Die Herren der Selva

Auswirkungen des Kriegs auf eine südkolumbianische Stadt

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Kolumbien

Der kolumbianische Präsident Andrés Pastrana hatte am 21.2. die seit drei Jahren laufenden Friedensverhandlungen mit den kommunistischen Revolutionären Streitkräften Kolumbiens (FARC-EP annulliert und eine militärische Grossoffensive (siehe Bomben statt Waffenstillstand) gegen die mehr als 20.000 bewaffneten Rebellen starten lassen.

Den Effekt dieser Entscheidung bekommt besonders die Stadt Florencia mit ihren 240.000 Einwohnern zu spüren. Sie liegt im Westen der tropischen Provinz Caquetá, nur drei Autostunden von der ehemals entmilitarisierten Rebellenzone entfernt. Einheiten des ansässigen 12. Armeebataillons wurden Richtung Osten zum Einsatz gegen die Rebellen verlegt, Polizeieinheiten in auf dem Weg liegende Dörfer geschickt, um Polizeistationen zu verstärken. Also fehlende Sicherheitsmassnahmen in einer Stadt, die als ein Knotenpunkt militärischer Operationen und Planungen gilt. Ein Umstand, den die Guerilla auszunutzen wusste.

Kolumbianische Armee im Antiterror-Einsatz mit amerikanischen Black Hawks. Foto: Verteidigungsministerium

Seit dem 21. Februar sprengten die FARC ein halbes Dutzend Brücken um Florencia, zerstörten zwei Telekommunikationstürme und weitaus mehr Strommasten inner- und ausserhalb der Stadt. Landesweit ganze 126 in den ersten zwei Monaten dieses Jahres. Neben Sabotageaktionen an der Wasserversorgung, die Florencia auf dem Trockenen sitzen lässt, gibt es keinen Strom, kein Telefon und immer weniger Benzin. Hunderte Generatoren rattern in den Strassen, um ein Minimum an notwendiger Energie zu produzieren.

"Das Land muss verstehen, dass die Konfrontation, die wir heute erleben, zwischen der Demokratie, so unvollkommen sie auch sein mag, und der Barbarei stattfindet." - Der kolumbianische Verteidigungsminister und Vizepräsident Gustavo Bell Lemus am 27.2.

Ziel der Guerilla ist es, den ganzen Süden Kolumbiens zu isolieren. Schon nach einer Woche scheint dieses erreicht. In Florencia wurden wenige Tage nach Abbruch der Verhandlungen die Lebensmittel knapp. Der zentrale Gemüsemarkt war am 25. Februar leergefegt. Hamsterkäufe setzten ein, um sich mit den Resten für die nächsten Wochen zu wappnen.

Petitionen an Fluglinien und Transporteure, Benzin und Lebensmittel zu liefern, wurden abgelehnt. Flüge mit Treibstoff und Lastwagen-Konvois über die Gebirgszüge sind den Händlern zu gefährlich. Die Gefahr ist groß, von der Guerilla abgeschossen oder auf den teils unpassierbaren Strassen ausgeraubt zu werden. Am 28. Februar schickte die kolumbianische Luftwaffe eine erste Lieferung von 60 Tonnen Lebensmitteln und ein Treibstoffflugzeug in die Stadt, um die Grundversorgung wieder herzustellen.

Fehlende Kapazitäten bei der Armee

So hat sich nach der ersten Woche das abgezeichnet, was bei allem militärischen Säbelrasseln abzusehen war. Die Guerilla war und ist weiterhin die Hausmacht im Süden Kolumbiens. Fast alle Strassen sind weiter unter ihrer Kontrolle. Taxifahrer berichteten von mehreren Strassensperren der Guerilla zwischen San Vicente und Florencia. Was der Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt zum Verhängnis wurde: Um werbewirksam Souveränität und Mut im Wahlkampf zu beweisen, setzte sie sich am 23. Februar trotz Warnungen mit ihrem Team und einer französischen Fotojournalistin in Florencia in ein Auto Richtung San Vicente. Nur kurz darauf wurden sie von den FARC verschleppt.

Am 28. Februar trat General Gustavo Porras, verantwortlich für das Bataillon in Florencia, von seinem Posten zurück. "Mein Schritt ist kein Sieg der FARC und bedeutet nicht die Niederlage der Armee. Es ist nur die Entscheidung eines Verantwortlichen, dessen Aufgabe nicht realisierbar war", begründete er seinen Rücktritt. Die Armee sei nicht in der Lage, die Infrastruktur der Zone zu schützen. Schon nach wenigen Kilometern ausserhalb der Stadt überquert man Brücken, die unbewacht sind und deren Zerstörung nur eine Frage von Tagen sind.

