Die Mordinszenierung an Babchenko wird für die Regierung zum Rohrkrepierer
Viele Journalisten, die auf der angeblichen Mordliste stehen, bezweifeln deren Echtheit, der Geheimdienst SBU ermittelt nun gegen eine Online-Plattform, die sie veröffentlicht hat
Die ukrainische Regierung hat sich mit dem vom Geheimdienst SBU und der Generalstaatsanwaltschaft vorgetäuschten Mordanschlag auf den russischen und kremlkritischen Journalisten Babchenko am 29. Mai in Kiew in die Nesseln gesetzt und ihre Glaubwürdigkeit weiter beschädigt. Der ukrainische Präsident hatte die Inszenierung am Tag darauf im Beisein des wiederauferstandenen Babchenko, des Geheimdienstchefs und des Generalstaatsanwalts gefeiert. Die Ukraine habe sich erstmals als wehrhaft erwiesen.
Auch in einem Interview mit El Pais, wo Poroschenko auffällig von kritischen Nachfragen verschont blieb, lobte er erneut diese "Technik", bei der die Geheimdienste gezeigt hätten, dass sie "effektiv diesen Killer bekämpft" haben. Der Mord habe die Ukraine destabilisieren sollen, indem die Sicherheitsbehörden vorgeführt werden sollten, weil sie die Lage im Inneren nicht kontrollieren können. Er wolle aus dem Prozess aber keine "politische Show" machen, was er und die Sicherheitsbehörden allerdings im großen Stil gemacht hatten. Fake News kommen für ihn alleine aus Russland. Und nach ihm zahlen die Ukraine mit ihm an der Spitze mit dem Krieg im Donbass einen "hohen Preis" nicht nur "für den Schutz unserer Souveränität, unserer territorialen Integrität, unserer Unabhängigkeit, sondern für den Schutz der Freiheit und Demokratie in der Welt".
Der angeblich durch den vorgetäuschten Mord überführte Organisator, der Ukrainer Boris German (Herman), soll Geld von russischen Geheimdiensten erhalten, um eine Reihe von Mordanschlägen gegen Journalisten in der Ukraine auszuführen. German erklärte freilich beim Verhör, er sei kein russischer Agent, sondern habe mit der Spionageabwehr, einer Abteilung des SBU, zusammengearbeitet. Es stellte sich auch heraus, dass der Auftragskiller Oleksiy Tsimbalyuk ein ehemaliger Priester ist, der dem rechtsextremen, nationalistischen und antirussischem Rechten Sektor angehört und bereits im Donbass bei dessen Miliz gekämpft hat (Auch der Rechte Sektor spielte im Fall Babchenko mit). Der SBU hat mittlerweile bestätigt, dass der angebliche Auftragskiller für den Geheimdienst arbeitete.
Die Liste, die immer länger wurde
Gesprochen wurde vom Generalstaatsanwalt Lutsenko am 30. Mai zunächst von einer gefundenen Liste, auf der die Namen von 30 weiteren Personen standen, die getötet werden sollten. Zuerst war nur von drei Personen die Rede, von Babchenko sowie dem Opernsänger Todor Panovsky und dem Ex-FSB-Offizier Ilya Bogdanov, der in die Ukraine geflohen ist. Babchenko sagte, aufgrund dieser Liste habe er bei dem SBU-Komplott mitgewirkt. Einen Tag später soll die Liste bereits 47 Namen enthalten haben. Außenminister Pavlo Klimkin erklärte beim Besuch des deutschen Außenministers am 1. Juni, dass ohne das Mordspektakel und die damit verbundenen Maßnahmen "weitere Morde" geschehen wären, die sonst "unmöglich zu verhindern" gewesen wären
Die Liste wurde vom Geheimdienst nicht veröffentlicht, weil das angeblich die Ermittlungen behindern würde. Sie wurde aber an Strana.ua durchgestochen und dort veröffentlicht. Schon davor waren viele Namen bekannt geworden, weil der Geheimdienst sie angerufen hatte. Nach Lutsenko handele es sich "meist um bekannte ukrainische und ex-russische Journalisten, er schrieb am 1. Juni, dass sie benachrichtigt worden und unter Schutz gestellt worden seien.
