Die Halbwertszeit der Prominenz wird kürzer
Nach einer Auswertung der Bestsellerliste für Bücher in den USA halten sich Bestseller immer kürzer auf Platz 1, dafür erreichen diesen aber mehr - ein verallgemeinerbarer Trend?
Prominenz ist in der medialen Aufmerksamkeitgesellschaft zu einem wichtigen Karrierefaktor geworden. Prominenz ist ein Medienprodukt, weil Medien, die kollektiven Aufmerksamkeitsorgane der Gesellschaft, einerseits Prominenz schaffen, aufgrund der Quote oder Reichweite, also der Angewiesenheit auf den Aufmerksamkeitsindex, selbst wieder auf Prominenz ausgerichtet sind, da primär nur das Aufmerksamkeit findet, was bereits Auferksamkeit akkumuliert hat und diese halten kann, oder was sich aufgrund seiner neuen ungewöhnlichen Qualitäten Aufmerksamkeit verschafft. Prominenz und Medien bedingen einander. Wenn allerdings allgemein zutrifft, was Veränderungen bei den Bestsellern in den USA zeigen, wird Prominenz immer schneller verschlissen.
Noch vor 50 Jahren lief die Zeit offenbar sehr viel langsamer ab als heute. Zudem war die Globalisierung noch nicht so weit vorangeschritten. Daher konnten sich Prominente und Prominenz nicht nur länger halten, sondern waren auch eher als nationale Größen. Die Konkurrenz in der primären Aufmerksamkeitsökonomie der Medien war mithin noch nicht so ausgeprägt, weil es weniger Medien, weniger Stars und weniger Produkte gab.
Nach einer interessanten Analyse der Bestsellerliste der New York Times betrug deren Lebensdauer in den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts in den USA noch 16,4 Wochen. Solange konnten sich Bestseller auf Platz 1 halten. In den sechziger Jahren stieg die „Lebenserwartung“ sogar noch einmal auf 21,7 Wochen an, um dann in den Siebzigern steil auf 13,9 Wochen abzustürzen. Seitdem verkürzt sich die Dauer der Prominenz kontinuierlich. In den 90er Jahren konnten sich Bestseller noch durchschnittlich 5,5 Wochen ganz oben halten, in diesem Jahrzehnt nur noch 3 Wochen. Nicht sehr viel anders dürfte es in anderen Bereichen wie in der Musik oder beim Film aussehen.
Die Kehrseite des kürzer werdenden Erfolgs und Ruhms ist, dass mehr Bücher die Chance haben, ganz nach oben zu kommen. In den 50er Jahren waren das noch für 3,8 im Jahr, in den 80ern schon 7,6 und zwischen 2000 und 2005 bereits 18,2. Das ist, so könnte man sagen, eigentlich ein gutes Zeichen. Trotz des Flaschenhalses der selektiven Aufmerksamkeit kann aufgrund der zunehmenden Konkurrenz durch die wachsende Vielfalt der Medien und der schnelleren Verbreitung sowie größeren Flüchtigkeit Prominenz zwar prinzipiell nie Chancengleichheit bieten, weil die Aufmerksamkeitsökonomie darauf basiert, dass nur Weniges im Vordergrund steht und das Meiste im Dunklen bleibt. Aber die Zahl derjenigen Menschen, Themen oder Produkte, die prominent werden können, nimmt offenbar zu – allerdings gleichlaufend auch die Gesamtzahl der "Anwärter". In den USA kamen 1993 104.000 Bücher auf den Markt, 2004 waren es 190.000. Ähnliche Steigerungen lassen sich auch auf den anderen nationalen Märkten feststellen.
Dieser Trend hin zur größeren Durchlässigkeit geht möglicherweise auch mit einer wachsenden Instabilität einher. So ist zwar das Buch „The Da Vinci Code“ von Dan Brown, der erfolgreichste Bestseller seit langer Zeit, zwischen November 2003 und Februar 2004 13 Wochen lang ununterbrochen an erster Stelle gelegen. Auch danach hat es das Buch immer wieder auf die Nr.1 geschafft, aber stets nur kurz und abgelöst von anderen. Platz-1-Kandidaten sind zudem anscheinend mehr und mehr Krimis oder Thriller.
Allerdings könnte im Hinblick auf die festgestellte kürzere Lebensdauer nur die Bewertung des ersten Platzes in die Irre führen. Würde man die ersten 10 Plätze berücksichtigen, dann wären die Ergebnisse vielleicht nicht so unterschiedlich. Zudem dürfte aber auch ein von der Analyse nicht beachteter Trend sein, dass der Abstand zwischen dem kommerziellen Erfolg der Bücher, die an den ersten Stellen der Bestsellerlisten stehen, zu den folgenden immer größer wird. Hier geht, wie überall sonst auch, eine Schere zwischen den (Aufmerksamkeits-)Armen und Reichen auf. "Von den Umsätzen, die der Buchhandel im ersten Halbjahr 2005 mit den 50 am besten verkauften Titeln gemacht hat, gingen bei den Romanen allein 30,56 Prozent auf das Konto der drei bestplatzierten Titel“, gab etwa der Buchreport im letzten Jahr bekannt.
Die Untersuchung wurde von Lulu.com, einem Anbieter von Books-on-demand durchgeführt. Die Branche ist noch keine wirkliche Konkurrenz für die herkömmlichen Verlage, weist aber daraufhin, dass Online-Publikationen und neue Vertriebswege die Situation verändern. Bob Young will denn auch eine „Revolution“ im Buchhandel sehen, die sich durch Überproduktion und Fragmentierung sowie durch neue Techniken wie Internet und eben Books-on-demand kenntlich mache. Der Buchmarkt sei chaotischer, Bestseller würden eher Eintagsfliegen gleichen, es gebe einen Trend hin zu Nischen-Bestsellern“ Allerdings gibt es neben dem Trend zur Verbreiterung von „prominenten“ Titeln auf geringerem Niveau denjenigen zu globalen Bestsellern, die an Prominenz und Gewinnen mehr als jemals zuvor einfahren. Es kommt halt immer auf die Interpretation an.