Die Macht der afghanischen Warlords

Der afghanische Journalist und Warlord-Kritiker Sayed Yaqub Ibrahimi floh ins Exil

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Sayed Yaqub Ibrahimi (26 Jahre) aus der nordafghanischen Stadt Mazar-e-Sharif in der Provinz Balkh berichtet seit sechs Jahren über die Kriegsverbrechen, Korruption und Menschenrechtsverletzungen der Warlords. In Afghanistan gilt er als schärfster Kritiker und „Feind“ der Kriegsfürsten, die das Land nach dem Abzug der sowjetischen Armee 1989 in den Ruin gestürzt haben und seither terrorisieren. Finanziert durch Drogen- und Waffenhandel geht es ihnen nicht um die Sicherheit und den Aufbau von Rechtsstaat und Demokratie, sondern um die Erweiterung ihrer Macht im Land.

„Warlords sind, wie die Taliban auch, Fundamentalisten. Sie denken ähnlich, tragen aber andere Kleider als die Taliban. In ganz Afghanistan gibt es 20 Warlords, von denen einige sogar Schlüsselpositionen in der Regierung Hamid Karzais bekleiden“, sagt Sayed Yaqub Ibrahimi, derzeitiger Gast der Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte. Als einer der wenigen unabhängigen Journalisten hat Sayed Yaqub Ibrahimi, der seit März 2004 für das Institute for War and Peace Reporting (IWPR), mit Hauptsitz in London arbeitet, im Vielvölkerstaat Kontakte zu allen politischen und ethnischen Gruppierungen des Landes.

Die Warlords stehen ganz oben auf der schwarzen Liste der Menschenrechtsorganisationen. Die Einheimischen gehen ihnen aus dem Weg und die internationalen Truppen der Isaf (International Security Assistance Force/ Internationale Afghanistan-Friedensgruppe) bekämpfen sie nur teilweise. Die NATO-Staaten vertreten keine einheitliche Politik, um das Land zu befrieden und ihm Sicherheit und Stabilität zu geben.

Ibrahimi schrieb in zahlreichen Artikeln über die Netzwerke der Warlords mit Al-Qaida und ihre Rolle in der afghanischen Gesellschaft nach dem Sturz der Taliban. Sie treiben illegal Steuern bei der einheimischen Bevölkerung im Norden ein, töten die Tiere der Bauern und schmuggeln Waffen und Munition nach Asien und Opium nach Russland.

Abdul Rashid Dostum ist im Norden Afghanistans derzeit einer der mächtigsten Warlords. Dostum stand in den achtziger Jahren einer schwarz maskierten Miliz vor, die als Bande von Erpressern, Plünderern, Vergewaltiger und Mörder verschrien war. Entgegen seiner anfangs regierungsfreundlichen Haltung wurde der Milizenchef in den 90er Jahren aus Kabul vertrieben, da er für brutale Angriffe auf die Zivilbevölkerung bekannt war. Ibrahimi deckte frühzeitig die Bestrebungen Dostums auf, der am 19.2.2008 als Staatschef der Armee Afghanistans suspendiert wurde. So berichtete er kurz vor den Präsidentschaftswahlen am 9.10.2004, dass das DDR (Disarmament, Demobilisation, Reintegration)-Programm der UNO zur Entwaffnung und sozialen Reintegration zehntausender afghanischer Milizsoldaten von Dostum untergraben wurde, der die Kämpfer, die sich freiwillig dem Programm unterzogen hatten, hinterher mit Hilfe seiner Kommandeure zwangsrekrutierte.

Ibrahimi recherchierte auch über Kindsentführungen der Warlords. So erzählte er eine Geschichte, die niemand veröffentlichen wollte. Eine Kontaktperson berichtete von dem elfjährigen Mädchen Sanubar, das gegen einen Hund getauscht und von Bewaffneten verschleppt worden war. Sanubar kehrte nie mehr zu ihrer Großmutter zurück. „Keine Zeitung interessierte sich für die Tat. Ich übernahm Verantwortung, indem ich das Geschehnis veröffentlichte“, erklärte Ibrahimi bei einem Vortrag in der Gerd Buercius Law-School in Hamburg. In „Die tanzenden kleinen Jungen des Nordens“ enthüllte Ibrahimi im Oktober 2007 die Tradition der Warlords, Jungen im Alter von 12 Jahren als Spielkinder, Tänzer und Sexualpartner für besondere Feste einzusetzen, die sie vorher armen Familien weggenommen haben. Obgleich die Polizei und Gerichte einen kleinen Teil des „Spielkinder“-Missbrauchs untersuchen, bleiben die Menschenrechtsverletzungen der Warlords in der Regel ungestraft.