Seine Lösung: Eine Bewaffnung der Zivilbevölkerung, um die Armee zu unterstützen. Den gleichen Vorschlag machte auch das War College der US-Armee. Demnach sei eine Bewaffnung von lokalen Gruppen notwendig, um das Territorium zu kontrollieren. Dieser Vorschlag lässt sich als ein Legalisierungsversuch der rechten Paramilitärs werten, die als extralegale Milizen seit Jahren mit Greueltaten und vielfachen Verbindungen zur Armee für Schlagzeilen sorgen. Fast täglich verüben diese Gruppen, deren Zahl auf 8.000 Kämpfer geschätzt wird, Massaker an der Zivilbevölkerung. Eine schmutzige Methode, um der landesweiten Guerillapräsenz Herr zu werden und deren soziale Basis zu eliminieren.

So begrenzte sich zunächst die Militäroperation "Thanatos" auf Bomben in der ehemaligen FARC-Zone und punktuelle Besetzungen von Ortschaften. Die Luftwaffe hatte in den ersten Tagen nach dem Verhandlungsabbruch hunderte Bomben mit einem Zerstörungsradius von bis zu 100 Meter über mutmaßliche Rebellenstellungen abgeworfen. Über Hubschrauber wurden Soldaten in die fünf Bezirksstädte abgesetzt. "Es wird mindestens sechs Monate dauern, bis wir die komplette Zone kontrollieren", beschwichtigte Fernando Tapias, Oberkommandeur der kolumbianischen Streitkräfte, die offensichtliche Erfolglosigkeit seiner Truppen im Kampf gegen die Rebellen. Und setzte nach: "Die Guerilla mischt sich in zivil unter die Bevölkerung, das macht es für uns schwierig, die Terroristen auszumachen."

Bevölkerung zwischen den Fronten

Die Folgen für die Zivilbevölkerung sind fatal, da jeder Bauer zu einem potenziellen militärischen Ziel wird. In der ehemaligen Rebellenzone leben 120.000 Menschen,viele versuchten in den ersten Tagen der Bombardierungen, das Gebiet zu verlassen, nachdem Todeslisten der Paramilitärs die Runde machten. Jedoch vergebens. Die Armee als auch die Guerilla liessen die Menschen nicht ihre Straßensperren passieren, so dass für Hilfsorganisationen nicht absehbar ist, wieviele Flüchtlinge derzeit im Gebiet umherirren. Nachdem am 21. Februar das Dorf Rubi von der Luftwaffe bombardiert wurde - zwei Kinder und ein Erwachsener starben - sollen rund 500 Menschen die Flucht angetreten haben. Seitdem weiß niemand, wo sie verblieben sind. Erst in den nächsten Wochen wird sich abzeichnen, wie groß die Opferzahlen durch die Militär- und Guerillaoffensive sind.

Erstmals Kriegszustand ausgerufen

Am 1. März rief die kolumbianische Regierung für die südlichen Landesteile den Kriegszustand aus. Damit übernimmt erstmals in der Geschichte Kolumbiens die Armee die Kontrolle der öffentlichen Ordnung in den Gebieten und kann per Dekret das Zivilrecht einschränken.

"Der Kampf gegen die Guerilla wird uns viel Kraftanstrengungen fordern", sagte Pastrana. Besonders der Zivilbevölkerung, die des seit 38 Jahren anhaltenden Bürgerkrieges müde ist. In den letzten zehn Jahren fielen dem Konflikt rund 40.000 Menschen zum Opfer, über zwei Millionen gelten als interne Flüchtlinge. Auch in dieser neuen Runde der Kriegshandlung statt Friedensverhandlung werden Zivilisten die Leidtragenden bleiben. Denn die hochgerüstete FARC werden die modernisierten Streitkräfte, die nun mit intensivierter US-Unterstützung in den Kampf ziehen, nicht schlagen können.

"Wenn es mindestens 5.000 Tote mehr gibt, werden wir wieder verhandeln", mutmaßte ein FARC-Kommandant dieser Tage. Wer die besseren Bedingungen davontragen wird, beweisen die nächsten Wochen.