Die Panik, die Medien und die Politiker
Bomben, Anthraxbriefe, Cyberwar ... ein Kommentar
Für Medien und Journalisten, aber auch für manche Politiker ist die Lage derzeit günstig. Was könnte es Besseres geben als die James Bond reife Weltverschwörung eines bösen, aber reichen Fanatikers, der mit allen Mitteln versucht, aus seinem Versteck in den Bergen eines der ärmsten Länder heraus die reichste, mächtigste und technisch am weitesten fortgeschrittene Nation anzugreifen. Die beeindruckenden Bilder des Terroranschlags, die wie geplant um die Welt gingen, versetzten die Menschen auf der Erde in Aufruhr und mündeten schließlich in einen Krieg, bei dem teure Hightech-Bomben auf Munitionslager, Camps, Höhlen oder Flugplätze regnen und auch gelegentlich daneben gehen.
Die Kontrahenten tragen inzwischen ihren Propagandakrieg aus und versichern sich wechselseitig, dass sie den Kreuzzug oder den Dschihad gewinnen werden und drohen mit weiteren Angriffen, derweilen ein paar wirkliche Briefe mit Anthrax für neuen Medienstoff sorgen, um die Panik zu schüren, die offenbar vor dem geheimnisvollen Biologischen noch viel stärker ausgeht als von Bomben. Allerdings soll bin Ladin aber auch versucht haben, waffenfähiges Nuklearmaterial zu erwerben, wie die ARD vermutet. Dann wären vielleicht keine Flugzeuge notwendig, die auf Atomkraftwerke gestürzt werden, um ein Attentat mit Tschernobyl-ähnlichen Ausmaßen zu bewerkstelligen (Atomarer Albtraum). Schon hat Präsident Bush beteuert, dass das terroristische Netzwerk in Afghanistan zerschlagen sei, gleichwohl wird ein Angriff auf den anderen geflogen - und, man ist ja humanitär, fallen die gut verschnürten Lebensmittelpakete irgendwo in die Öden Afghanistans, wo sie vielleicht ein dauerhaftes Zeichen oder bunter Müll für den menschenfreundlichen Krieg aus der Ferne darstellen könnten, wie er für das Zeitalter der Simulation und der Netzwerke symptomatisch ist.
Gemunkelt wird unter anderem in der New York Times heute, dass bin Ladin nun mit Anthrax-Briefen besonders die Journalisten bedroht, um so mehr Aufmerksamkeit in den Medien zu erhalten. Sind die Journalisten selbst gefährdet, so denkt sich die Journalistin Felicity Barringer, werden sie zum Handlanger des Bösen und noch viel mehr die Panik verbreiten. Und wie so immer in diesem "Neuen Krieg" wird nicht an rhetorischer Aufrüstung gespart. Hatten die Terroristen die amerikanischen Journalisten Zuhause schon zu "Kriegsberichterstattern" gemacht, so haben sie jetzt "die Nachrichtenredaktionen in Schlachtfelder für biologische und psychologische Waffen" verwandelt. Dabei geraten auf einmal The Sun, ein Revolverblättchen für Supermärkte, und NBC auf eine Ebene. Eine Expertin für den Terrorismus - und diese werden auch jeden Tag mehr - erklärt all das ganz einfach als "brillante Idee", da es keine bessere Möglichkeit gebe, Aufmerksamkeit zu erhalten, als wenn man die Medien selbst angreift. Noch weiß man allerdings nicht, von wem die Briefe stammen und welchen Hintergrund sie besitzen, auch wenn die als Maklerin tätige Frau des Sun-Herausgebers an mutmaßliche Attentäter ein Haus vermittelt haben soll. Warum die dann aber einen Sun-Fotoredakteur aufs Korn nehmen sollten, bleibt noch ein Geheimnis. Die deutungswütige Journalistin stört jedenfalls nicht, dass ein solcher Brief offenbar auch an ein Microsoft-Büro in Reno ging. Das ist wahrscheinlich deswegen geschehen, weil doch Microsoft unter anderem für die Technik sorgt, mit der Nachrichten verbreitet werden.
