Die Krise kurz erklärt

Seite 3: Wieso bildet Europa derzeit das globale Krisenzentrum, obwohl andere Staaten - wie etwa die USA - ähnlich hoch verschuldet sind?

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Die Schuldenberge der USA und Europas sind in ähnlich gigantische Dimensionen angewachsen, und auch die Ursachen der Schuldenbildung auf beiden Seiten des Atlantiks sind auf den gescheiterten Strukturwandel und die besagte Krise der Arbeitsgesellschaft zurückzuführen. Konfrontiert mit der obig dargelegten Krisenfalle, hat die Politik in den USA aber einen anderen Weg eingeschlagen als die in der Eurozone.

Der Unterschied zwischen den USA und der EU besteht in der Bereitschaft der USA, die Verschuldungsdynamik des US-amerikanischen Staates durch Aufkäufe von Staatsanleihen aufrechtzuerhalten - und mittelfristig eine ausuferende Inflation in Kauf zu nehmen. Indem die US-Notenbank Fed notfalls im großen Stil die amerikanischen Staatsanleihen aufkauft, wird die Zinslast der USA niedrig gehalten und ein katastrophaler Wirtschaftseinbruch verhindert, da zumindest die staatliche Verschuldungsdynamik - und somit auch die kreditfinanzierte staatliche Nachfrage - weiter aufrechterhalten werden kann.

In der EU setzte sich hingegen Deutschland mit der Forderung nach sofortiger Haushaltssanierung durch, während die Aufkäufe von Staatsanleihen durch die EZB von Berlin vehement abgelehnt werden. Ohne Anleiheaufkäufe durch die EZB oder den ESM wird die Zinslast der südeuropäischen Schuldenstaaten bald untragbar sein, ein Auseinanderbrechen der Eurozone wird so sehr wahrscheinlich. Ohne fortgesetzte Verschuldung wird die Eurozone in einer schweren Rezession versinken, die sich bereits mit europaweit fallender Industrieproduktion ankündigt. Ein Schuldenabbau wird so vollends illusionär.

Zudem muss beachtet werden, dass der Euro zur Ausbildung gigantischer Ungleichgewichte in der Eurozone beigetragen hat - und dass die Krisenpolitik der EU von eskalierenden nationalen Interessensgegensätzen geprägt ist. In der Eurozone wurden Volkswirtschaften mit sehr unterschiedlichen Produktivitätsniveaus in einem Währungsraum zusammengefasst, sodass die ökonomisch unterlegenen Länder in Südeuropa ohnehin zur Ausbildung von Handelsdefiziten gegenüber den überlegenen Ländern im Zentrum neigten. Der Euro nahm den schwächeren Staaten die Möglichkeit, mittels Währungsabwertungen ihre Konkurrenzfähigkeit wiederherzustellen.

Zusätzlich setzte in der Bundesrepublik wenige Jahre nach der Einführung des Euro ein rabiater Sozialkahlschlag ein, der in der Einführung der Hartz-IV-Gesetze gipfelte und zur allgemeinen Prekarisierung des Arbeitslebens und einer Absenkung des Lohnniveaus beitrug. Hierdurch konnte die deutsche Exportwirtschaft weitere Exportvorteile gegenüber der Eurozone gewinnen und einen gigantischen Leistungsbilanzüberschuss von inzwischen 770 Milliarden Euro akkumulieren. Bei der EU handelte es sich also bereits um eine Transferunion - um eine Transferunion zugunsten der deutschen Exportindustrie, die nicht zuletzt dank sinkender Löhne und der Prekarisierung der Lohnabhängigen in der BRD ermöglicht wurde.

Diese deutschen Exportüberschüsse in die Eurozone trugen also maßgeblich zur Ausbildung der Schuldenberge in der Eurozone bei - die Exportüberschüsse Deutschlands sind logischerweise die Defizite der Zielländer deutscher Exportoffensiven.

Rückblickend betrachtet war die "europäische Integration" selber ein Reflex auf diese Krise. Das "Europäische Haus" wurde spätestens seit der Euroeinführung auf einem beständig wachsenden Schuldenberg errichtet, der bis zum Platzen dieser Schuldenblase allen Beteiligten die Illusion gab, an einem allgemein vorteilhaften Integrationsprozess beteiligt zu sein: Deutschlands Industrie erhielt dank des Euro Exportmärkte, während Europas Schuldenstaaten ihre kreditfinanzierte Defizitkonjunktur erfuhren.

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