Die Mentalität des digitalen Räuberns

Der gemeine Raubkopierer gelangt nun auch ins Visier der Mentalitätsforschung. Vorsicht! PC-Freaks sind besonders gefährlich

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Mentalitätszuschreibungen, also das Verhalten infolge besonderer Arten des Denkens und Fühlens, waren bislang vor allem innerhalb von volkstümlichen Klischees anzutreffen: Der Franzose ist liebestoll, der Italiener ein Muttersöhnchen, der Schwabe sparsam, und die Finnen sind unterkühlt. Die Richtigkeit dieser Behauptungen außer Acht lassend, gebar das digitale Zeitalter ein weiteres Völkchen, mit dem sich seit geraumer Zeit vor allem die Produzenten medialer Inhalte immer ernsthafter auseinandersetzen: die Raubkopierer. Die Privat-Universität Witten/Herdecke hat sich nun mit der Mentalität dieser Gruppe von Mediennutzern beschäftigt. Heraus kam ein Bericht über den Typus des Raubkopierers: seine Einstellungen, sein Umgang mit Computer und Internet, sein Vergehen und die Möglichkeiten, wie er wieder in die alten Rechtskategorien der analogen Welt hineingeholt werden könnte.

Vom Täter zum Kunden: Bewusstmachung statt Kriminalisierung

Aus der Legalität des "Mein-und-Dein" sei der gemeine Software-Raubkopierer nämlich herausgefallen. Genauer gesagt habe er sich selbst davon verabschiedet, noch genauer gesagt: Er war noch gar nie drin. An dieser Hauptproblematik hangelt sich die Argumentation der Studie, die im Auftrag von Microsoft Deutschland erstellt wurde, entlang. Obwohl vielen bewusst sei, dass Raubkopieren eine Straftat darstellt, fehle es doch an der Einhaltung der herrschenden Gesetze des Urheberrechts, auch aufgrund eines wenig wirksamen Sanktionsmechanismus, so die Studie.

Im Gegensatz zur laufenden und von den Autoren scharf kritisierten Kampagne der Filmindustrie, die mit ihrer visuellen Kriminalisierung die Delinquenten, gelinde gesagt, zum Umdenken "anleiten" will, wird für die Softwareindustrie eine andere Strategie vorgeschlagen: Zur weiteren Aufrechterhaltung des Investitionsschutzes von Softwarefirmen müssen aus den Tätern der Gegenwart die Kunden der Zukunft gemacht werden. Dazu haben die Experten diese in vier Kategorien eingeteilt.

Ideologen sind zu vernachlässigen, der Freak ist das Problem

Der am wenigsten dem räuberischen Kopieren von Softwareprodukten zugeneigte "PC-Profi" stellt die älteste, und, was den sozial-ökonomischen Hintergrund anbelangt, die am besten ausgestattete Gruppe dar. Das Gegenteil von ihm ist der "PC-Freak": Er ist jung, kopiert am meisten und lässt sich auch durch die herkömmlichen technischen Sicherungs- und juristischen Abschreckungsmaßnahmen nicht davon abhalten. Auch der Typ des "Hobby-Users" ist ganz eifrig bei der Sache, kopiert er doch alles, was ihm interessant und als irgendwann einmal nützlich erscheint. Er kennt sich mit dem Computer deutlich weniger aus als der "Freak" und der "Profi", aber immer noch mehr als die letzte Gruppe, die "Pragmatiker".

Diese zeichnet einen beschränkten computertechnischen Wissenshorizont aus, dafür haben sie alles was sie haben auch in Gebrauch, weshalb offenbar auch wenig Neigung zum Kopieren entwickelt wird. Von der Anzahl her nicht relevant ist der "Ideologe", der Aufgrund seiner Abneigung, zum Beispiel gegen die Preispolitik von Softwaremonopolisten, sein Tun als wirtschaftlichen Boykott legitimiert.

Obwohl in der Einleitung die Frage nach der Angemessenheit von finanziellen Rückflüssen als Investitionssicherung gestellt wurde, verzichtet die Studie hier die Rolle der Kosten von Softwareprodukten zu thematisieren. Im zweiten Teil der Studie wird jedem der genannten vier Typen von Raubkopierern nun eine bestimmte "digitale Mentalität" zugeordnet, aus denen wiederum die Angebotsstrategien zur Vermeidung von illegalem Kopieren erwachsen sollen.

