Die Halbierung des Genesenen-Schutzes

Vor wenigen Tagen entschied das RKI, den offiziellen Genesenen-Schutz von sechs Monaten auf drei Monate zu halbieren. Damit ist die Schutzdauer für Genesene nur noch ein Drittel im Vergleich zu Geimpften

Die bisherige Einschätzung des RKI lautete: "Die derzeit verfügbaren klinischen und immunologischen Daten belegen eine Schutzwirkung für mindestens 6 – 10 Monate nach überstandener SARS-CoV-2-Infektion."

Die Folgerung hieraus war, den Genesenenschutz auf sechs Monate zu begrenzen. Wie auf Telepolis bereits ausführlich dargelegt wurde, widersprachen zu diesem Zeitpunkt zahlreiche wissenschaftliche Studien und Experten dieser Festlegung. Vielmehr galt ein Schutz von zwölf Monaten als die gängige Einschätzung. Auf Nachfrage von Telepolis erklärte das RKI hierzu, die Festlegung auf sechs Monate sei "eine politische Entscheidung".

Die Konsequenz der aktuellen Entscheidung: Ohne Vorankündigung, gleichsam über Nacht, wurden Hunderttausende Menschen ohne ihr Wissen zu Ungeimpften herabgestuft und bis zur (Zweit-)Impfung de facto aus dem öffentlichen Leben ausgeschlossen.

Und das, obwohl Lauterbach im Bundesrat und auf der Webseite des PEI versprochen hatte, dass Änderungen "mit angemessener Frist" bekanntgegeben werden," wie Benjamin Stibi moniert. (Das gleiche Schicksal ereilte Menschen, die mit Johnson & Johnson geimpft sind.)

Der Immunschutz

An dieser Stelle sei noch einmal auf die Worte von Alexander Kekulé verwiesen:

Es ist ganz schön vermessen, dass die Menschen, die sich irgendetwas ausgedacht haben, um die Natur zu kopieren - nichts Anderes ist ja ein Impfstoff.

Dass die glauben, dass sie besser wären mit ihrem Impfstoff, den sie jetzt gerade mal ein halbes Jahr in Betrieb haben, als das seit Millionen von Jahren, genauer gesagt seit Milliarden von Jahren entwickelte Immunsystem des Menschen. Unser Immunsystem ist, sage ich jetzt einfach mal, mit hoher Wahrscheinlichkeit besser als alles, was wir so nachbasteln können.

Alexander Kekulé

Natürlich gilt es zu betonen, dass dies nicht bedeuten kann, Menschen sollten sich freiwillig infizieren. Aber es ist ein wichtiger Gesichtspunkt zum Immunschutz nach einer Infektion im Vergleich zur Impfung. Daher stellt sich natürlich zwingend die Frage, warum nun eine Impfung gar dreimal so lange schützen soll wie eine überstandene Krankheit. (Ab dem 1. Februar ist das Impfzertifikat nicht mehr zwölf Monate, sondern nur noch neun Monate gültig).

Dies widerspricht vollkommen der Erfahrung von der Delta-Variante. Während Genesene meist einen Schutz von zwölf Monaten hatten, war bei der Impfung bereits nach einigen Monaten ein deutlicher Rückgang der Wirkung zu verzeichnen. Als illustrierendes Beispiel kann auch aktuell auf das Kanton Zürich verwiesen werden (S. 27, PDF). Es finden sich so gut wie keine reinfizierten Genesenen im Krankenhaus.

Erklärung des RKI

Auf Anfrage von Telepolis zur Aktualisierung der Vorgaben für einen Genesenennachweis erwiderte das RKI:

Aufgrund der Änderung der Schutzmaßnahmen-Ausnahmeverordnung und die Einreise-Verordnung vom 14.1.2022 ist dem RKI die Aufgabe zugewiesen, die fachlichen Vorgaben für den Genesenenstatus zu erstellen. Das hat das RKI im Kontext dieser Verordnungen getan. Die Dauer des Genesenenstatus wurde von 6 Monate auf 90 Tage reduziert, da die bisherige wissenschaftliche Evidenz darauf hindeutet, dass Ungeimpfte nach einer durchgemachten Infektion einen im Vergleich zur Deltavariante herabgesetzten und zeitlich noch stärker begrenzten Schutz vor einer erneuten Infektion mit der Omikronvariante haben.

RKI

Dies widerspricht der Einschätzung von Alexander Kekulé:

Eine Omikron-Infektion, die man durchgemacht hat, schützt interessanterweise mit einer guten Wahrscheinlichkeit auch vor einer Delta-Infektion. Das heißt: Omikron immunisiert besser als die Impfungen gegen Delta. Und was heißt das?

Das heißt, wir verstehen jetzt das, was sowieso offensichtlich ist, dass Omikron nämlich in der Lage ist, Delta zu verdrängen. (…) Dass Delta so komplett verschwindet in der Omikron-Welle – überall, wo wir es gesehen haben, in Deutschland ist es ja noch im Prozess – das liegt eben daran, dass die Omikron-Infektion zumindest kurzzeitig vor einer Delta-Infektion schützt.

Alexander Keulé, Interview im MDR

Wissenschaftliche Begründung des RKI

Auf Nachfrage von Telepolis antwortet das RKI: "ergänzend zur schon erwähnten wiss. Begründung der Stiko" mit diesen Referenzen:

"(1) Neil Ferguson, Azra Ghani, Wes Hinsley and Erik Volz. Hospitalisation risk for Omicron cases in England. Imperial College London (22-12-2021)
(2) UK Health Security Agency: SARS-CoV-2 variants of concern and variants under investigation in England. Technical briefing 34."

