Die Opferzahlen des deutschen Klassismus

Seite 2: Wie Klassismus tötet

Klassismus aber wirkt sich vorwiegend auf die Gesundheit und die Sterbewahrscheinlichkeit vieler unserer Mitbürger aus. Menschen mit geringem Einkommen sterben deutlich früher als solche mit hohem Einkommen. Auf der Website des RKI findet sich mit Datum März 2019 eine ausführliche Studie dazu. Auszug:

Nach Daten des Soziooekonomischen Panels (SOEP) der Jahre 1992 bis 2016 sterben 13 Prozent der Frauen und 27 Prozent der Männer aus der niedrigsten Einkommensgruppe bereits vor Vollendung des 65. Lebensjahres, während dies in der höchsten Einkommensgruppe lediglich auf acht Prozent der Frauen und 14 Prozent der Männer zutrifft. Bezogen auf die mittlere Lebenserwartung bei Geburt beträgt die Differenz zwischen der niedrigsten und höchsten Einkommensgruppe bei Frauen 4,4 Jahre und bei Männern 8,6 Jahre. Auch in der ferneren Lebenserwartung im Alter von 65 Jahren bestehen erhebliche Unterschiede zwischen den Einkommensgruppen. ... Die Ergebnisse der Trendanalysen sprechen dafür, dass die sozialen Unterschiede in der Lebenserwartung über die letzten 25 Jahre relativ stabil geblieben sind.

RKI

Die lebensverkürzenden Mechanismen des Klassismus sind unterschiedlich und vielfältig. Wie die Kombination aus dauerhaftem Geldmangel, schlechter Bildung, unzureichender Gesundheitspflege und fehlender Unterstützung zusammenwirkt, wie sie oft eine Abwärtsspirale in Gang setzt und letztendlich auch verfrüht und verstärkt zu Krankheiten, deren Verschlimmerung und zum vorzeitigen Tod führt, muss hier nicht genauer untersucht werden.

Welche Maßnahmen hier getroffen werden müssten, ist eigentlich seit Jahrzehnten offensichtlich. Ernstzunehmende Sozialpolitiker und Sozialwissenschaftler haben oft genug darauf hingewiesen.

Auch weitergehende Ansätze zur entsprechenden Reform des wirtschaftspolitischen Rahmenwerks zur permanenten Verbannung von Armut, bieten sich jenseits der Denkgrenzen neoliberalistischen Kadavergehorsams an. Doch sämtliche Regierungen der vergangenen Jahrzehnte haben trotzdem nichts zur nachhaltigen Überbrückung der Kluft zwischen Arm und Reich unternommen.

Wenn derzeit besonders die Politiker von CDU und SPD ihre Corona-Politik mit der Behauptung rechtfertigen, ältere Menschen vor dem Tod durch Covid-19 schützen zu wollen, so hat dies in Zusammenhang mit Klassismus eine ganz besonders pikante Note. Altersarmut ist in der Regel eine Folge von politischer Altersdiskriminierung, und diese kommt meist in einer Mehrfachdiskriminierung mit Klassismus vor.

Seit vielen Jahren schon läuft in Deutschland die Diskussion darüber, dass für immer mehr Menschen in Deutschland die Rente nicht mehr zum Leben ausreicht, und trotzdem unternimmt keine Regierung konsequente Maßnahmen zur Sicherung eines menschenwürdigen finanziellen Mindestbedarfs, funktionierender sozialer Teilhabe und des Grundstocks übriger Daseinsvorsorge.

Dabei wäre das Problem mit entsprechenden mutigen Gesetzen ein für alle Mal aus der Welt zu schaffen. So aber müssen alte Menschen mit dauerhaft schmaler Rente in einer permanenten Notsituation leben, die sie an Körper und Seele krank macht und wesentlich früher sterben lässt.

Und jetzt spielen sich die gleichen Politiker in der Corona-Sache als deren Beschützer auf und fordern Solidarität. Denken sie dabei vielleicht nur an die wohlhabenden Alten unter ihrer Wählerschaft, bei denen das Virus, trotz des vorhandenen Geldes, keinen Unterschied macht?

Die Standard-Medien überdies offenbaren hier wie dort, ob Corona-Politik oder Klassismus, die gleiche moralische Fragwürdigkeit. Ob Kollateralschäden der Maßnahmen oder Altersarmut, ob schlimme Konsequenzen hier oder dort, Hauptsache: die Regierung in Schutz nehmen.

Es kommt nur die immer gleiche Strategie wie gegenüber allen Missständen. Wenn überhaupt: benennen, mit Krokodilstränen beklagen, damit Willigkeit und Kompetenz suggerieren, die eigene Machtlosigkeit oder die der Politik erklären und Tatenlosigkeit indirekt begründen - fertig!

Die Altersdiskriminierung in Deutschland, als Teil der Diskriminierung sozial und finanziell benachteiligter Bevölkerungsteile, so viel steht fest, führt in dieser Bevölkerungsgruppe zu einem Vielfachen an vorzeitigen Todesfällen gegenüber den kühnsten Behauptungen zu potenziellen Corona-Geretteten und zum wohl Hundertfachen an verlorener Lebenszeit.

Was der chronische Geldmangel, die schlechte Ausbildung, die Verwehrung echter Chancen und die brutalen Einflüsse des Konsumismus auf jüngere Menschen, auf betroffene Familien, auf die Erwachsenen, die Jugendlichen und die Kinder hat, wissen wir als Gesellschaft ebenfalls schon lange. Es ist zum Heulen, was für eine gesellschaftliche Verschwendung die strukturelle Marginalisierung unzähliger, potenziell im Volk verborgener Talente doch bedeutet, die sich unter klassistischen Bedingungen zeit ihres Lebens leider nicht entfalten können.