Das Leaken der Namen führte allerdings zu weiteren Problemen für die ukrainische Regierung und die Sicherheitsdienste, denn einige der Journalisten, die auf der Liste stehen, aber auch andere bezweifeln, ob diese authentisch ist und nicht auch vom SBU gefälscht wurde. So merkte Oleksiy Bratushchak von der Nachrichtenseite Ukrayinskaya Pravda an, es sei auffällig, dass viele der Journalisten auf der Liste regierungskritisch seien. Man könne vermuten, dass der ukrainische Geheimdienst diese weniger schützen, sondern vor den anstehenden Wahlen "alle Bewegungen, alle Treffen" beobachten wolle.
RFE/RL, also nicht gerade ein prorussisches Medium, fragte am 4. Juni bei drei Journalisten nach, die auf der Liste stehen. Sie sagten unter Bedingung, dass ihre Namen nicht genannt werden und weil sie ein Schweigeabkommen unterzeichnet haben, dass sie die Authentizität der Liste bezweifeln. Die sei ähnlich derjenigen, die ihnen vom SBU gezeigt wurde, weise aber ein paar Unterschiede auf, beispielsweise bei der Reihung der Namen. Babchenkos Name sei aber nicht zu finden. Nach dem SBU sei er nur als erstes Opfer von den angeblichen Drahtziehern ausgewählt worden. Allen drei sei angeboten worden, sie zu beschützen, was sie aber abgelehnt hätten, da sie den ukrainischen Sicherheitsbehörden nicht trauen. Auch die Kyiv Post berichtete von großem Missstrauen gegenüber dem Geheimdienst unter Journalisten.
Eine Liste von "Verrätern" von der Generalstaatsanwaltschaft
Dummerweise hatte die Sprecherin von Generalstaatsanwalt Larysa Sargan am 30 Mai auch noch auf ihrer Facebook-Seite eine Liste von Personen mit Zitaten veröffentlicht, die sie des Verrats bezichtigte, weil sie die Aktionen des SBU kritisierten. Man solle beobachten, wie sie sich entschuldigen. Kritik an Sargan kam etwa von Harlem Desir, bei der OSCE zuständig für Medienfreiheit: "Die Veröffentlichung einer Liste mit Namen von Journalisten, die als Verräter beschuldigt werden, ist inakzeptabel und gefährlich. Das kann ersthafte Folgen für die Sicherheit der Journalisten haben." Er forderte die Behörden auf, solche Aktionen zu unterlassen, offenbar ohne Folgen.
Offenbar sehen die Behörden, wie die Inszenierung mehr und mehr nach hinten losgeht und versuchen jetzt, wenn auch zu spät, gegen die Online-Veröffentlichung vorzugehen. So hat der Geheimdienst eine strafrechtliche Vorermittlung über die Veröffentlichung der Liste eingeleitet, was gleichzeitig deren "Echtheit" bestätigt, was der Geheimdienst auch gegenüber BBC erklärte. Offenbar soll gegen Strana.ua, nicht aber gegen denjenigen vorgegangen werden, der dem Medium die Liste zugesteckt hat, was davon zeugt, dass man mit der Medienfreiheit hadert. Beklagt wird die "Veröffentlichung der Liste mit den Namen ukrainischer Bürger und Bürger anderer Staaten, die als Folge von Terrorakten auf dem Gebiet unseres Landes ermordet werden sollten". Dass von der Generalstaatsanwaltschaft eine Liste mit "Verrätern" veröffentlicht wurde, die nun auch angesichts bewaffneter Rechtsradikaler im Lande bedroht sein können, kümmert die Behörden offensichtlich nicht. Das Vorgehen wird vielfach von ukrainischen Journalisten kritisiert.