Die Linke: "Selbstverständnis als Regierung im Wartestand"
Die Linke hofft, als "soziale Opposition" wieder zu erstarken. Doch ihre Probleme liegen tiefer und müssten gelöst werden. Stattdessen sollen sie wohl gedeckelt werden
Die Linke leckt ihre Wunden und diskutiert - zumindest vordergründig - über die Ursachen ihrer Niederlage bei der Bundestagswahl am 26. September. Ihren Platz sieht die Partei künftig als "soziale Opposition" im Parlament, wobei man "die Ampel-Koalition in manchen Bereichen sicherlich begleiten und unterstützen" werde. So sagte es zumindest der alte und neue Fraktionschef Dietmar Bartsch nach Abschluss der zweitägigen Klausurtagung seiner Fraktion in Leipzig.
Worauf man sich bei der Tagung geeinigt habe, das toppe "in Sachen ‚Weiter so‘ alles bisher Geschriebene", erklärte Thies Gleiss am Donnerstag gegenüber der Tageszeitung junge Welt. Gleiss ist einer der Bundessprecher der Parteiströmung Antikapitalistische Linke (AKL) und Mitglied des Bundesvorstandes der Partei. Das Papier sei "eine einzige Ansammlung von Stilblüten" und es werde wieder nur "ein Selbstverständnis als Regierung im Wartestand zelebriert, die darauf hofft, mit den Landesregierungen mit Linke-Beteiligung echte Regierung zu spielen".
Im Neuen Deutschland (ND) heißt es dann schon, "nicht nur die die Fraktions-, sondern auch die Parteiführung" würden in Zukunft alles dafür tun, um die inhaltlichen Konflikte zu deckeln, wo es nur geht. Auch wenn nachvollziehbar sei, die Partei zusammenhalten zu wollen, so bleibe am Ende dem Wähler unklar, wofür Die Linke inhaltlich stehe. Für die Ursachen der Wahlschlappe werden immer wieder mehrere Punkte vorgetragen, die - mitunter bis in die Ortsgliederungen - in weiten Teilen der Partei geteilt werden: äußere Einflüsse, für die man nichts kann; Sahra Wagenknecht; und die Abstimmung zum Afghanistan-Einsatz im Bundestag.
Die ehemalige Parteivorsitzende Katja Kipping hat sich am Mittwoch in einem Interview mit dem ND zu diesen Fragen geäußert. Nachdem die Partei im Februar 2020 bei elf Prozent stand, kam die Corona-Krise - dass die Partei dann abgesackt sei, dafür könne man nichts. Außerdem hätten die Medien im Wahlkampf auf das Format der "Trielle" gesetzt. Trotz des "für den sozial-ökologischen Umbau (…) konsequenteren, konkreteren, durchgerechneten Programms" seien viele Wähler zu den Sozialdemokraten und zu den Grünen abgewandert. Ursache dafür sei, dass man ihnen keine Durchsetzungsperspektive geboten habe. Außerdem glaubten viele, "dass uns der Nato-Austritt wichtiger sei als die Durchsetzung sozialer Sicherheit".
Der ehemalige klima- und energiepolitische Sprecher der linken Fraktion im Bundestag, Lorenz Gösta Beutin, machte es sich in einem Gastbeitrag für das ND einfach: Sahra Wagenknecht ist schuld! Nach der Veröffentlichung ihres Buches "Die Selbstgerechten" seien viele "zu den wortreich gescholtenen ‚Lifestyle-Linken‘", also zu SPD und Grünen gewechselt.
Die sächsische Landtagsabgeordnete Jule Nagel hält diesen Aussagen Gründe entgegen, die etwas tiefer liegen. Die Stimmverluste seien nicht plötzlich gekommen, sondern seien ein schleichender Prozess, "der sich mit Wählerwanderungen zu anderen Parteien, demographischen Effekten und einer vorerst gescheiterten West-Erweiterung erklären lässt", schreibt sie im ND. Andere Gründe seien die Zerrissenheit der Partei und "das permanente Arbeiten von lautstarken Minderheiten gegen den Konsens der Partei".
Linke Wahlerfolge liegen lange zurück
Bei diesen Punkten lohnt es sich, einzuhaken, denn der Blick auf die Wahlstatistiken zeigt, dass der Zuspruch bei Bundestagswahlen seit 2009 immer geringer wird. Doch die Jahre zuvor haben gezeigt, dass Die Linke beziehungsweise ihre Vorgängerparteien durchaus Erfolg haben konnten. In der Vergangenheit achtete man offenbar mehr auf die großen gesellschaftlichen Trends, die der Partei Auftrieb gaben.
Einmal war dies bei der Bundestagswahl von 1994. Zu diesem Zeitpunkt lag der politische Umbruch auf dem Gebiet der ehemaligen DDR nur wenige Jahre zurück, die Deindustrialisierung des Landes ging an niemandem spurlos vorbei. Damals trat die PDS als Anwältin ostdeutscher Interessen auf. Hatte die Partei 1990 in den "neuen" Bundesländern nur Ergebnisse im einstelligen Bereich erzielt, so kam sie 1994 im Osten auf fast 20 Prozent der Stimmen (in Berlin waren es 14,8 Prozent). In Mecklenburg-Vorpommern erreichte sie sogar ein noch besseres Ergebnis.
