Industrie entwickelt, deren Gesamtumsatz jährlich hunderte Milliarden Dollar erreicht. Nach einem Ende 2017 in der Berkeley Political Review erschienenen Artikel sind die Ausgaben der USA für ausgesourcte militärische Dienstleistungen von zehn Prozent im Zweiten Weltkrieg auf 50 Prozent im Afghanistankrieg angewachsen.

Bei Gesamtausgaben für diesen Krieg von astronomischen 2,26 Billionen Dollar wäre damit allein für die USA und Afghanistan die 100-Milliarden-Grenze pro Jahr schon erreicht. Objekt- und Personenschutz ist dabei schwer von unmittelbaren Kriegseinsätzen zu trennen, denn auch die Contractors in logistischen und Bewachungsaufgaben sind bewaffnet wie reguläre Soldaten oder sogar besser und sie dürften keine Hemmungen haben, davon Gebrauch zu machen.

Die Private Military Companies, auch Private Military Organizations genannt, können inzwischen auf eine sechs Jahrzehnte umspannende Entwicklung zurückblicken. In der modernen Form gehen sie auf den schottischen Offizier David Stirling zurück, der im Zweiten Weltkrieg die "Special Air Service Brigade" initiierte, 1943 in deutsche Gefangenschaft geriet und nach mehreren Fluchtversuchen bis Kriegsende im sächsischen Schloss Colditz einsaß, dem Hochsicherheitsgefängnis für alliierte Offiziere.

Danach organisierte er, in Sorge um den Niedergang des Empire, die Lieferung von Waffen und Söldnern an Drittländer im arabischen Raum und in Afrika. 1965 gründete er die erste richtige PMC, Watchguard International Ltd., die wie geplant im Schatten der Medien operierte und vor allem arabische und afrikanische Sicherheitskräfte trainierte. Im Internet ist sie nur noch als aufgelöst zu finden, und zwar seit dem 5. April 2022.

Die großen Chancen im Sicherheitsgeschäft witterte Ende der 1990er-Jahre der amerikanische Navy Seal Elitesoldat Erik Prince, der 1997 in North Carolina die PMC "Blackwater" gründete.

Zweck der Firma war nach seinen eigenen Worten, für die amerikanischen Streitkräfte das zu tun, was FedEx für die Post getan hat. Auf einem angekauften Gelände von 28 Quadratkilometern wurden Trainings-Anlagen gebaut und seit 2003 rollten regelmäßig öffentliche Aufträge von der CIA und verschiedenen Ministerien in Milliardenhöhe herein, vor allem im Personenschutz, Ausrüstung und Sicherheitsberatung sowie speziellen Einsätzen im Irak, im Jemen und weiteren Brennpunkten.

Nach mehreren Umbauten firmiert das Unternehmen unter der "Constellis Holdings Inc.", als "Academi". Erik Prince, Jahrgang 1969, verkaufte die Firma 2009 an eine Investorengruppe und leitet seitdem ein weitverzweigtes Private Equity Imperium. Prince, inzwischen milliardenschwer, ist aber weiter am Sicherheitsgeschäft interessiert. Nach der russischen Annexion der Krim wurde in der Ukraine über eine Legalisierung von PMCs debattiert, die aber nie zustande kam, weil die Armeeführung befürchtete, dass zu viele reguläre Soldaten zu den sehr viel besser zahlenden PMCs wechseln würden.

Die amerikanische Jamestown Foundation sammelt schwer zugängliche Informationen zu Ländern von strategischem Interesse für die USA, besonders China, Russland und Eurasien. In ihrem Magazin Eurasia Daily Monitor vom 31. März 2020 berichtete sie, dass Erik Prince bereit gewesen sei, Milliarden in Trainingszentren für PMCs in der Ukraine zu investieren. Das Geschäft sei aber wegen der Legalisierungsdebatte nicht zustande gekommen. Es ist kein Geheimnis, dass Academi mindestens seit 2014 in der Ukraine militärische Ausbildung für Armee und Freiwillige betreibt.

"Für 10.000 US-Dollar in die Hölle"

Unter dieser Überschrift berichtete die Süddeutsche Zeitung am 31. Mai 2010 über die schon damals über 100 Milliarden Dollar schwere Sicherheitsindustrie und ihre rund 100 Unternehmen. Der Artikel zitiert den Militärforscher Peter Singer von der Brookings Institution in Washington mit der Einschätzung "Im Irak sitzt eine internationale Koalition des Geldverdienens", während Präsident Bush von der "Koalition der Willigen" sprach.

Schon damals verdienten die Contractors im Irak zwischen 10.000 und 15.000 US-Dollar monatlich. In ihren Reihen kämpften damals Russen und Ukrainer gemeinsam in den gleichen Einheiten und für die gleichen Firmen. Für die PMCs waren die Profite enorm, die Verluste an Menschenleben irrelevant, da anonym und leicht durch neue Bewerber zu ersetzen.

Die Gewinne reichten auch locker für die politische Lobbyarbeit. Der SZ-Artikel beruft sich auf Presseberichte, nach denen im Jahr 2009 die zehn größten amerikanischen PMCs mehr als 30 Millionen Dollar für politische Werbekampagnen eingesetzt hätten. Aber für den Einsatz der PMCs entsteht durch die weltweiten Sicherheitsinteressen der USA und ihre mehr als 800 Stützpunkte rund um den Globus ohnehin ein ständiger Bedarf.

