Die Kunst im Zielfernrohr
Die Ausstellung CTRL [Space] im ZKM
Oft hört man die Phrase neuerdings, dass etwas - eine Veranstaltung, ein Projekt, ein Buch - eine ungeheure Brisanz wegen der "Vorfälle" vom 11.9. gewonnen habe. Doch im Fall der vom Zentrum für Kunst und Medientechnologie ZKM in Karlsruhe organisierten Ausstellung CTRL [Space] trifft diese Behauptung zu, denn sie beschäftigt sich ausschließlich mit dem Thema Überwachung. Seit den Anschlägen vom 11.September sollen weltweit die Überwachungsraster enger zusammengezogen werden. CTRL [Space] zeigt jedoch über die Tagesaktualität hinaus auf, dass sich Künstler schon lange und auf vielfältigste Art mit Überwachungsthemen beschäftigt haben.
Gleich nach dem Eingang rechts erfährt man, was es mit dem Untertitel "Rhetorik der Überwachung von Bentham bis Big Brother" auf sich hat. Hier befindet sich Rem Koolhas' "Project for the Renovation of a Panoptic Prison". Dort kann man ein Modell des vom englischen Philosophen Jeremy Bentham am Ende des 18. Jahrhunderts entworfenen "Panopticon" sehen, ein "ideales Gefängnis", in dem die Wärter immer alle Häftlinge visuell und akustisch überwachen können. Eines der ersten "modernen" Gefängnisse Englands wurde im 19.Jahrhundert in Millwall den Ideen Benthams folgend gebaut. Ironischerweise befindet sich auf dem selben Grundstück heute die Tate Gallery, das wichtigste britische Kunstmuseum, wobei Teile des Gefängnisbaus in der Gesamtstruktur aufgegangen, also immer noch vorhanden sind: Gefängnis und Museum, die beiden Pole der "aufklärerischen Werte" im Erziehungssystem der bürgerlichen Gesellschaft.
Das panoptische Gefängnis ist dann auch zurecht eine häufig gebrauchte Metapher auch für die elektronische Überwachungsgesellschaft des 21. Jahrhunderts. In geistiger und räumlicher Nähe zu den Ausstellungsstücken zum Panopticon befindet sich eine Installation des Architektenpaares Diller & Scofidio, die "Überwachung als zentrales Element eines neuen Architektur- und Designstils etablierten" (Zitat Pressetext) und womit die Brücke zwischen Bentham und der Gegenwart hergestellt ist.
Doch wenn wir schon beim Pressetext sind, so behauptet dieser auch, die Ausstellung verstehe sich als "Überblick über das Phänomen des Panoptizismus in Architektur, Video, Malerei, Fotografie, Film, Konzeptkunst, Fernsehen, Netzkunst, roboter- und satellitengestützter Visualisierungstechnik". Es wäre schön, wenn dem wirklich so wäre. Denn ein kurzer Rundgang erweckt den Eindruck, dass die Ausstellung vor allem von Videoüberwachung handelt und dass Videoarbeiten eindeutig die Mehrzahl bilden. Interaktive Computer- und Netzkunst muss man mit dem Vergrößerungsglas suchen. Und die einzige Netzkunstarbeit, Taystes.net von Jenny Marketou, ist leider eine eher schwache Vertretung des Genres. Auch die anderen angesprochenen Genres kommen meist nur mit einem Ausstellungsstück vor, während Videos und Videoinstallationen die dominanten Formate sind, die in den zahlreichen Winkeln und Kammern der labyrinthisch verzweigten Ausstellungsarchitektur vor sich hinflimmern.
Kurator Thomas Y. Levin begründet dies damit, dass Video einfach das ausstellungsfreundlichere Medium sei, während man mit Computerkunst schwerlich 3000 Quadratmeter Ausstellungsfläche füllen könne. Lange Reihen von Computern und Monitoren, auf denen Netzkunst zu sehen sei, würden das Publikum zugleich langweilen und überfordern. Auch wenn dieses Argument etwas für sich hat, so könnte man diesen Aspekt ruhig etwas offener in den Vordergrund stellen. CTRL[Space] funktioniert recht gut als eine Ausstellung, die eine Verbindung aufzeigt zwischen mittlerweile historischen video- und konzeptkünstlerischen Arbeiten und zeitgenössischer Videokunst, während die interdisziplinäre Vielfalt eher angedeutet als verwirklicht wird, womit auch die thematische Setzung nicht ganz erfüllt wird. CTRL[Space] erweckt, wie Levin bestätigt, zurecht Assoziationen an den deleuzianischen Terminus der Kontrollgesellschaft, doch als deren Verwirklichung begegnet uns vor allem die Closed Circuit Television Camera.