135.000 Todesopfer jährlich

Doch wie viele vorzeitige Todesfälle werden in Deutschland durch klassistische Faktoren, also durch den Unterschied zwischen Arm und Reich, denn definitiv verursacht? Auch diese Frage ist bisher nicht ausführlich erforscht worden.

Es liegen nicht viel mehr als statistische Datensammlungen vor, aus denen auch der obige RKI-Report zusammengestellt ist. Doch es lassen sich daraus grobe realistische Zahlen ableiten, die alarmierend sind.

Die genannte Auffälligkeit in der Sterbewahrscheinlichkeit zwischen der niedrigsten und der höchsten Einkommensgruppe, soweit lässt es sich präzisieren, ist wohl bereits zwischen den untersten Einkommensgruppen und nahezu allen anderen zu verorten.

Die gedachte Kurve der Lebenserwartung also steigt nicht von sehr arm bis hin zu sehr reich gleichmäßig an, sondern der deutliche Anstieg endet bereits weitgehend im Bereich des Durchschnittseinkommens, um dann waagerecht zu verlaufen.

Zwischen den mittleren und den höchsten Einkommen besteht bei der Lebenserwartung kein wesentlicher Unterschied mehr. Mit über 4.000 Euro brutto monatlich also, lebt man wohl nur unwesentlich weniger lange, als mit über 10.000 Euro, weil man sich die ähnliche bessere Gesundheitsvorsorge und höhere Ernährungsqualität leisten kann.

Der auffällige Knick in der Lebenserwartungskurve muss vielmehr schon bei bedeutend geringerem Einkommen liegen.

Zur Berechnung der vorzeitigen Todesfälle durch Klassismus lassen sich nun zwei Zahlen aufstellen:

Die erste ergibt sich aus dem Mittel der Angaben zur verminderten Lebenserwartung für Frauen und Männer im o.g. RKI-Report: Betont konservativ angenommen, liegt es bei etwa sechs Jahren.

Die Zweite, die Betroffenen-Zahl, lässt sich als Mittelwert der Angaben zweier anderer Quellen bilden. Nach Angaben der Hans-Böckler-Stiftung gelten um die 8,5 Millionen Menschen in Deutschland offiziell als arm. (für das Jahr 2006, - Zahl ist zwar älter, wird heute aber eher höher liegen).

Laut der Statistik für 2016 wiederum, gehören rund 20 Millionen Deutsche zu jener untersten Einkommensgruppe, in welcher man nur über ein Einkommen von unter 70 Prozent des Medians (mittleres Einkommen) verfügt, (Median hier wäre 1.869 Euro netto, mal 0,7 ergäbe rund 1.300 Euro) also ein Netto-Einkommen von unter 1.300 Euro monatlich hat. Die offizielle Armutsgefährdungsgrenze liegt bei 60 Prozent des Medians, also bei gut 1.120 Euro.

Daraus ergibt sich die wiederum sehr konservativ gehaltene Aussage, dass zehn Millionen Menschen in Deutschland sechs Jahre kürzer leben, weil sie arm sind. Statt 80 Jahre werden sie durchschnittlich nur 74 Jahre alt.

Verteilt man die zehn Millionen vorzeitige Todesfälle auf die 74 Jahre, so ergibt sich für Deutschland die Untergrenze von mindestens 135.000 Menschen pro Jahr, die durch fehlende politische Maßnahmen zur Überwindung des Unterschieds in der Lebensqualität zwischen Arm und Reich früher sterben müssen.

Darüber hinaus könnte hier auch die Zahl der verlorenen Lebensjahre von Interesse sein, da diese Todesfälle ja deutlich unterhalb der durchschnittlichen Lebenserwartung zu verzeichnen sind und nicht darüber, wie beim Durchschnitt der offiziellen An-und-im-Zusammenhang-mit-Covid-19-Verstorbenen. Die Zahl verlorener Lebensjahre durch Armut liegt demnach bei über 810.000 pro Jahr (135.000 x 6).

Allein diese Zahl von mindestens 135.000 zu Tode diskriminierten Menschen pro Jahr lässt die Solidaritäts-Aufrufe der Politik und der Standard-Medien als infame Heuchelei-Kampagne erscheinen.

Welche Zahlen an "Geretteten" durch die Lockdowns und die Corona-Maßnahmen könnte man sich als Rechtfertigung denn auf die Fahnen schreiben? Wie viele vorzeitige Todesfälle konnte das Corona-Regime denn vereiteln?

Hierzu gibt es keinerlei Zahlen, lediglich unwissenschaftliche Fantasien wie etwa die Lügen-Geschichte, dass die im Frühjahr 2020 aufgestellte Horrorvision von möglicherweise über eine Million Toten in Deutschland nicht eingetreten sei, weil die Maßnahmen beschlossen wurden.

Dass aber in Staaten ohne Lockdowns, wie etwa in Schweden, in bestimmten US-Bundesstaaten oder anderen Ländern, keine signifikant erhöhten Covid-19-Todesraten erkennbar sind, deutet eher auf die traurige Erkenntnis hin, dass die Geretteten-Zahlen vernachlässigbar klein sind, und die Lockdowns in dieser Hinsicht sinnlos waren.

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