"Die Künstler wären besser beraten, für ihre eigenen Interessen zu kämpfen"
Berthold Seliger zur aktuellen Urheberrechtsdebatte
Der Konzertveranstalter Berthold Seliger widerspricht in der gegenwärtigen Debatte um das Urheberrecht den Argumenten der Plattenindustrie, bezieht Position für die Künstler und fordert eine Reform der GEMA.
Können sie sich die aktuelle, nicht unhysterische Debatte über das Urheberrecht erklären?
Berthold Seliger: Das ist in der Tat überraschend, wie die Urheberrechtsdebatte quasi zum Kneipenthema wird. Aber es ist natürlich klar: Es gibt weltweit eine allgemeine Krise kapitalistischer Verwertungsmöglichkeiten. Und es geht um Besitzrechte, das ist eben das Zentrum des Kapitalismus. Intellectual property is the oil of the 21st century, sagt Mark Getty von Getty Images. Das Internet hat eine neue Ausgangslage geschaffen und diejenigen, die über Besitzrechte verfügen, sehen Gefahr am Horizont dräuen.
"Urheber erhalten meistens nur Almosen von der Verwertungsindustrie"
In den Medien werden die Forderungen der Reformer überwiegend verzerrt dargestellt. Können Sie einige prägnante Beispiele dafür nennen und uns erklären warum das geschieht? Können Sie hinter dieser Kampagne mögliche Interessen von Seiten der Musikindustrie ausmachen?
Berthold Seliger: Da geht es oft um Propaganda mit allen Mitteln und um reine Ideologie. Die Verwertungsindustrie weiß, dass sie durch das Internet mit dem Rücken an der Wand steht und lässt sich als Reaktion allen möglichen Unsinn einfallen, einen ganzen Bauchladen voller Märchen, Mythen und Legenden: Zum Beispiel das Gerede von illegalen Downloads, die Frage der Raubkopien, der Mythos vom geistigen Eigentum und dessen Diebstahl, das Märchen von der Umsonst-Kultur,. Selbst Leute aus der Musikindustrie wie Tim Renner sagen, dass das alles Quatsch ist. Es ist natürlich ein Rückzugsgefecht.
Im Kern geht es der Verwertungsindustrie ja darum, dass sie sich in der Öffentlichkeit als Vertreterin der Künstler, der Urheber darstellt. Das ist natürlich völliger Unfug. Die Urheber, die meistens ja nur Almosen von der Verwertungsindustrie erhalten, haben nun einmal andere Interessen als die Verwertungsindustrie, als die Plattenfirmen oder die Verlage. In gewisser Weise erwächst erst aus der Schwäche der Künstler, selbst ihre Interessen wahrzunehmen, die Stärke der Kulturindustrie.
"Das System funktioniert okay für erfolgreiche Künstler"
Wieso lassen sich eigentlich Darlings des linksliberalen Feuilletons wie Roger Willemsen und Charlotte Roach freiwillig vor deren Karren spannen?
Berthold Seliger: Vielleicht ist es einfach nur eine Frage der politischen Intelligenz? Ich habe mich das auch bei Sven Regener gefragt. Es gibt da ein grundsätzliches Problem bei den Urheberrechten und der ganzen Systemfrage: Das System funktioniert nämlich durchaus okay für erfolgreiche und mittelerfolgreiche Künstler, und Roche, Regener und Willemsen leben ja durchaus gut von diesem System, sie verdienen daran ja nicht wenig. Schauen Sie sich doch die Liste der Erstunterzeichner dieses ziemlich armselig argumentierenden Wir sind die Urheber-Aufrufs näher an: das sind in der Regel die Großschriftsteller mit hohen Auflagen, die da unterschrieben haben. Die Leute reden pro domo, das sind die Top-Verdiener der Branche, fair enough.
Die Realität für das Gros der Künstler sieht allerdings anders aus: Laut Erhebungen der Künstlersozialkasse beläuft sich der Durchschnittsverdienst der Musiker auf 11.500 Euro brutto pro Jahr und der Verdienst der unter 30jährigen nur auf 9.500 Euro, also weniger als 800 Euro pro Monat, das ist also unter Hartz IV-Niveau. Das ist die Realität für über neunzig Prozent der Musiker. Wenn man ein Verteilungssystem realitätsgerecht ändern möchte, muss man sich doch fragen, was den meisten Leuten hilft und nicht, was den oberen zehn Prozent nützt.