Zudem dürfte der amtierende Verteidigungsminister, Lloyd Austin, beste Verbindungen zur Sicherheitsindustrie haben, weil er nach seinem Ausscheiden aus der Armee über mehrere Jahre Direktor des zweitgrößten Rüstungskonzerns der USA war, der Firma Raytheon Technologies in Arlington, Virginia.

Eine Liste der wichtigsten PMC-Firmen findet sich bei Wikipedia (Link unten). Sie kommen aus vielen Ländern mit Schwerpunkten in den USA und Großbritannien, aber auch aus Australien, Frankreich, Polen, Gibraltar, Peru, Südafrika und der Türkei.

Auch, aber eher unbedeutend vertreten ist Deutschland. Die Asgaard German Security Group GmbH ist seit der Gründung 2007 mehrmals umgezogen und umstrukturiert worden. Der Name erinnert an Asgard, die Wohnung der altnordischen Götter und verrät daneben die Verbindungen zu rechtsextremen Kreisen.

Die Liste nennt für Russland neben der Wagner Gruppe noch vier weitere Firmen. Die Privatarmee von Gazprom taucht auf dieser Liste aber ebenso wenig auf wie die der anderen großen Öl- und Gasfirmen, die allesamt ihre eigenen Sicherheitskräfte einsetzen, um sich vor Sabotage der Förderungsanlagen und Pipelines zu schützen. Eine Studie des Washingtoner Think-Tanks Center for Strategic and International Studies (CSIS) vom Januar 2022 beschreibt die Entwicklung chinesischer Sicherheitsfirmen, die immer öfter zum Schutz chinesischer Interessen im Ausland eingesetzt werden.

Sie sind eine Ausweitung des dichten Netzes interner Sicherheitseinheiten unter dem zentralen Public Security Bureau (PSB). Allerdings seien sie vor allem im Objektschutz und in der Projektion chinesischen Einflusses tätig, während China darauf verzichte, die Volksbefreiungsarmee im Ausland einzusetzen. China ist zunehmend an Friedenssicherungsmissionen der Vereinten Nationen beteiligt und berät und trainiert daneben Polizei- und andere Sicherheitsorganisationen.

Die Männer, die für Geld töten

Die von den privaten Firmen eingesetzten "Contractors" sind oft ehemalige Soldaten, die früher als in anderen Berufen aus dem aktiven Dienst entlassen werden, in den meisten Ländern eher schlecht bezahlt worden sind und in der Regel keine attraktive zivile Anschlussverwendung finden, in die sie ihre militärischen Erfahrungen einbringen könnten.

Von den Firmen nach einer Zusatzausbildung endlich vernünftig bezahlt, sind sie vor allem daran interessiert, zu überleben und im Zweifel schneller zu schießen als alle Gegner oder Angreifer. Eigene Übergriffe bleiben regelmäßig ohne Folgen, weil sich alles im Graubereich abspielt und weder die Firmen noch die Regierungen, in deren Auftrag diese tätig sein mögen, ein Interesse an der Aufklärung von "bedauerlichen Zwischenfällen" haben.

Selbst ausgemachte Gräueltaten bleiben weitgehend unter der Decke. Die unten angegebene Studie des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IDRC) zeigt, wie weit die Realität der PMCs von den Regelungen des humanitären Völkerrechts abweicht und wie weit die sogenannte Völkergemeinschaft von einem längst notwendigen Konsens über eine Regelung entfernt ist, die den schlimmsten Missbrauch verhindern könnte.

Offenbar ist es "praktischer", die Schmutzarbeit den vielen privaten oder halboffiziellen PMCs zu überlassen und eine Fassade zu errichten, die hehre Ziele wie die Verteidigung der Menschenrechte und das Eintreten für Freiheit und Demokratie vorspiegelt. PMCs sind für die Politik so attraktiv, weil sie eine weit weniger sichtbare Alternative zum Einsatz des eigenen Militärs darstellen, weil sie innenpolitisch gut zu verkaufen sind und dazu auch trotz der eingesetzten Milliarden als kostengünstiger gelten.

Der Ukraine-Konflikt zeigt eine erstaunlich traditionelle Kriegsführung mit Schützengräben wie im Ersten Weltkrieg und verbissenen Häuserkämpfen Mann gegen Mann und Auge in Auge.

Artillerie und Panzer werden im großen Stil eingesetzt, obwohl sie durch moderne Kleinraketen nach dem Muster der Panzerfaust aus dem Zweiten Weltkrieg verwundbarer geworden sind als jemals zuvor. Dadurch bleibt der einzelne Soldat so wichtig wie eh und je, ob Söldner oder nicht, und das wird voraussichtlich auch in den zahllosen mittleren und kleineren Konflikten weltweit so bleiben.

Ob die extrem dynamische Entwicklung der Waffensysteme – mit Cyberkrieg, Drohnen und anderen Lenkwaffen, mit weitreichenden Lasern oder aus dem Weltraum gesteuerten Killer-Robotern – irgendwann den Rambo-Krieger ersetzen werden, bleibt ungewiss. So lange werden auch die Private Military Companies und ihre Schattenarmeen ihre lukrativen Geschäfte betreiben können.

Erfahrungsgemäß entwickeln eher die Verlierer eines Krieges als die Sieger pazifistische Neigungen und auch dies nur für eine beschränkte Periode. Deutschland und Japan sind prominente Beispiele und beide durchleben gerade ihre Zeitenwende. Gegenwärtig stehen die Zeichen der Zeit auf Aufrüstung, alles in der Hoffnung, dass sich damit mehr Sicherheit erkaufen lässt. Zweifel daran sind weder in der Politik noch in den Medien zu vernehmen.

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