Die Mär vom skrupellosen Spekulanten
Was sich zurzeit auf und hinter der Euro-Bühne abspielt, vollzieht sich absolut gesetzeskonform nach den Spielregeln der Systemteilnehmer
Seit Wochen wurden wir mit der Botschaft besänftigt und ruhig gestellt, dass der Kollaps von Staaten ein singuläres Ereignis bleiben würde, das ein kranker Baum inmitten eines gesunden Waldes stehe. Man müsse jetzt nur den Brandherd eingrenzen, also Brandrodungen betreiben, um zu verhindern, dass das Feuer übergreift.
Kaum hatten die EU-Finanzminister das Verarmungsprogramm für Griechenland beschlossen, wurde klar, dass die "Märkte" nicht politischen Beschwichtigungen folgen, sondern einzig und allein Aussichten auf Profit: Die Anleihen angezählter Staaten stürzten abermals ins Bodenlose. Mehr noch: sie verloren mehr an Wert als vor Bewilligung des "Hilfspakets". Mit Bewilligung dieser "Griechenland-Hilfe" war bereits klar, dass der Rettungsring ins offene Meer hinaustreiben würde. Seitdem wird fieberhaft daran gearbeitet, aus dem Rettungsring ein Evakuierungsplan zu machen, der die Euro-Zone als Ganzes schützen soll, bevor am 10.5.2010 die Börsen ihre Tore wieder öffnen, um mit den Gesetzen und Möglichkeiten, die ihnen die politisch Verantwortlichen an die Hand gegeben haben, den Euroraum zu fluten.
Ein neuer "Rettungsfond" für die gesamte Eurozone soll eingerichtet werden, eine neue Auffanglinie. Es ist von über 60 Milliarden Euro die Rede. Nachdem der erste Rettungsfond "Sofin" bereits Milliarden dafür ausgegeben hat, giftige, also Schrottpapiere von Privatunternehmen aufzukaufen und "Bad Banks" als Zwischenlager einzurichten, sollen nun Staatsanleihen aufgekauft werden. Die Vergesellschaftung der Krise geht in die nächste Runde.
Wenn von der Gefahr einer "Kernschmelze" die Rede ist, ist nicht Panik damit gemeint, sondern ein realistisches Szenario: Dieselben, die Billionen von Euro an privat-kapitalistischen Verluste an den Staat weitergeben haben, setzen nun ein hohes Preisgeld auf jene Staaten aus, die als erstes unter ihrer Last zusammenbrechen werden. Das ist keine wilde Spekulation, sondern eine einfache, marktgerechte Rechnung.
Die so genannte Griechenland-Hilfe entpuppt sich als das was sie ist. Sie ähnelt in hohem Maße dem derzeitigen Rettungsplan zur Eindämmung der Ölkatastrophe vor der US-amerikanischen Küste. Man legt mediengerecht kilometerlange schwimmende Barrieren aus, um den "Ölteppich" einzudämmen, um die Küsten zu schützen, während sie vom Meer überspült werden und Zehntausende von Liter Öl täglich, ungehindert ins Meer strömen.
Wie kann so etwas passieren? Stecken böse, verantwortungslose Spekulanten dahinter? Es gehört schon viel Dreistigkeit dazu, wenn jetzt hochrangige EU-Politiker vor gewissenslosen Spekulanten warnen, die gegen den Euro-Raum spekulieren. Wer hat dieses "Spekulanten" die rechtlichen und fiskalischen Mittel in die Hand gegeben? In welchen, staatsmännischen Auftrag haben viele Banken, einschließlich der staatseigenen spekuliert? Wie lange haben die nationalen Politiken genau diesen Finanzkrieg protegiert, um neue "Märkte" zu erobern, um für Anleger und Investoren lukrativ zu sein?
Das Prinzip der schöpferischen Zerstörung
Steckt hinter all dem eine unanständige Gier oder gar ein verschwörerischer Plan? Gäbe es noch den Kommunismus, die Sowjetunion, wäre der unsichtbare Feind schnell ausgemacht.
