Die Mitternachtssonne von AOL Time Warner
Schiere Größe allein wird sie über die Runden bringen.
Im Sperrfeuer der Medienberichterstattung über die Fusion von AOL und Time Warner brachte es die Financial Times auf den Punkt, indem sie schrieb, "schiere Größe allein wird AOL Time Warner über die Runden bringen". In anderen Worten, wie auch immer die neue Medienlandschaft aussehen wird, so wird das neugeschaffene Konglomerat schon allein durch sein Gewicht die Entwicklung dominieren. Definitionsgemäß wird es den Status quo repräsentieren.
Konvergenz, die Fusion aus Internet und Fernsehen, wird damit Realität, nicht weil sie "unvermeidbar" oder "technisch überlegen" wäre, sondern weil mit 360 Milliarden Dollar Marktwert und 100 Millionen zahlenden Empfängern (zählt man alle Dienste zusammen) Überraschungen, auch auf globaler Ebene, ausgeschlossen sind. Der Lauf der Dinge kann in absichtsvoller und vorhersehbarer Weise gestaltet werden. Das ist, wie wenn ein Elefant in einen kleinen Teich springt und man vorhersagt, dass der Wasserstand ansteigen wird. Die Zukunft wird zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung. Doch was wird prophezeit?
Sicherlich nicht der Triumph der neuen interaktiven Medien über alle Massenmedien, wie die meisten Kommentatoren enthusiastisch schrieben. Eine solche Interpretation ist ebenso absurd, als würde man behaupten, dass mit Clinton, Blair und Schröder die alten 68er-Revolutionäre endlich an die Macht gekommen wären. Obwohl es wahr ist, dass einige Kabinettsmitglieder geraucht und, ja, auch inhaliert haben, so haben sie während des Marsches durch die Institutionen soviel von ihrer möglicherweise radikalen Vergangenheit eingebüßt, dass sie, als sie schließlich an die Macht kamen, von dem Establishment, das sie einst zu bekämpfen schienen, ununterscheidbar wurden.
Vor wenigen Jahren wurde das Internet noch als Bedrohung der alten etablierten Medien gesehen. Doch nun, da die größte Internetfirma den größten Massenmedienkonzern übernimmt, wird es klar, dass der Schlüssel zum Erfolg nicht Rebellion sondern Konformität war: die nahezu vollkommene Aneignung der Kultur der Massenmedien. Für AOL ist das Internet nie mehr als der allergeläufigste Übertragungskanal gewesen. Leichte Benutzbarkeit, in technischer Hinsicht aber auch, was die Inhalte angeht, war ihr wichtigstes Anliegen. Die Vermarktung von Augäpfeln und nicht das "Empowerment" der User hat AOL groß gemacht. Nun, mit Zugang zu 13 Milllionen Haushalten, haben sie endlich den fetten Übertragungskanal, durch den sie hochintensive Unterhaltungsdienstleistungen pumpen können, mit einem dürren "Rückkanal", um all jene Kreditkartennummern einzusammeln. In den Händen von AOL wird das Internet zu einem Shopping-Kanal auf Steroiden. Und indem Time Warner die ach-so berauschenden Möglichkeiten der "interaktiven" Medien bewerben wird, ist sichergestellt, dass alle ihre Steroide mögen werden. Die Prophezeiung der AOL-Fusion lautet, dass alles gleich bleiben wird, nur viel, viel besser. Prozac für die Massen.
Im neuen Reich wird die Sonne nie untergehn, sie wird auf uns niederscheinen, immer und überall, auf jedem Channel, den wir öffnen. Und das Licht wird so hell sein, dass wir Sonnenbrillen tragen müssen, sogar um Mitternacht.