"Die Konfliktdynamik ist vorerst nicht zu stoppen"
Thomas Jäger, Professor für Internationale Politik, über die Pläne und Ziele der US-Regierung gegenüber Syrien
Wer den Giftgasanschlag in Syrien verübt hat, ist ohne Beweise ungewiss. Die USA zeigen dennoch auf das Regime - und planen seine militärische Bestrafung. Was diese - außer der Bestrafung weiterer unschuldiger Syrer - bewirken soll, scheint den USA indes selbst unklar. Telepolis im Gespräch mit Thomas Jäger, Inhaber des Lehrstuhls für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln.
Der Militärschlag, den die USA gegen Syrien planen, ist ein Fiasko, noch ehe er begonnen hat. Anfänglich ruderten die Briten - als engste Verbündete der USA - zurück (Britisches Unterhaus sagt Nein zu militärischer Aktion gegen syrisches Regime). Anschließend tat es Präsident Obama selbst, indem er die Entscheidung dem US-Kongress überlassen will Militärschlag gegen Syrien: Kehrtwende von US-Präsident Obama). Ginge es nicht um Menschenleben, wäre man versucht zu sagen: Peinlicher geht es nicht mehr.
Thomas Jäger: Die Ablehnung des britischen Parlaments warf tatsächlich sämtliche Kalkulationen über den Haufen. Angedacht war ja das Szenario des Kosovokriegs. Auch damals blockierte das russische Veto jegliches Engagement der Vereinten Nationen, doch nach den Massakern in Srebrenica wollte sich der Westen nicht länger damit abfinden und umging die Prozedur des Sicherheitsrates, indem er sich selbst ermächtigte: Die NATO zeichnete als regionale Organisation verantwortlich und erst nach erfolgter Militäraktion - die damals angemessen und erfolgreich war - wurde das Ganze durch den Sicherheitsrat legitimiert.
Auf Syrien kann dieses Muster nach der britischen Abstimmung nicht länger übertragen werden. In Ermangelung einer breiten Koalition auf internationaler Ebene sucht Obama nun zumindest die Unterstützung im eigenen Land. Angesichts dessen, dass nach Umfragen zwei Drittel der US-Amerikaner aber gegen eine Intervention sind, musste er notgedrungen den Kongress einschalten.
Rechtsdehnung ohne Amtsenthebung
Wie kann es nun weiter gehen?
Thomas Jäger: Der Ball liegt beim Kongress. Dass im Senat eine Mehrheit für den Militärschlag stimmt, ist wahrscheinlich. Im Repräsentantenhaus hingegen ist alles offen. Bislang gibt es viermal mehr "Nein"- als "Ja"-Stimmen der Abgeordneten, die sich schon festgelegt haben. Wenn es ein "Nein" wird, muss sich Obama daran halten, sofern er sich nicht die verbleibenden Jahre seiner Amtszeit mit dem Thema Amtsenthebung befassen will. Kommt es hingegen zu einem "Ja", kann er sich kein Zögern und so einen weiteren Gesichtsverlust erlauben und muss sofort handeln.
Was wären in beiden Fällen die Konsequenzen für Syrien?
Thomas Jäger: Da gibt es unterschiedliche Ansichten. Die einen glauben, ein Ausbleiben des Militärschlags würde das Regime nur ermutigen, weitere Gewalt anzuwenden, und dass ein militärischer Einsatz künftig zumindest den Einsatz der schrecklichsten Waffen abschrecken kann. Andere betonen die Risiken eines Einsatzes.
Kommt es hingegen zum Militärschlag, ist die alles entscheidende Frage, wie er ausfällt. Mancherorts ist zu hören, es handle sich um eine begrenzte Aktion, mit dem Zweck, Assad lediglich einen Denkzettel zu verpassen. Andere Informationen deuten darauf hin, dass die USA ihre Ziele immer mehr ausweiten und Assads militärische Handlungsfähigkeit vehement einschränken möchten, indem sie seine Luftabwehr, Militärlager usf. massiv angreifen.
Von US-amerikanischer Seite fielen auch die Worte "chirurgischer Eingriff". Chirurgische Präzision im dicht besiedelten Syrien?
Thomas Jäger: Solche Planungen sind mit Skepsis zu betrachten, zumal Assad die Zeit hatte, um Waffen und Lager zu verlegen. Ich kann nicht einschätzen, ob die USA hierüber die nötige detaillierte Aufklärung besitzen.
Mit Gewalt nach Genf?
Umso mehr fragt man sich, was der Zweck eines möglichen Angriffs sein soll. Manche Beobachter tippten lange vor dem Giftgasanschlag darauf, dass westliche Militäraktionen bevorstehen könnten, um Präsident Assad, der zuletzt militärisch an Boden gewann, wieder in die Knie und so an den Verhandlungstisch der wiederholt verschobenen Genf II-Konferenz zu zwingen .
Thomas Jäger: Natürlich sollen militärische Angriffe immer auch etwas kommunizieren - und sei es, dass es nur diplomatisch weitergehen kann. Aber ob das im Falle Syriens funktioniert? Dazu müsste man zunächst einmal wissen, wie das Regime seine eigene Stärke und die Rückendeckung durch den Iran und Russland einschätzt.