Tatsache ist jedoch, dass man für diese Entwicklung weder einen äußeren Feind, noch einen verantwortungslosen Spekulanten braucht. Man muss nur die Regeln des kapitalistischen Marktes beherrschen und das nötige Kapital haben, um es nach allen Regeln der Kunst einzusetzen: völlig legal, absolut marktkonform und zu 100 % staatlich lizenziert! Was sich vor aller Augen abspielt, ist das Prinzip einer Wirtschaftsordnung, die mit schöpferischer Zerstörung kaum besser beschrieben werden kann. Was sich zurzeit auf und hinter der Euro-Bühne abspielt, vollzieht sich absolut gesetzeskonform nach den Spielregeln der Systemteilnehmer, der Global Player selbst.
Vor ein paar Jahren sind Hedgefonds in Misskredit geraten. Von Heuschrecken (bevorzugt ausländischen) war die Rede, die marode Firmen aufkaufen, ausschlachten, Lohnabhänge rausschmeißen, den Rest verwerten und mit Gewinn wieder auf den "Markt" werfen. Eine völlig verlogene Moral vor allem derer, die diese Hedgefonds auf den Markt gebracht haben, ihnen politisch erst den Weg geebnet hatten. Was Hedgefonds damals und heute machen, wird eben nicht gegen den Willen der politisch Verantwortlichen gemacht, sondern in deren Schutz! Manche politische Wegbereiter waren dabei sehr offen und verglichen die Hedgefonds mit Assgeiern, die nur kranke Tiere fressen, also für eine saubere Entsorgung sorgen, damit die "Kranken" nicht den "Gesunden" zur Last fallen. Dasselbe Prinzip wiederholt sich nun mit Blick auf schwache Staaten, nach denselben Regeln, nach demselben Prinzip: Diesem ist völlig gleichgültig, wie viele Menschen dabei unter die Räder geraten, wie viele Menschen ihre Lebensgrundlage verlieren.
Jetzt frisst dieses Prinzip auch seine staatlichen Protektaten. Denn im Kapitalismus kann man, darf man, soll man nicht nur mit Brandbekämpfung Profite machen, sondern genauso und gelegentlich mehr am (Flächen-)Brand verdienen können.
Ist das Spekulieren mit Staatsanleihen ehrenwerter, als das Spekulieren auf ihren Schrottwert? Weder kennt der Kapitalismus diese Unterscheidung, noch haben die politischen Eliten auf diese Unterscheidung gedrungen.
Am eindrucksvollsten lässt sich das an dem völlig legalen Mittel der Kreditausfallversicherungen, kurz CDS1 genannt, erklären. Kauft eine Bank riskante Staatsanleihen, wie die von Griechenland, sichert sie sich gegen eine mögliche Zahlungsunfähigkeit mit einer Versicherung ab. Diese Versicherung ist umso teuerer, je höher das (Ausfall-)Risiko besagter Anleihe taxiert wird. In einem solchen Fall ist die Versicherung also an ein konkretes, materielles Eigeninteresse gebunden. Doch im Kapitalismus kann man auch "in Versicherungen gehen", ohne auch nur eine Anleihe, einen Stein zu besitzen. Die Intention dabei ist genau das Gegenteil: Man investiert in solche Versicherungen, weil man davon ausgeht, dass der schlimmste Fall, die Zahlungsunfähigkeit eines Staates eintritt! Genau dies passiert seit Wochen: Bildlich gesprochen sind eine Million Euro in Griechenland-Anleihen investiert, während 50 Millionen Euro darauf gesetzt werden, dass Griechenland absäuft und die Anleihe nicht mehr zurückzahlen kann. Der Unterschied zwischen der ersten und zweiten Spekulation ist (je nach Risiko) gewaltig: Eine Griechenland-Anleihe brächte 4 bis 5 Prozent, das Spekulieren auf die Zahlungsunfähigkeit hingegen das Zwei- bis Dreifache. Wird dieser Wahnsinn noch mit Hebelprodukten kombiniert, braucht man dafür keine 50 Millionen, sondern nur 5 Millionen Euro (Hebelwirkung 1:10).
Was einen abstrakt vielleicht kalt lässt, wird an einem lebensnahen Beispiel in seiner mörderischen Logik deutlich: Man schließt eine Versicherungspolice darüber ab, dass das Haus des Nachbars abbrennt! Brennt es tatsächlich ab, hat sich die Investition gelohnt. Ob in den Haus Menschen lebten oder durch den Brand ums Leben gekommen sind, ist dieser Logik gleichgültig!