Was auch sein Gutes hat. Von Andy Warhol über Bruce Naumann bis hin zu Dan Grahams genialem "Time Delay Room" ermöglicht die Ausstellung eine Wiederbegegnung mit Marksteinen konzeptueller Videokunst. Neuere Arbeiten, wie z.B. "Surveillance" von Chris Petit, 1993, ein Video-Essay im Marker-schen Stil über soziale und kulturelle Implikationen der Videoüberwachung öffentlicher Räume, oder auch Harun Farockis erst in den Jahren 2000 und 2001 entstandene Arbeiten "Ich glaubte Gefangene zu sehen" und "Augen/Maschine" zeigen, dass Video nach wie vor ein relevantes Medium sein kann, wenn gut eingesetzt. Auch Arbeiten wie das preisgekrönte "Bit Plane" von Bureau of Inverse Technologies, ein Modellflugzeug mit Kamera, das Silicon Valley überfliegt und dabei ausspioniert, oder die gespenstischen Kuscheltiere mit Kameraaugen von Niels Bonde in "I never had hair on my body or head" setzen diese Traditionen der Videokunst und -Installation auf zeitgenössische Art fort.
Die Videos von Jordan Crandall hingegen, "Drive" und "Heatseeking", wirken im Vergleich dazu etwas epigonenhaft. Ähnlich aber anders verhält es sich mit der Arbeit von Ann-Sofi Sidén, deren DVD-Installation "Station 10 and back again" einem schon von der Ferne entgegenruft "ich bin eine galerientaugliche Videoinstallation und ganz bedeutsam". Die Auswahl und Zusammenstellung der Arbeiten folgt zwar möglicherweise einem Plan, doch der scheint sich aus dem Kopf des Kurators Levin nicht zur Gänze in die Realität zu übertragen. Der Eindruck geht nicht weg, dass alles mögliche aus den Archiven geholt wurde, was irgendwie mit Videoüberwachung zu tun hat. Vielleicht hat das damit zu tun, dass es sich um Levins erste Ausstellung handelt. Denn eigentlich ist er Geisteswissenschaftler und hat einen Lehrstuhl an der Princeton University, dessen Funktikon man, mit seinen eigenen Worten, "als eine Art German cultural studies" bezeichnen kann. Levin hat sich, wie sich im Gespräch herausstellt, eine ganze Menge gedacht, was sich aber nur zum Teil wirklich vermittelt, wenn man nicht von ihm persönlich durch die Ausstellung geführt wird.
Doch Engagement und Fachwissen seien dem Kuratoren-Frischling keineswegs in Abrede gestellt und mit diesen Eigenschaften ausgestattet, gelangen ihm auch einige mutige Eingriffe. Richtig beängstigend - und zwar gleich in mehrfacher Hinsicht - ist zum Beispiel die Präsentation der "History Paintings" (1993-94) des Engländers Jamie Wagg. Dabei handelt es sich um "malerische" Interpretationen der Videoüberwachungsbilder von der Entführung und Ermordung eines Kleinkindes durch zwei nur um wenige Jahre ältere Jungen in England Anfang der neunziger Jahre. Der Fall bewegte die Skandalpresse damals wie heute. Wagg wurde wegen seiner Bilder von Skandalblättern zum Staatsfeind ausgerufen und musste über ein Jahr lang die Aufmerksamkeit dieser Presseorgane erdulden, was unter anderem dazu führte, dass ihn Leser dieser Blätter mit Morddrohungen terrorisierten. Levins Kunstgriff besteht darin, die kontroversiellen Bilder mit einer Dokumentation der Skandalisierung der Arbeit des Künstlers gegenüberzustellen.
Ein weiterer Kunstgriff des Kurators ist die "Reality TV Lounge", ein Raum in dem eine Reihe von Big-Brother-TV-Programmen ausgestellt werden. Levin verweist damit auf das nicht ganz neue aber immer noch sehr signifikante Phänomen, dass Menschen ihre Privatsphäre freiwillig aufgeben für ein kurzes Stück Medienruhm. Damit klingt ein Motiv an, das über die Überwachung im engeren Sinn hinausgeht, und wovon man eigentlich mehr hätte sehen wollen, nämlich technologische Medien als Instrumente sozialer und politischer Kontrolle. Es ist nicht immer nur der Staat, der klassische Big Brother, vor dem wir uns in Acht nehmen sollten, sondern zunehmend auch die privatwirtschaftliche Überwachung und Kontrolle, wie es z.B. die Photoserie "Shopping" von Merry Alpern vor Augen führt.
Neben solchen Highlights gibt es in CTRL[Space] noch eine ganze Menge mehr an Bekanntem und Relevantem aus der Welt der Überwachung. Das historische Pathos von RAF-Terror-Fahndung und Stasi-Überwachung flackert grau-grieslig über die Monitore; die bürokratische Logik der Stasi-Bespitzelung zwinkert uns ironisch verfremdet in Cornelia Schleimes "Bis auf weitere gute Zusammenarbeit" entgegen; die kalte Objekthaftigkeit fotografierter Überwachungskameras begegnet dem Witz der Performances der "Surveillance Camera Players" und findet nochmal eine thematische Erweiterung in "Verfolgungsprojekten" von Vito Acconci, John Lennon/Yoko Ono und Sophie Calle; so dass sich alles in allem sagen lässt, dass CTRL[Space] zwar die weitgesteckten eigenen Ziele nicht ganz erfüllt, aber insgesamt eine lohnenswerte Erfahrung darstellt, für das informierte Fachpublikum ebenso für all jene, die einfach aus Neugierde vorbeikommen und ein Gefühl dafür entwickeln wollen, wie sich Überwachung konkret anfühlt, was sie auslösen und welche psychologischen und gesellschaftlichen Befindlichkeiten daraus entstehen können.