Der "digital-gap" einmal anders

So gut wie alle Raubkopierer wissen, dass sie sich nicht rechtskonform verhalten, so das Ergebnis der Studie. Allerdings, und das wird als besonders problematisch eingeschätzt, ist der Umgang mit dem Thema Raubkopieren schon so in den Alltag integriert, dass es in weiten Teilen als eine Normalität angesehen wird. Die Kluft zwischen dem Urheberrecht und dem User, der zwar illegales Kopieren verurteilt, gleichzeitig aber ohne Unrechtsbewusstsein die kopierten Produkte nutzt, scheint unüberbrückbar. Verschiedene Probleme würden sich hier einer Änderung in den Weg stellen. Eines davon ist die Opferferne: Kaum ein Raubkopierer wurde je das Opfer einer Urheberrechtsverletzung, weshalb die Tat auch so schwer nachzuvollziehen sei.

Gleichwohl ist der entscheidende Punkt aber ein juristischer: Durch die Integration von Kommunikation und Anonymität, mittels der Zwischenschaltung von Technik (Computer und Internet), entwickelte sich das, was die Macher der Studie als "Digitale Mentalität" bezeichnen. Hier hat das Problem nach Expertenmeinung seine Wurzeln: Die Verwechslung des Erwerbs des Eigentumsrechts mit dem Urheberrecht beim Kauf eines Produktes führte dem User bisher nicht vor Augen, dass er mit der Vervielfältigung jemandem etwas "wegnimmt". Es fehle die "Nachvollziehbarkeit im Sinne eines intuitiven Rechtsverständnisses", und wenn diese Nachvollziehbarkeit nicht vorhanden sei, dann bliebe zur Durchsetzung eben nur noch die Sanktionsandrohung.

Hier schlägt die Studie vor, dem Menschen im digitalen Zeitalter klar zu machen, und zwar schon in Schule und Erziehung, was überhaupt ein eingeschränktes Verfügungsrecht ist, denn ausschließlich dieses erwerbe er beim Kauf eines Softwareprogramms, das Eigentumsrecht verbleibe ja beim Unternehmen.

Die Zukunft ohne Raubkopierer: Digital Honesty

Die Aufklärung und gleichzeitige Begründung der gesetzlichen Regelungen, auf die die Nachvollziehbarkeit und damit die Einsicht folgen sollte, stehen im Zentrum der Lösungsvorschläge, welche die Studie macht. Aber vielleicht wird sich das Problem auch selber lösen, zumindest teilweise.

Denn von technischer Seite wird die Ausweitung des im Aufschwung begriffenen "Application Service Providing" angeregt, also die Verfügbarkeit von Software über den Distributionskanal Internet, im Zusammenhang mit einem temporären Verfügungsrecht. Dies hätte laut Expertenmeinung den Vorteil, dass der Kunde keine materiellen Güter (CD-Rom) mehr erwirbt, und so die Verwechslung von Erwerbs- und Verfügungsrecht wegfallen würde. Hilft das alles nichts, würden Sanktionsmechanismen weiterhin die letzte Möglichkeit sein, wobei die Höhe der Strafe und die tatsächliche Durchsetzung der Androhung entscheidend seien.

Alle diese Ansätze sollen nicht zuletzt die zukünftige Nutzung und Vermarktung von Innovationen in einer digitalisierten Gesellschaft sicherstellen, und dazu sei eine andere Kultur im Umgang mit Urheberrechten unabdingbar, so das Fazit der Studie.

Wenn diese Studie Kritik erfahren sollte, dann liegt diese in ihrer grundlegenden Systematik verborgen. Leider kann der eigene Anspruch einer "theoretischen Analyse" als das Ergebnis der Studie lediglich mit 126 Online-Interviews als Grundlage aufwarten, neben empirischen Recherchedaten und Expertenbefragungen. Sicher ein statistischer Schwachpunkt, den es zu bedenken gilt. Auch sind die nur minimalistischen Ansätze einer wirklich "medienwissenschaftlichen" Expertise in einer Studie über die Nutzung von Computer und Internet zumindest problematisch. Wenn schon Technikgeschichte im Zusammenhang mit dem Beginn von Urheberrechtsfragen erläutert wird, warum dann nicht auch auf "den" großen Kampf innerhalb der digitalen Bewegung eingehen, der sich in den Metaphern von "Datenautobahn" und "Datenmeer" nicht trefflicher ausdrücken ließe. Schließlich kämpfen von Beginn des digitalen Zeitalters an die Befürworter einer "Bemautung" gegen die "Freischwimmer" - und diese zwei Wurzeln sind auch der Hintergrund der Diskussion um Softwarepatente.