Die Hölle liegt also in der Schanze

Seite 3: Im Auftrag des Herrn

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Im Laufe des Abends wurde - berechtigterweise - darauf hingewiesen, es sei auffällig, dass, obwohl immer mehr Einsatzkräfte in der Hansestadt zusammengezogen würden, ausgerechnet in den Vierteln um den Tagungsort rechtsfreie Räume entstünden, in denen dann die entsprechenden Bilder für die Medien produziert würden, die die Politikerinnen und Politiker bräuchten, um die Kritik am G20 zu delegitimieren. Ob da nicht eventuell staatlicherseits nachgeholfen worden wäre? Das klingt zunächst wie eine der üblichen Verschwörungstheorien, ist jedoch nicht völlig von der Hand zu weisen.

Die Medien sind tatsächlich voll von den Bildern der Verwüstung und Zerstörung. In der Nacht wurde auf verschiedenen Kanälen, z. T. über einen langen Zeitraum, live aus dem Stadtteil berichtet. So weit die Reporterinnen und Reporter vor Ort ans Geschehen kommen konnten. Allerdings wurde immer wieder darauf hingewiesen, und zwar in verschiedenen Sendern, dass dies ein Teil, und zwar zahlenmäßig ein sehr kleiner Teil der Proteste sei.

Die Bilder von brennenden Müllcontainern und Autos wurden konterkariert von solchen von den Demos und Aktionen der vergangenen Tage, auf denen bunte, fröhliche Menschen zu sehen waren.

Doch zurück zu der Frage nach dem Einsatz sogenannter Agents Provocateur, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Geheimdienste, die nicht nur undercover spionieren, sondern die Aktionen ganz bewusst in Richtung Gewaltausübung treiben.

Das klingt zunächst einmal spinnert. Bei genauerer Betrachtung ist das nicht völlig abwegig. So ist z.B. bekannt, dass bei den blutigen Straßenkämpfen anlässlich des G-8-Gipfels in Genua vom 20. - 22.7.2001 V-Leute in den "schwarzen Block" eingeschleust worden waren, ihnen angebliche "Waffen" untergeschoben und Beweise manipuliert wurden.

Auch im Zusammenhang mit den Protesten gegen den unterirdischen Bahnhof in Stuttgart, bekannt als S-21, war die Rede von Provokateuren, die von der Staatsmacht gezielt eingeschleust worden waren.

In Bezug auf die Szene um die "Rote Flora" ist bekannt, dass auch dort Undercover-Leute eingeschleust wurden (Floragate), die eigenständig aktiv Politik gemacht haben, u.a. Sendungen im Freien Sender Kombinat, ein linkes Radioprojekt, und als Vertreterinnen von Gruppen zu Bündnistreffen gegangen sind, dort aktiv ins Geschehen eingegriffen und für Zwist zwischen verschiedenen beteiligten Gruppierungen gesorgt haben, u.a. im Vorfeld der Bambule-Demos.

Bekannt ist auch, dass der Verfassungsschutz die rechten Strukturen u.a. in Thüringen mit aufgebaut hat und es z.B. ohne deren Unterstützung den Hess-Gedenkmarsch nicht gegeben hätte. Das gibt der Neonazi Tino Brandt, der den Marsch organisierte, in der Dokumentation "Der NSU-Komplex" von Stefan Aust unumwunden zu.

Das ist in dem Zusammenhang insofern interessant, als das klar wird, wie weit dieser Staat zu gehen bereit ist. Auch wenn bislang völlig unklar ist, warum eigentlich. So schreibt der Spiegel in dem oben erwähnten Artikel zu den Ausschreitungen in Genua:

In Genua seien "die Menschenrechte in einem Ausmaß verletzt worden", resümierte die Gefangenenhilfsorganisation Amnesty International nach einer Befragung von Zeugen aus 15 Ländern, wie man es "in der jüngeren Geschichte Europas nicht mehr erlebt" habe. Die Arbeit der Staatsanwaltschaft stützt diesen Befund. Nur eine Gruppe unter den vielen tausend "No Global"-Protestierern entkam den Attacken der Ordnungshüter regelmäßig: der im Polizeijargon "Schwarzer Block" genannte internationale Schlägertrupp, der seit etlichen Jahren bei vielen Demonstrationen mitmischt, egal, wogegen es geht.

Der Spiegel

Genau das war am vergangenen Freitag auch in Hamburg zu beobachten.