In den alten Bundesländern blieb die PDS im niedrigen einstelligen Bereich. Das änderte sich erst bei der Wahl 2005. Damals kam die "Wahlalternative Arbeit & Soziale Gerechtigkeit" (WASG), die sich später mit der PDS zur heutigen Linkspartei vereinigte, in den alten Ländern an fünf bis sechs Prozent heran. Im Osten stagnierte die PDS bis dahin - beziehungsweise sie baute ein wenig ab. Einen richtigen Aufschwung erlebte sie dann bei der Bundestagswahl 2009. Im Osten holte die Partei fast 30 Prozent der Stimmen, im Westen kam sie fast an die zehn Prozent der Stimmen heran; im Saarland sogar auf mehr als 20 Prozent der Stimmen.
Die heutige Linkspartei profitierte in den 2000er-Jahren davon, dass sich viele Sozialdemokraten nicht mehr mit der Politik eines Gerhard Schröder oder eines Franz Müntefering identifizieren konnten; sie spalteten sich ab und gründeten die WASG, mit der die PDS 2007 fusionierte. Der Widerstand gegen die "Agenda 2010" und die Hartz-Gesetze sorgte für Auftrieb. Nach 2009 begann die Talfahrt.
Zerrissenheit und schlechte Kandidatenwahl
Wenn von Zerrissenheit der Partei die Rede ist, dann wird oft von Konflikten zwischen dem Wagenknecht- und dem Kipping-Flügel gesprochen - oder zwischen dem Wagenknecht- und dem Bartsch-Flügel. Allerdings ist hier das Problem auch viel stärker ausgeprägt. Ein Beispiel soll das veranschaulichen.
Für Ende 2019 hatte das Klima-Aktionsbündnis "Ende Gelände" angekündigt, in der Lausitz Tagebaue zu besetzen. Mehrere Abgeordnete der Linken hatten den Aufruf zu den Aktionen unterzeichnet. Der Bundestagsabgeordnete Lorenz Gösta Beutin rief zur Solidarität auf. Mehrere Abgeordnete waren als parlamentarische Beobachter vor Ort. Auch die Brandenburger Linken unterstützten "Ende Gelände".
Doch vor Ort zeigten Kommunalpolitiker der Linken die entgegengesetzte Haltung. Sämtliche Fraktionen im Stadtparlament - von den Linken bis zur AfD - unterstützten ein von der SPD eingebrachtes Papier. Darin wurden "Ende Gelände" gewalttägige und zerstörerische Aktionen unterstellt. Bei dem Bündnis handle es sich um eine "an Dialog und Verständigung nicht interessierte Initiative von außen", ihr Vorhaben sei "gewalttätig und rechtswidrig".
Bei der Auswahl der Kandidaten zur Bundestagswahl hatte die Partei auch nicht immer ein glückliches Händchen. Sicherlich hat das auch einen Anteil am schlechten Wahlergebnis. Ein Beispiel: In Brandenburg wurde der selbst in seiner Partei umstrittene Christian Görke auf Platz eins der Landesliste gesetzt. Gegen die Nominierung protestierten mehrere Ortsverbände; in einem Protestbrief hieß es: Görke trage "eine große Mitverantwortung für die Verluste bei den beiden letzten Landtagswahlen".
Für die Wähler sei Görke "der bekannte Name", der beispielsweise in der Landesregierung als stellvertretender Ministerpräsident für die "Altanschließer-Misere" stehe. Dabei hatten die kommunalen Zweckverbände in Brandenburg mehrere 100 Millionen Euro Gebühren für Wasseranschlüsse verlangt, die mitunter schon in der DDR gelegt worden waren. Die rückwirkend erhobenen Beiträge wurden 2015 vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) wieder kassiert. Ihr Geld erhielten aber nur die zurück, die bis zuletzt in Widerspruch gingen und klagten; der Rest ging leer aus. Görke hatte das damals verteidigt.
Seine Kritiker machten ihn nun auch für die gescheiterte Gebietsreform verantwortlich und geben ihm eine Mitschuld am rigiden Polizeigesetz in Brandenburg. Zudem habe es ihm als Finanzminister an Durchsetzungskraft gefehlt. Kritiker warfen ihm im darüber hinaus vor, die neoliberale Schuldenbremse in Brandenburg eingeführt zu haben. Görke habe in der Regierung zu wenig versucht, linke Positionen gegenüber dem damaligen Koalitionspartner SPD durchzusetzen. Und wenn er es mal wagte, habe er meistens den Kürzeren gezogen.
Wenn Jule Nagel von demographischen Effekten spricht, dann legt sie den Finger in die Wunde: Im Osten hat die Partei zwar noch relativ viele Mitglieder - aber die Zahl der Aktiven dürfte die absolute Minderzahl ausmachen. Schon vor knapp 20 Jahren warnten linke Kommunalpolitiker vor einer Überalterung und dem Verlust der Handlungsfähigkeit ihrer Partei. Inzwischen ist genau das eingetreten: Vor allem in den ländlichen Regionen ist die Partei kaum noch handlungsfähig. Wie das einmal geändert werden soll, darüber wird viel zu wenig debattiert.
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