Die Nackte und die ägyptische Revolution

Aktaufnahmen einer Bloggerin stellen die Meinungsfreiheit im Ägypten nach Mubarak auf die Probe

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In Ägypten sind es immer wieder die Blogger, die die Grenzen der Meinungsfreiheit austesten. Manchmal folgen ihnen die Massenmedien. Im Fall der Bloggerin Aliaa Magda Elmahdy veröffentlichte gestern die ägyptische Tageszeitung Al-Masry-al-Youm eine Aktzeichnung, deren Besonderheit nicht die künstlerische Qualität ist, sondern die pure Nacktheit, das Zurschaustellen der Brüste und der Vagina der gesichtslosen Frau. Das ist ein gewagter Schritt, zumal in Ägypten. Auch in Tageszeitungen des "freien Westens" würde dies nicht ohne Diskussion bleiben.

Noch gewagter ist das Bild im Blog, das dem Artikel der ägyptischen Tageszeitung zugrundeliegt. Es zeigt die Bloggerin Aliaa Magda Elmahdy nackt (bis auf Strümpfe und Schuhe).

Die Bloggerin erklärt das Foto zum authentischen Dokument: "I took my nude photo myself in my parent's home." (Ursprünglich war an dieser Stelle darüber spekuliert worden, ob das Foto möglicherweise eine Montage ist. Das hat sich nicht bestätigt. Einf. d.V.) Bei der Debatte über das Nacktfoto der "säkularen, liberalen Feministin, Vegetarierin und individualistischen Ägypterin" geht es um Meinungsfreiheit in Ägypten nach Mubarak.

Dass die "feministische Revolutionärin" dieses Foto ins Internet gestellt habe, zeuge von einem großen Mut, so der Aktivist Ahmed Awadalla, der am Wochenende auf das Foto aufmerksam machte und damit eine Twitter-Diskussion #NudePhotoRevolutionary, eröffnete, die sich via Global Voices Online weiterverbreitete. Die Meinungen zur Veröffentlichung des Nacktbildes sind vorhersehbar kontrovers.

Man täte der "Revolution" keinen Gefallen damit, wird kritisiert: "Ägyptische Liberale werden von nun als Kämpfer für Nacktheit dargestellt, das könnte ihrer Wahlkampagne schaden." Für andere ist wesentlich für eine Demokratie und deren Freiheitsrechte, dass Frauen das Recht haben, mit dem eigenen Körper zu tun, was sie wollen.

A woman exposing her body for freedom is wrong? Or is it wrong that women's bodies are dictated by men & men alone?

Andere halten die Veröffentlichung für naiv. Elmahdy würde den Konservativen Gründe liefern, nach einem islamischen Staat zu rufen und dafür die Liberalen und Säkularen verantwortlich zu machen:

Es ist sehr wahrscheinlich, dass sich einer hinstellen wird und behaupten, dass bald alle Frauen so handeln, wenn Ägypten nicht von einem islamischen Führer gerettet wird.

Die Diskussion findet in einem Klima statt, in dem Salafisten immer wieder mit ihren Forderungen nach korrekter islamischer Kleidung für Aufsehen zu sorgen (siehe jüngst Egypt Salafist forces presenter to veil for interview). So ist die Befürchtung, dass sich die Bloggerin mit ihrer Veröffentlichung in Gefahr begibt, real.

Umso mehr als Aliaa Magda Elmahdy eindeutig in die Richtung der religiösen Eiferer provoziert. So hat sie auch ein Foto auf ihrer Facebook-Site veröffentlicht, das einen rotbeschuhten Frauenfuß zeigt, der auf einen am Boden liegenden Schleier tritt. Auch den Variationen des Nacktfotos in ihrem Blog, mit jeweils einem gelben Balken über ihren Mund, ihre Augen und ihr Geschlecht, hat Elmahdy eine Botschaft beigegeben, die gegen religiös motivierte Zensur gemünzt ist:

The yellow rectangles on my eyes, mouth and sex organ resemble censoring of our knowledge, expression and sexuality.

Sie wolle damit gegen eine Gesellschaft demonstrieren, die auf "Gewalt, Rassismus, sexueller Belästigung und Heuchelei aufgebaut" ist. Elmahdy hat bereits früher schon mit einer Aktion, bei der Männer einen Schleier tragen, ihre Haltung für persönliche Freiheit und gegen Sexismus dokumentiert.

Ob die Debatte eine größere Öffentlichkeit findet, ist dennoch fraglich. In Ägypten gibt es vor der anstehenden Wahl andere Diskussionen, die die Öffentlichkeit und politisch Engagierte - die von der Revolution anderes erwarten als die Fortsetzung der alten Machtverhältnisse - mehr beschäftigen. So etwa die Frage, ob man die Wahlen boykottieren soll. Dessen ungeachtet geht die Bloggerin ein großes Risiko ein.

Angesichts der harten und häufig sehr brutalen Vorgehensweise des ägyptischen Sicherheitsapparates gegen Blogger bewegt sich Elmahdys Aktion für mehr Meinungsfreiheit auf einem sehr gefährlichen Testgelände