Die schwarz gekleideten und vermummten Krawallos zerschlugen Schaufenster und Mobiliar von 34 Banken, 126 Geschäften, 6 Supermärkten, 9 Postämtern und steckten laut offizieller Bilanz 226 Autos an. Doch seltsam, obwohl sie ihr Unwesen oft nur wenige Meter neben einer martialisch ausgerüsteten Polizeimacht trieben, wurde von den Schwarz-Block-Randalierern nicht einer auf frischer Tat verhaftet.

Und noch etwas war eigenartig. Im vermeintlich linksradikalen Randalehaufen, so viel ist inzwischen klar, mischten Dutzende rechtsradikaler Schläger mit. Die Polizei wusste vorher darüber bestens Bescheid. In einem internen Dokument, später in Zeitungen veröffentlicht, beschreiben die Sicherheitsbehörden noch vor dem G-8-Gipfel, wie Mitglieder der Neonazi-Gruppen "Forza Nuova" und "Fronte Nazionale" sich unter die Anarchistentruppe mischen und Randale machen wollten, um "die Linken" in Misskredit zu bringen. Konsequenzen hatten diese Erkenntnisse wohl nicht

Der Spiegel

Und das, so viel ist gewiss, ist keine Verschwörungstheorie, sondern das Ergebnis intensiver staatsanwaltlicher Aufarbeitung der Geschehnisse in Genua. Eine solche Aufarbeitung fordert auch die Fraktion der Partei DIE LINKE in der Hamburgischen Bürgerschaft in einer Pressemitteilung, in der sie sich ausdrücklich von den gewalttätigen Ausschreitungen distanzieren:

Wir sind entsetzt und fassungslos über die Ereignisse der letzten Nacht, über die zerstörerische Gewalt, die sich in unserer Stadt ausgetobt hat. Hier haben Kräfte die Proteste gegen den G20 okkupiert, die mit dem Ziel einer besseren, einer solidarischen Welt nichts zu tun haben. Sie haben sie okkupiert um sich auszutoben, um zu zerstören, ohne Rücksicht auf Gesundheit und Leben anderer. Die Polizei hatte einen schweren und gefährlichen Einsatz. Wir wünschen allen Verletzten eine schnelle und vollständige Genesung. Die Zeit der Aufarbeitung beginnt morgen. Heute werden wir wieder gegen die G20 demonstrieren, friedlich und solidarisch.

Die Linke Hamburg

Diese Demo am Samstag unter dem Motto "G20 not welcome: Grenzenlose Solidarität statt G20" wurde von dem Hamburger Bundestagsabgeordneten der LINKEN, Jan van Aken, angemeldet. Organisiert wird sie von einem breiten Bündnis zahlreicher antikapitalistischer und autonomer aber auch sozialer Gruppen und Organisationen: DIE LINKE, das globalisierungskritische Netzwerk "Attac", die Alevitische Gemeinde Hamburg, der Flüchtlingsrat Hamburg und die BUND Jugend. Ein Bündnis, wie es das schon zig mal gab in der Hansestadt und das gänzlich unverdächtig ist, Krawall-Demos zu organisieren. Allerdings werden für die heutige Demo etwa 100.000 Menschen erwartet. Da kann niemand eine Garantie dafür übernehmen, wer sich unter die Teilnehmenden mischt - in wessen Auftrag und/oder mit welchem Interesse auch immer, im Auftrag des Herrn, und falls ja, welches Herrn?

Für die Anwohnerinnen und Anwohner des Schanzenviertels und der übrigen in Mitleidenschaft gezogenen Stadtteile bleibt zu hoffen, dass die mit Ausnahme der geschilderten Gewalt-Exzesse bunten, fröhlichen, phantasievollen und auch durch ein umfangreiches inhaltliches Programm bestimmten Proteste ein dem angemessenen Abschluss finden werden, weitere Randale unterbleibt, das martialische Arsenal der Einsatzkräfte, insbesondere die Hubschrauben, die den Anwohnenden seit Montagnacht den Schlaf rauben und die hochgerüsteten Einsatzkräfte abgezogen werden und sich am morgigen Sonntag alle von den Strapazen erholen können.

Kraft schöpfen für die politischen Auseinandersetzungen, die dieser Woche unweigerlich folgen müssen. Im Parlament, aber auch in den Reihen der an den Protesten beteiligten Gruppierungen.