Im Februar 2007 spürte Ibrahimi die Konsequenzen seiner kritischen Berichterstattung. Es folgten anonyme Anrufe, bei dem sich ein Warlord zu erkennen gab und ihn aufforderte, seinen Beruf aufzugeben. Dann tauchten bewaffnete Unbekannte in der Nähe seiner Wohnung auf. Seine in der Provinz Sar-e Pol lebende Familie warnte ihn, dass sie auch dort nach ihm suchten und mit der Ermordung seines Vaters, der Buchhändler ist, drohten.

Der unfaire Prozess gegen Ibrahimis Bruder

Am 26. Oktober 2007 verhaftete der Inlandsgeheimdienst (NDS) Ibrahimis Bruder Sayed Parwez Kambakhsh, der an der Balkh-Universität studiert. Ibrahimi vermutet, dass seine Artikel über die Gewalttaten des Kommandeurs der Provinz Piram Qul Anlass für das Vorgehen des Inlandsgeheimdienstes waren, der ihn mundtot machen sollte.

Kambakhsh wurde in sechs verschiedene Gefängnisse geschleppt und der Blasphemie angeklagt, weil er einen Text, der den Islam beleidige, unter Studenten verteilt hatte. Sayed Parwez Kambakhsh nahm zehn Kilo ab und wurde gefoltert, wobei ihm Hand und Nase gebrochen wurden. Dann folgte ein unfaires Gerichtsverfahren. Die afghanische Gerichtsordnung sieht vor, islamische Prozesse von islamischen Gerichten durchführen zu lassen. Das Sicherheitsgericht der Provinz Balkh verhielt sich so, als handele es sich um einen islamischen Prozess.

Bei Prozessbeginn am 23. Januar 2008 waren neben dem Richter nur zwei Zeugen und der Angeklagte selbst zugegen. Die Verhandlung dauerte vier Minuten. Das Todesurteil lag schon zur Unterschrift bereit. Danach erklärte das Gericht das Urteil für gültig. Ibrahimis Bruder ging wegen schwerer Verfahrensfehler in die Berufung und der Prozess wurde vor dem Obersten Gerichtshof am 18. und 25. Mai erneut aufgerollt und seither unbestimmt vertagt.

„Afghanistan nennt sich heute demokratisch, wird aber von Fundamentalisten regiert. Mein Bruder hat nichts getan. Er lud einzig einen elfseitigen Artikel aus dem Internet herunter, in dem für die Gleichheit der Rechte zwischen Mann und Frau plädiert wurde“, erzählt Sayed Yaqub Ibrahimi im Exil.

Afghanistan: Terror, Armut und Gewalt

Trotz Aufstockung der internationalen Isaf-Truppen zum Wiederaufbau des Landes leidet die afghanische Zivilbevölkerung immer mehr unter Gewalt. Luftangriffe auf Zivilisten, Militäroffensiven, Landminen, Selbstmordanschläge und immer mehr zirkulierende Waffen gefährden die Sicherheit der Bevölkerung.

Michael Mc Connell, Koordinator der US-Geheimdienste gab vor dem Verteidigungsausschuss des US-Senates kürzlich bekannt, dass die Regierung Karzai nur 30% des Landes kontrolliert, während die Taliban in 10% des Landes das Sagen hätten und der Rest unter den Warlords und anderen, ethnischen Gruppen aufgeteilt würde. Dies geht aus dem jüngsten Menschenrechtsbericht der Gesellschaft für bedrohte Völker zwei Jahre nach der Unterzeichnung des Vertrages für Afghanistan auf der Londoner Afghanistan-Konferenz vom 31. Januar bis 1. Februar 2006 hervor. Sayed Yaqub Ibrahimi ist Koautor des Berichts.