Die beiden britischen Untersuchungen stellen unter anderem fest, dass sich die Anzahl der Reinfektionen bei Omikron erhöht. Es fällt allerdings auf, dass keine der beiden Untersuchungen eine Aussage über die Schutzdauer von Menschen treffen, die mit der Omikron-Variante infiziert sind. (Das RKI schreibt explizit von dem verringerten Immunschutz vor Omikron von Menschen, die sich mit der Delta-Variante infiziert hatten).

Tatsächlich ist auch derzeit überhaupt nicht möglich, über die Schutzdauer von an Omikron-Infizierten zu urteilen, da hierfür noch gar nicht ausreichend Zeit ins Land gegangen ist. Wie also kann die Stiko eine Aussage hierüber treffen? Vor allem: Wie kann die Stiko die Gewissheit haben, dass sich diese Schutzdauer nur noch auf drei Monate beläuft?

Auf die entsprechende Nachfrage, wie die Stiko überhaupt jetzt schon eine Aussage zum Immunschutz nach einer Infektion mit Omikron treffen kann, erwiderte das RKI, man habe dem Gesagten nichts mehr hinzuzufügen.

Begründung von Experten

Experten äußern sich zu dieser Frage deutlicher: Klaus Stöhr, Virologe und Epidemiologe und ehemaliger Leiter des Globalen Influenza-Programms und SARS-Forschungskoordinator, kommentiert auf Twitter: "Das sollen die Daten sein, die Verkürzung des Genesenenstatus auf 3 Mon in D zu begründen? Wieviel Eigentore kann man eigentlich schießen: es wird jetzt sehr schnell immer mehr Genesene geben; mit mehrfacher Infektion! Soll das zum Impfen motivieren?"

Auf Nachfrage von Telepolis erklärte Alexander Kekulé kurz und bündig: "für die Anerkennung des Genesenenstatus von 3 mo und gleichzeitige Anerkennung der Impfung für 9 mo gibt es keine wissenschaftliche Begründung."

An einer anderen Stelle betont Kekulé: "Die Verkürzung des Genesenenstatus ist auch deshalb problematisch, weil sich in den kommenden Wochen sehr viele Menschen mit Omikron infizieren werden, die dann natürlich gegen eine weitere Infektion mit Omikron besser geschützt sind als die Geimpften." (Als Hintergrund sei an dieser Stelle erwähnt, dass die Impfung weiterhin auf dem Wuhan-Variante basiert und nicht auf der Omikron-Variante).

Hendrik Streeck, Direktor des Institutes für Virologie und HIV-Forschung an der Medizinischen Fakultät der Universität Bonn, der dem Expertenrat der Bundesregierung angehört, erklärt:

Es obliegt natürlich dem Robert-Koch-Institut, festzulegen, wie lange der Genesenenstatus gültig sein soll. Aber wir müssen wirklich aufpassen, dass die Entscheidungen auf fundiertem Wissen basieren und nicht willkürlich getroffen werden. In der Schweiz wurde der Genesenenstatus jüngst aus guten Gründen auf zwölf Monate verlängert. Dass eben jener Status in Deutschland auf drei Monate verkürzt wird, ist aus meiner wissenschaftlichen Erkenntnis nicht erklärbar.

Hendrik Streeck

Erklärung der Stiko

In ihrer Antwort verweist das RKI auf die Begründung der Stiko für die Empfehlung zur Verkürzung des Impfabstands zwischen Grundimmunisierung bzw. Infektion und Auffrischimpfung auf einen Zeitraum ab drei Monaten:

Die STIKO ändert ihre Empfehlung zur COVID-19-Auffrischimpfung hinsichtlich des Impfabstandes. Wie das Epidemiologische Bulletin 2/2022 ausführt, kann (Hervorhebungen sind vom Autor) die Auffrischimpfung mit einem mRNA-Impfstoff für Personen ≥18 Jahre bereits ab dem vollendeten 3. Monat nach Abschluss der Grundimmunisierung verabreicht werden. Personen, die eine labordiagnostisch gesicherte SARS-CoV-2-Infektion durchgemacht haben, sollen bis auf weiteres eine einmalige COVID-19-Impstoffdosis im Abstand von mindestens 3 Monaten zur Infektion erhalten.

Stiko

Vorsichtig formuliert, ist eine Verkürzung der offiziellen Schutzdauer auf drei Monate angesichts dieser Erklärung erstaunlich. Denn man "kann (…) bereits" nach drei Monaten sich impfen lassen und "soll" die einmalige Impfdosis "im Abstand von mindestens 3 Monaten" nach Infektion erhalten.

Mit anderen Worten: Die Schutzdauer ist so kurz berechnet, dass der Mensch sich exakt drei Monate nach seiner Infektion impfen lassen muss, um nicht vorübergehend seinen offiziellen Schutz zwangsläufig zu verlieren und aufgrund der 2G-Regelung ebenso wie Ungeimpfte ausgeschlossen zu sein.

Die Frage lautet auch: Fallen Minderjährige aufgrund des kurzen Genesenenstatus automatisch in den Status eines Ungeimpften zurück, da sie sich nicht schon nach drei Monaten impfen lassen dürfen?