"Unterschiedliche Interessen"
In der Debatte wird eine wesentliche Übereinstimmung zwischen Künstlern und Verwertungsindustrie propagiert. Stimmen Sie damit überein?
Berthold Seliger: Das ist vollkommen absurd. Es ist auf der Hand liegend, dass man ganz unterschiedliche Interessen hat. Die großen Plattenfirmen haben schon immer in der Regel die Künstler ausgebeutet. Als zum Beispiel die Rolling Stones zum ersten mal in den USA ins legendäre Chess-Studio kamen, hat Muddy Waters dort die Decke gestrichen, erzählt Keith Richards, "ich weiß, wie die Chess-Brüder gestrickt waren - wenn du willst, dass wir dich weiter bezahlen, dann arbeite", schreibt Richards in seiner Autobiographie. Wenn man die aktuelle Harry Belafonte-Autobiographie liest, erfährt man, wie unglaublich wenig er für seine erste Platte bekommen hat. Dort steht auch, dass Miriam Makeba einen Plattenvertrag hatte, bei dem sie gar nichts bekommen hat, null, zero.
Und auch heute ist es so, dass die Großkonzerne der Musikindustrie ihre eigenen Künstler gerne um einen Teil ihrer digitalen Einkünfte bescheißen: Laut Vertrag stehen ihnen bei Downloadeinkünften in der Regel fünfzig Prozent zu und SONY beziehungsweise Universal USA haben ihren Künstlern nur zehn oder zwanzig Prozent abgerechnet. Das ist der Grund, warum Universal und Sony unter anderem von den Temptations, den Allman Brothers und Cheap Trick verklagt wurden. Das ist die Realität, da kann man doch nicht sagen, hier bestünden die gleichen Interessen. Das Gegenteil ist der Fall, und die Künstler wären besser beraten, für ihre eigenen Interessen aufzustehen und zu kämpfen.
"Die GEMA ist in Deutschland Monopolist"
Welche Rolle spielt hierbei die GEMA?
Berthold Seliger: Ich sehe das Problem auf mehreren Ebenen. Zunächst ist die GEMA ein riesiger bürokratischer Wasserkopf. Die Einnahmen der GEMA liegen bei etwa 850 Millionen Euro pro Jahr, und allein die Verwaltung verschlingt davon gut 120 Millionen. Dann haben wir ein vollkommen undurchschaubares Verteilungssystem, ein kurioses Punktesystem, das die erfolgreichen Künstler bevorzugt, die auch noch zusätzlich Geld bekommen, wenn gar keine Musik von ihnen gespielt wird. Künstler, bei denen die GEMA die Möglichkeit der Direktverrechnung zulässt, erhalten etwa 70 Prozent der von der GEMA bei den Veranstaltern vereinnahmten Vergütungsbeiträge. Urheber, die die Direktverrechnungsvariante nicht nutzen können, kommen noch weit schlechter weg und erhalten zum Teil lediglich 20 bis 25 der von den Konzertveranstaltern gezahlten Gebühren. Grund für diesen "Skandal" sind laut Marek Lieberberg, dem größten deutschen Konzertveranstalter, "die exorbitanten Verwaltungsgebühren des Monopolisten".
Außerdem ist die GEMA in Deutschland Monopolist, und genauso führt sie sich auch auf. Ein Beispiel ist die geplante maßlose Tariferhöhungen im Konzert- und DJ-Bereich, die langfristig die ganze Veranstaltungsbranche kaputt machen wird. Oder: meine ausländischen Künstler berichten mir, dass es für sie ohne die hiesigen Musikverlag verdammt schwierig ist, an die Gelder zu kommen, welche die GEMA für sie vereinnahmt hat. Dabei ist diese Monopolstellung der GEMA ja nicht naturgegeben, erst Goebbels hat sich 1933/34 massiv dafür eingesetzt, dass die verschiedenen vorhandenen Verwertungsgesellschaften in einer zusammengefasst werden, der STAGMA. Deren Rechtsnachfolger ist die GEMA. Es steht aber im Gesetz nicht, dass es nur eine Verwertungsgesellschaft geben darf. Warum also gründen kluge Künstler, Verlage und Plattenfirmen nicht ihre eigene?