Frauen seien in der afghanischen Gesellschaft auch nach dem Sturz der Taliban nur Menschen zweiter Klasse. Der Zugang zu Bildung, Gesundheit und Arbeit stünde vielen nicht offen, da sie von der Familie, Klans und Stämmen diskriminiert und wie Rechtlose behandelt würden. In vielen Landesteilen nehmen sie immer noch nicht am öffentlichen Leben teil. Innerhalb der Klans und Stämme gilt der Kodex des Paschtun Vali wie ein ungeschriebenes Gesetz. Er steht für eine patriarchalische Gesellschaft, in der die Werte Ehre, Stolz, Würde, Kampfbereitschaft und Unabhängigkeit tonangebend sind.

Alltäglich seien auch Entführungen und Gewalt gegen Frauen und Mädchen. Dazu gehöre auch die Zwangsheirat sechsjähriger Mädchen. Und häufig werden Ehen arrangiert, damit verarmte Familien ihre Schulden gegenüber Schuldnern begleichen können. Wenige Frauen sind deshalb in der afghanischen Regierung vertreten und nur wenige Mädchen gehen in die Schule oder dürfen studieren. Noch immer sind 88 Prozent der Frauen Analphabeten.

Presse als Propagandaorgan der Regierung

Nur eine Handvoll Journalisten arbeitet in Afghanistan unabhängig. Viele Journalisten vertreten die Interessen politischer Parteien, die die Medien als Propagandamittel benutzen. So verfügt die Regierung wie auch die Fundamentalisten über ihre eigene Medienlandschaft. Ein Hauch von Pressefreiheit setzte durch die Präsenz und Arbeit der Vereinten Nationen ein, nachdem die Nordallianz auf der Grundlage der Resolution 1386 im November 2001 Sicherheitsunterstützungstruppen nach Afghanistan schickte. UN-Organisationen unterstützten vor allem nach dem Fall des Taliban-Regimes die lokale Presse zwischen 2002 und 2003.

„Die neuen Medien schossen wie die Pilze aus dem Boden. Ich entdeckte in Afghanistan einen neuen Berufszweig und wie viele andere Afghanen die Chance, das Land aus seinen veralterten Strukturen zu befreien und zu erneuern“, so Ibrahimi über seinen Berufsweg. Nach seinem Politikstudium an der Balkh Universität in Mazar-e-Sharif schrieb er zunächst für lokale Tageszeitungen wie Jahan-e-Naw und die kleinere Zeitung Baztaab (Auflage:1000 Exemplare täglich), bevor er wegen des besseren Verdienstes zum Institute for War and Peace Reporting wechselte.

Der Verkauf unabhängiger Medien in den Läden und Basars sei für die Bevölkerung jedoch neu, wobei die wenigsten das differenziertere Medienangebot wirklich nutzen können. Nur 10 Prozent der älteren Bevölkerung sind des Lesens und Schreibens mächtig. Ein weiterer Faktor für die geringe Lesebereitschaft resultiert sicher auch aus der hohen Arbeitslosigkeit. Sie liegt im Norden bei 70 Prozent und im Süden sogar bei 90 Prozent. Die meisten sind Bauern und kleine Kaufleute. Akademiker und Studenten stellen eine nur kleine Minderheit.

Nach Ansicht Ibrahimis steht das Land auf der Kippe zwischen Wiederaufbau und Rückfall in den Fundamentalismus. Schuld daran sei die mangelnde Kohärenz und Einigkeit der Internationalen Afghanistan-Friedenstruppe. Die deutschen Soldaten bauen etwa das Schulwesen und den Straßenbau mit auf und unterstützen die Polizei; die Italiener erneuern das Gerichtssystem und die Amerikaner finanzieren Landwirtschaft und Bauern. Doch sei Afghanistan bisher nur ein Semi-Staat mit schwachen demokratischen Institutionen, die von terroristischen und fundamentalistischen Gruppen wie den Warlords ständig unterwandert werden. Des Rätsels Lösung sei es aber auch nicht, die internationalen Truppen aus Resignation abzuziehen, da dann die Taliban schnell wieder die Herrschaft an sich rissen, so Sayed Yaqub Ibrahimi über die augenblickliche politische Situation im Land.