Die Hohenzollern als Flak-Helfer?
Seite 2: Defensiver Sprachgebrauch
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In der Studie wurden leitfadengestützte Interviews mit zehn Betroffenen (fünf Journalist*innen und fünf Wissenschaftler*innen) geführt. Die Ergebnisse zeigen den Autoren zufolge, dass es der Hohenzollern-Familie zwar nicht gelungen sei, die Berichterstattung und Forschung zu unterbinden. Doch haben laut Studie die Abmahnungen und Klagen zu einer teilweise erheblichen Verunsicherung geführt, vor allem wegen des finanziellen Risikos, sowie zur Beeinträchtigung der Arbeit durch großen Aufwand an Ressourcen.
Bei den befragten Journalisten habe das juristische Vorgehen der Hohenzollern hauptsächlich zu einem defensiveren Sprachgebrauch geführt, zuweilen aber auch zu einer Vermeidung des Themas. Die Wissenschaftler*innen wiederum hätten sich vernetzend solidarisiert und forschten weiterhin zu der Thematik, äußerten sich jedoch laut Studie in der Folge seltener in klassischen Medien. In beiden Berufsgruppen habe es somit Anzeichen für einen chilling effect gegeben, also für hemmende, entmutigende Wirkungen.
Diese Anzeichen könnten als Verluste für die allgemeine Öffentlichkeit gewertet werden. Besonders bedroht von der juristischen Vorgehensweise seien freie Medienschaffende, Journalist*innen kleinerer Medien und befristet beschäftigte Doktorand*innen, die finanziell, sozial und nicht zuletzt juristisch weniger gut abgesichert seien.
Verlust für die Öffentlichkeit
Im Jahr 2022 seien in Europa rund 160 derartige offenbar missbräuchliche Klagen eingereicht worden – der höchste je gemessene Jahreswert. Die Dunkelziffer sei vermutlich höher, so Studienautor Krüger vom Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft der Uni Leipzig.
Seit mehr als zehn Jahren sei eine wachsende "Verrechtlichung des Journalismus" zu beobachten. Die Betroffenen – vor allem Journalist*innen, Umwelt- oder Menschenrechtsaktivist*innen, Künstler*innen oder Wissenschaftler*innen, die sich zivilgesellschaftlich und im Sinne des Allgemeinwohls engagieren – sollten mit zermürbenden und kostenintensiven rechtlichen Auseinandersetzungen eingeschüchtert werden.
Insbesondere die Adelsfamilie der Hohenzollern sei in den vergangenen Jahren mit über 120 Klagen und Abmahnungen besonders massiv juristisch gegen öffentliche Äußerungen zur politischen Rolle der Familie im Nationalsozialismus vorgegangen. Beklagte seien Redaktionen und andere Beteiligte in der öffentlichen Berichterstattung gewesen, aber auch Historiker*innen. Das mag ein Grund dafür sein, dass sich für die Leipziger Studie lediglich zehn Betroffene zu Interviews bereit erklärten.
Eine "Debattenbremse"
Auch den Leipziger Forschenden gegenüber hätten die Befragten ihre Worte sorgfältig abgewogen, so Connor Endt und Max Beuthner, welche die Studie im Rahmen ihrer Masterarbeiten durchführten. Dies zeige, so Kommunikationsforscher Krüger, "die erhebliche Wirkung auf zweiter Ebene" – nämlich die Beeinträchtigung der Redebereitschaft der Betroffenen sowie der Thematisierung der Fälle durch Beobachter*innen in Forschung und Medienjournalismus – eine Art "Debattenbremse" also.
Dieses Phänomen kann kommunikationswissenschaftlich als "Agenda Cutting" bestimmt und begriffen werden, also als Unterbindung von Debatten durch Vermeiden des Themas auf der Tagesordnung, gegenläufig zum tradierten "Agenda Setting" als selektivem Setzen von Themen auf die mediale Tagesordnung.
Solches "Agenda Cutting" kann laut der Studie auf verschiedene Ursachen zurückgehen: auf mangelnde Ressourcen innerhalb der Redaktion, auf die Annahme eines fehlenden Publikumsinteresses, auf eine Art "Selbstzensur" wegen gesellschaftlicher Tabus oder Meinungsklimata, auf den Einfluss von Medieneigentümer*innen oder Werbekund*innen sowie auf Aktivitäten aus den Bereichen PR und Strategische Kommunikation.
"Agenda Cutting"
Im ‒ untersuchten ‒ Kontext des Agierens der Hohenzollern-Familie gegen potentiell kritisches journalistisches und wissenschaftliches Arbeiten scheint es sich um eine Kombination solcher Filter-Faktoren zu handeln.
Und um auf den oben beschriebenen Beschuss-Filter von Chomsky und Herman zurückzukommen: "Flak" scheint nicht nur eine Abkürzung für Waffensysteme seit dem Ersten Weltkrieg zu sein, und auch nicht nur ein medienkritisches Konzept aus dem Jahre 1988. Sondern offenbar ein Phänomenbereich autoritärer Entwicklungen in kapitalistisch-demokratischen Gesellschaften hier und heute.
Das Bewusstsein rund um SLAPPs und die Folgen wächst laut dem oben zitierten "verdi"-Artikel: In der Europäischen Union solle in den kommenden Monaten eine Anti-SLAPP-Richtlinie über Zivilsachen mit grenzüberschreitendem Bezug veröffentlicht werden. Die Mitgliedsstaaten seien aufgefordert, entsprechende nationale Gesetze zu erlassen. In Deutschland allerdings gebe es dazu noch nicht einmal einen Gesetzentwurf.
Im Licht der Forschungsergebnisse erscheine es "richtig und wichtig", dass der Gesetzgeber sich jetzt darum kümmere, "Kritiker, Kontrolleure und Aufklärer in der demokratischen Gesellschaft zu schützen", sei abschließend nochmals Uwe Krüger zitiert.
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