Das Verrückte ist ja auch, dass die GEMA als Verein organisiert ist. Man stelle sich vor: ein Verein, der 850 Millionen jährlich verwaltet! Das ist in Deutschland ja kein Einzelfall, auch viele großen Fußballvereine sind hierzulande eingetragene Vereine. In Wirklichkeit sind das aber riesige Wirtschaftsunternehmen mit zwei- und dreistelligen Millionenumsätzen, die nach dem Vereinsrecht geführt werden. Das ist vollkommen absurd und diese absurde Situation haben wir auch bei der GEMA: 850 Millionen Euro werden anhand des Vereinsrechts umgesetzt. Warum macht man daraus keine staatliche und von der Gesellschaft kontrollierte Behörde?
Wäre eine Debatte über eine Reform der GEMA für die Künstler von mehr Nutzen als die gegenwärtige Urheberrechtskontroverse?
Berthold Seliger: Ich würde beides nicht gegeneinander ausspielen. Das bestehende Urheberrecht muss dringend reformiert werden. Aber genauso muss die GEMA dringend reformiert werden. Wir haben allerorten für Großverdiener und Verwertungsindustrie bequeme Strukturen, die aber mit den digitalen Realitäten des 21. Jahrhunderts nichts mehr zu tun haben und letztlich den Geringverdienern und den Konsumenten schaden.
Wie sollte ein den Belangen der Künstler adäquates Urhebberecht beschaffen sein?
Berthold Seliger: Ich schlage ein konkretes Fünf-Punkte-Programm als ad hoc-Maßnahme vor:
Die Schutzfristen für das Urheberrecht und angrenzende Rechte (Leistungsschutzrecht) sind viel zu lang und müssen drastisch verkürzt werden.
Weiter sollte das Urheberrecht, wie es der Internetaktivist Marcel Weiß fordert, von Opt-out zu Opt-in geändert werden: "Opt-in bedeutet in diesem Zusammenhang: Wenn ich mein Werk geschützt sehen will, weil ich damit Geld verdienen möchte, muss ich mich direkt dafür entscheiden und mein Werk bei einer zentralen Instanz dafür registrieren lassen. Dadurch wird sichergestellt, dass nur die Werke geschützt sind, an denen ein direktes kommerzielles Interesse gekoppelt ist. Alle anderen Werke sind gemeinfrei und können demnach von der Gesellschaft nach Belieben genutzt werden" (Weiß).
Außerdem sollte der Urheber, der sein Werk angemeldet hat, die Rechte an diesem Werk wie gehabt an einen Verwerter verkaufen können, etwa an eine Plattenfirma. Allerdings: Die Rechte an dem Werk fallen zum Ende jeder zweijährigen Schutzfrist automatisch an den Urheber zurück - der es dann, eine Erneuerung seines Urheberrechts vorausgesetzt, natürlich erneut verkaufen kann. Ziel: eine deutliche Stärkung des Urhebers gegenüber dem Verwerter. BuyOut-Verträge, die meistens die Urheber über den Tisch ziehen und ausbeuten, sind dann nicht mehr möglich.
Viertens ist das bestehende System, nach dem die gesamte Verwertungs- und Kulturindustrie arbeitet, auf Menge tariert. Je häufiger ein Song im Radio gespielt wird, desto höher die GEMA-Ausschüttung. Auch modernere Abrechnungssysteme bedienen sich dieses Schlüssels, seien es Streamingdienste, seien es die etwas hilflosen Modelle einer sogenannten "Kulturflatrate" - Kultur wird im Spätkapitalismus nach Quote, nach Erfolg abgerechnet. Wie phantasielos! Ich schlage dagegen vor, das bestehende Abrechnungssystem der Kulturindustrie dergestalt zu ändern, dass man das Neue ungleich stärker fördert als die Masse. Die Erstveröffentlichung soll deutlich höher honoriert werden als die massenhafte Wiederholung.
Und: das Urheberrecht darf nicht länger zur Zensur von Kunst missbraucht werden. Ob HipHop-Künstler, denen Plattenfirmen nicht die Rechte an Samples der von ihnen vertretenen Künstler einräumen, oder die Brecht-Erben, denen nach eigenen Aussagen "besonders an Werktreue" (also an musealer Darstellung) der Stücke gelegen ist, und die noch im sechsten Jahrzehnt nach Brechts Tod festlegen, wer die Werke des Meisters wie aufführen darf (was besonders pikant ist, wenn man sich Brechts laut Eigenaussage "grundsätzliche Laxheit in Fragen geistigen Eigentums" vergegenwärtigt) - wir benötigen ein Urheberrecht, das Kunst ermöglicht statt sie zu verhindern. Ein Urheberrecht, das die kulturgeschichtlich seit Jahrhunderten gängige Praxis der Weiterverwendung und Weiterverarbeitung von Kunstwerken ermöglicht. Samplen zum Beispiel sollte dem Fair Use der US-Urheberrechtsdoktrin unterliegen und generell unbeschränkt erlaubt sein.
