Die Kernfusion, die keine ist

"Kalte Kernfusion" galt in der Wissenschaftsgemeinde lange als unseriös. Das scheint sich gerade zu ändern: Die Kellerkinder der Physik trafen sich vor wenigen Tagen in Chicago zu einem Symposium.

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Schalten wir kurz 18 Jahre zurück: Damals hatten die durchaus renommierten Wissenschaftler Stanley Pons und Martin Fleischmann (vgl. "Warum wartet bei der Forschung jeder auf Amerika?") in einer Pressekonferenz angekündigt, eine „fortlaufende nukleare Fusionsreaktion“ erzeugt zu haben - und zwar nicht in einem hausgroßen Reaktor, sondern im Labor, auf dem Schreibtisch gewissermaßen. Wenn auch Fleischmanns und Pons’ Behauptung, einen Energieüberschuss erzielt zu haben, nie widerlegt wurde - es lief damals so ziemlich alles schief, was nur schief laufen kann.

Schon der Terminus „kalte Fusion“ (den die Medien allzugern übernahmen) muss einem Physiker unseriös vorkommen - tatsächlich hatten Fleischmann und Pons stets darauf hingewiesen, dass die Reaktion sehr wohl bei hohen Temperaturen abläuft. Hinzu kam aber, dass sich nachweisbare Fehler in die Messreihen eingeschlichen hatten. Die Wissenschaftlergemeinde wiederum stieß sich an der Form der Ankündigung - einer Pressekonferenz statt der Veröffentlichung in einem Fachmagazin mit vorhergehender Peer-Review (die Fleischmann und Pons aus Patentgründen gewählt hatten).

Die folgenden Jahre waren von religiös anmutenden Grabenkämpfen geprägt: Während viele Forscher die Experimente für nicht reproduzierbar hielten, meldeten andere Teams Erfolge, allerdings in unterschiedlichem Maße: Mal stellten sie 80 Prozent Energieüberschuss fest, mal gleich 2500 Prozent. Mal produzierten die im Labor proklamierten Reaktionen Gammastrahlung, ein anderes Mal nicht. Hier bildeten sich, wie bei einer „ordentlichen“ Kernfusion zu erwarten, Tritium-Atome, dort nicht. Die unterschiedlichen Ergebnisse erleichterten es, freundlich formuliert, dem Thema nicht unbedingt, den Status seriöser Forschung zu reklamieren. Mittlerweile haben sich die Wogen etwas geglättet. Die Wissenschaft ist sich einigermaßen einig darüber, dass da „etwas ist“ - nur was, darüber weiß man offiziell noch nichts.

Passend zur Volljährigkeit des noch jungen Forschungszweigs ist sein neuer Name. „Low Energy Nuclear Reactions“ (niedrigenergetische Kernreaktionen, LENR) stehen nun auf dem Plan, wenn sich Forscher auf Konferenzen über ihr Thema unterhalten. Dabei geht es in der Regel um zweierlei: Erstens kalorimetrisch zu zeigen, dass unter nachvollziehbaren Bedingungen Energie erzeugt wird und dass sich diese im zweiten Schritt auch kommerziell nutzen lässt - und zweitens die theoretischen Grundlagen dafür zu schaffen, warum dafür eben nicht Temperaturen wie im Sonneninneren nötig sind.

Um Punkt zwei kümmert sich die relativ neue Widom-Larsen-Theorie, die die Forscher Allan Widom und Lewis Larsen 2005 einführten. Sie behauptet, dass LENR tatsächlich keine Fusionsreaktionen sind, sondern schwache Wechselwirkungen. Ein Elektron kombiniert mit einem Proton zu einem Neutron und einem Neutrino. Das Neutron wird im folgenden von Atomkernen aufgenommen, während das (schwer nachweisbare) Neutrino in die Weiten des Alls davonflattert. Die (nicht unwidersprochen aufgenommene) Theorie erklärt, warum viele der Forschergruppen für Fusionsreaktionen atypische Ergebnisse erhielten. Ihr Vorteil besteht auch darin, dass keine neuartige Physik eingeführt werden muss - es ist nur zu erklären, wie die Hindernisse für eine Schwache Wechselwirkung in den Laborsetups der LENR-Forscher überwunden werden.

Der vorhin benannte Punkt Eins war Hauptthema auf einem Symposium, das LENR-Forscher am Rande der Jahreskonferenz der US-Chemiker abhielten. Melvin Miles und Martin Fleischmann stellten dort Ergebnisse vor, die zeigen, dass sich die gemessene Überschussenergie nicht auf kalorimetrische Fehler zurückführen lässt. Der mit der größten Spannung erwartete Vortrag kam allerdings von Pam Mosier-Boss vom Space and Naval Warfare Systems Center (SPAWAR) (PDF) der US-Marine in San Diego.

Mosier-Boss und Kollegen verfolgen die so genannte Co-Depositions-Methode. Dabei findet eine Lösung aus Palladiumchlorid in Wasser mit Deuterium-Anteil Anwendung. Unter Stromeinfluss lagert sich metallisches Palladium an der Kathode ab. Dabei kommt es, wie Mosier-Boss und weitere Teams nachweisen konnten, im Palladium-Gitter zur Produktion hochenergetischer Teilchen - zumindest, wenn das Verhältnis von Palladium- zu Deuterium-Atomen annähernd ausgeglichen ist.

Die beteiligten Wissenschaftler hüten sich momentan, von Kernfusion zu sprechen - das ist aber auch nicht nötig, solange im Ergebnis nutzbare Energie entsteht. In nächster Zeit wird es zunächst darauf ankommen, alle noch bestehenden Zweifel über die Art der Reaktionen auszuräumen. Erst danach kann es darum gehen, auch die Effizienz der Prozesse zu prüfen: Lässt sich tatsächlich dauerhaft mehr Energie gewinnen, als man im Versuchsaufbau hineinsteckt?