Mit der eigentlichen Drohung - der eines Regime-Wechsels - muss Assad schon einmal nicht rechnen, da die USA die Entsendung von Bodentruppen ausschließen. Diesen Blutzoll sind sie nicht bereit zu zahlen, zumal sie keiner drittklassigen Armee wie im Irak oder in Libyen gegenüberstehen. Ob sie allerdings Assads politische Verhandlungsbereitschaft durch den bloßen Einsatz von Marschflugkörpern erreichen können oder auch Flugzeuge einsetzen wollen - all das ist völlig offen. Für den Moment hängt alles von der Entscheidung des Kongresses ab.
Parallel wird stets vor einer Ausweitung des Konflikts gewarnt. Im Prinzip ist die bereits eingetreten, durch die Bombenattentate auf schiitische wie sunnitische Hochburgen im Libanon. Nun plant der Iranlaut dem "Wall Street Journal" Vergeltungsschläge auf westliche Einrichtungen im Irak. Wie schätzen Sie die Gefahr ein?
Thomas Jäger: Sehr hoch. Bei der Beurteilung von Assad orientiert man sich leider zu häufig an Gaddafi, der auch mit Vergeltungsmaßnahmen im Ausland drohte, die dann aber ausblieben. Anders als Gaddafi aber verfügt Assad aufgrund seiner Allianz mit dem Iran tatsächlich über das nötige Mobilisierungspotential. Und das syrische Regime hatte zwei Jahre Zeit, sich auf die Situation vorzubereiten. Ob es diese Zeit genutzt hat, wissen wir nicht. Ein Flächenbrand ist jedoch möglich.
Hisbollah und Israel
Welche Rolle spielt Israel in dem Szenario? Lange Zeit schien Tel Aviv gut mit Damaskus leben zu können. Nach dem Giftgasanschlag vom 21. August erklärte der israelische Geheimdienst prompt, er habe Beweise für die Schuld von Damaskus Beweise, die nicht einmal die Amerikaner finden konnten.
Thomas Jäger: Tatsächlich war Assad für Israel lange ein verlässlicher Gegner. Man hatte sich auf ein Modus Vivendi geeinigt und Tel Aviv wäre zu Beginn des Bürgerkriegs über eine Restabilisierung Assads sicher nicht unglücklich gewesen. Mittlerweile aber ist klar, dass Assad Syrien nicht mehr wie vor 2011 regieren kann. Also sieht sich Israel anderweitig um.
Die neue Regierung Syriens kann ein prinzipieller Gegner sein - Israel hat diesbezüglich keine Präferenzen, sondern vertraut auf sein Waffenarsenal -, aber er muss Stabilität garantieren. Zudem besteht nun die reelle Gefahr, dass die Hisbollah an Waffen gelangt - wobei ich vorerst keine chemischen, sondern Luftabwehrwaffen meine, denn für Israel ist die Lufthoheit entscheidend.
Wer soll der neue stabile Partner Israels sein?
Thomas Jäger: Genau das ist die Frage. Bislang gibt es keine syrische Partei, die das leisten kann.
Israel spielt demnach mit dem Feuer. Kann man das auch von Außenminister John Kerry sagen? Manche bezeichnen ihn als "Falken", der Präsident Obama in die Militäraktion gegen Syrien zu drängen sucht.
Thomas Jäger: So äußert sich Kerry derzeit. Wobei ich denke, dass das weniger mit seiner Person zu tun hat - er hat George W. Bush ja für seine Irakpolitik kräftig kritisiert -, als mit seinem neuen Amt. In den USA agiert der Außenminister traditionell offensiv und verhält sich der Verteidigungsminister defensiv. Das sind Verhaltensweisen, die lange zurückreichen und beispielsweise schon für die Kosovopolitik unter Madeleine Albright galten.
Unabhängig von allen Machtinterna wirkt Washington in der gesamten Syrien-Frage bislang ebenso diffus wie konfus.
Thomas Jäger: Die Ereignisse in Syrien sind den USA tatsächlich auf die Füße gefallen. Ich wundere mich, warum sich die amerikanische Administration nicht auf die Lage vorbereitet hat. Bis heute hat sie keine Strategie entwickelt - und aktuell lässt sie die wichtigste Frage unbeantwortet: Was soll ein potentieller Angriffskrieg überhaupt bewirken?
Chance zum Frieden vorerst verpasst?
Sollte dieser Irrsinn durch ein "Nein" des US-Kongresses noch gestoppt werden - wie könnte es dann sinnvoll für die Syrer weitergehen? Momentan sieht es auch ohne US-Angriff nach jahrelanger Gewalt aus. Gibt es noch halbwegs friedliche Ausgänge?
Thomas Jäger: In der Theorie gibt es immer Raum für Verhandlungen. Aber nur, wenn die gegnerischen Parteien ein gemeinsames Interessensfenster sehen. Im Fall Syriens existiert das momentan leider nicht: Die Beziehungen zwischen den USA und Russland sind auf dem Tiefpunkt und die Golfstaaten bleiben vor allem darauf bedacht, den Iran zu isolieren, anstatt mit ihm zu sprechen.
Meines Erachtens war es auch ein immenser Fehler, dass die westlichen Staaten sehr früh nach Ausbruch des Volksaufstands sagten: Assad muss weg! Damit lehnten sie das Regime insgesamt als Verhandlungspartei ab. Auch intern zeigten weder die Machthaber noch ihre Opponenten Verhandlungsbereitschaft. Das politische Resultat ist, dass es keine Parteien gibt, die miteinander verhandeln können.