"Keine Nickmännchen"
Existiert diese Debatte in anderen Ländern auch?
Berthold Seliger: In der Schweiz geht es gerade los, in Frankreich wird das reaktionäre Hadopi-Gesetz (Gesetz zur Bekämpfung illegalen Filesharings, RJ) von Sarkozy ebenfalls heftig diskutiert. In den USA ist wegen des ACTA-Abkommens und massiver Einsätze der Lobbyisten auch einiges im Schwange. Dort allerdings wird die Debatte von den Künstlern vorangetrieben, die, anders als bei uns, nicht als Nickmännchen fungieren und den Plattenfirmen und Verwertungsinhabern in den Hintern kriechen, sondern die die Plattenindustrie verklagen. Gerade im Kontext der Leistungsschutzrechte im amerikanischen Copyrights gibt es dort eine Klausel, die es Musikern erlaubt, nach 35 Jahren die Rechte an ihren Masteraufnahmen von den Labels zurückzufordern.
Diese Ansprüche müssen die Künstler mit einer zweijährigen Vorlaufszeit anmelden, was beispielsweise Bob Dylan, Kris Kristofferson, Tom Petty, Tom Waits oder Bruce Springsteen bereits gemacht haben. Nun ist es so, dass die Recording Association Of America, die eine Art Kartell ausübt, mit ihren Rechtsanwälten einen Trick ausgeknobelt hat, um diese Ansprüche auszuhebeln: Danach wären die Künstler, als sie ihre Alben einspielten, nur Angestellte der Plattenfirmen gewesen. Das wird in den USA gerade ganz massiv debattiert und wenn man das mit meinem aktuellen Fünf-Punkte-Programm vergleicht, stellt man fest, dass dergleichen - wie etwa dass nach 35 Jahren die Rechte an die Künstler zurückgehen - im Leistungsschutzrecht dort bereits formuliert ist. Allerdings laufen gerade die Verlage und die Verwertungs- beziehungsweise Plattenindustrie dagegen Sturm. Und jetzt stellen sie sich mal vor, was passieren wird, wenn Columbia behauptet, Bob Dylan wäre damals ein Auftragsempfänger gewesen!
Frank Farian, dessen Band Boney M. "Rivers Of Babylon" von den Melodians gecovert hat, ist bei der GEMA genauso als Urheber eingetragen wie die Melodians. Hat es hier Sinn, die Erben auszumachen und sie darüber aufzuklären?
Berthold Seliger: Das ist nicht mein Fachgebiet, aber ich denke, das ist bestehendes Recht: Man kann sich ja unter bestimmten Bedingungen als Co-Autor eines Stückes eintragen lassen. Das ist seltsam, aber aus der Logik des Systems auch nicht abwegig. Harry Belafonte beschreibt in seiner Autobiographie auch, dass ausgerechnet der legendäre Folkmusik-Archäologe Alan Lomax, also eine Lichtgestalt der Musikszene, sich für etliche Songs, die er aufgenommen, nicht aber geschrieben hat, ein Copyright hat eintragen lassen - etwa für Goodnight Irene. So brachte Lomax Leadbellys verarmte Familie um einen Großteil der Tantiemen, als der Song ein Welthit wurde. Das Prinzip: weißer Mann beutet schwarzen Musiker aus.
Wenn man hier in die Tiefe recherchieren würde, würden die absurdesten Geschichten auftauchen. Bei der GEMA etwa sind immer noch Nazilieder registriert, zum Beispiel Bomben auf Engelland oder Von Finnland bis zum Schwarzen Meer, mit der Textzeile "Führer befiehl, wir folgen dir". Beide wurden von NSDAP-Mitglied Norbert Schulze, dem Lilli-Marleen-Komponisten, im Auftrag des Propagandaministers vertont. Der gleiche Norbert Schulze war bis 1996 GEMA-Aufsichtsrat. Das ging eben alles nahtlos ineinander über...
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