Während immer mehr verdächtige Briefe weltweit auftauchen und die Briefträger in Angst und Schrecken versetzen - in Deutschland wurden gleich einige Briefzentren vorübergehend gesperrt -, sorgte der US-Präsident vermutlich für neues Ungemach. Als die Bio-Panik noch nicht auf dem Höhepunkt war, setzte George W. Bush auf eine symbolische Geste, um die guten Intentionen der Amerikaner zu demonstrieren. Jedes amerikanische Kind soll, so forderte er auf, für seine afghanischen Altersgenossen eine Spende geben. Die dürfe er auch etwa in Form eines Dollarscheins ans Weiße Haus schicken. Hier werden jetzt vermutlich die Kontrollen massiv werden. Gleichwohl gibt es - das gegenwärtige Modewort nach den "Schläfern" - neben den Trittbrettfahrern und Nachahmern, die die Medienöffentlichkeit ausnutzen wollen, auch peinliche Versehen.
Eine Rentnerin in Chemnitz hatte so für Aufregung gesorgt, als sie für Nachbarn ein Päckchen entgegen nahm. Nachdem sie die Aufschrift "Gift" gelesen und die Polizei alarmiert hatte. Es dauerte Stunden, um das Päckchen, in dem sich ein Poster und eine Postkarte, zu durchsuchen und auf gefährliche biologische und chemische Substanzen zu analysieren, bis einem Polizisten auffiel, dass Gift eigentlich nur Geschenk auf Englisch heißt. Natürlich wird die vielfach von Medien geschürte Panik, die zu solchen Ausfällen führt, von diesen und den Experten selbst wieder als Absicht der Terroristen geschildert. Komplexitätsreduzierend sind die Anschläge vom 11.9. und der Neue Krieg allemal. Dafür dürfte die Aufregung um die Briefe derzeit der Email einen neuen Schub geben, wenn die Terroristen nicht auch hier vielleicht digitalbiologisch zuschlagen und eine gemeinen Virus oder Wurm erfinden ....
Daneben versuchen manche der verantwortungsvoll aufklärenden Journalisten, ihren Finger auf weitere drohende Katastrophen zu legen, damit die auflagen- oder quotenfördernde Panik nicht endet. Unerbittlich scheint die einmal als Gerücht ausgestreute Meldung wiederholt zu werden, dass bin Ladins Terroranhänger mit allem, was die Technik zu bieten hat, umgeht. Bislang wurde zwar noch keine verschlüsselte Email, die nicht knackbar ist, oder eine in Pornobildern mit Steganographie versteckte Botschaft gefunden. Dafür wird freilich von höchster Stelle vermutet, dass in den Videos von al-Qaida versteckte Botschaften sein könnten, weswegen die heimischen Medien möglichst nur die Nachrichten der eigenen Seite zeigen sollen. Die mutmaßlichen Terroristen haben aber in den USA das Internet benutzt, dies auch an Computer etwa in Bibliotheken gemacht und es geschafft, sich einen Mailaccount beispielsweise bei Yahoo einzurichten, weswegen sie als Hightech-Experten gelten, wie dies auch für bin Ladin der Fall ist, der seiner Zeit ein Satellitentelefon benutzte, dies aber dann offenbar beiseite legte, als er merkte, dass dadurch sein Aufenthaltsort den Amerikanern verraten wird.
Von irgendwelchen Angriffen der al-Qaida im Internet ist zwar nichts zu bemerken, aber sie könnten dies ja tun, weil sie schließlich Hightec-Experten sind. So wird also wieder einmal wie in der Süddeutschen Zeitung heute der Cyberwar ausgepackt, der als nächster Schritt kommen könnte, nachdem er bereits seit einigen Jahren kräftig auch von der US-Regierung etwa als "digitales Pearl Harbor" beschworen wurde, aber noch nicht eingetreten ist. Die beschworenen Attacken aus dem Laptop und mit einem Modem, wodurch man "ein ganzes Land lahm legen kann", wie der SZ-Journalist versichert, sind bislang noch nur mediales Ereignis, das aber durchaus reale Konsequenzen besitzt. In all der geschürten Unsicherheit, die schon seit jeher eines der wichtigsten Ziele des Terrorismus war, der seine "Propaganda der Tat" im Pakt mit den Medien inszeniert, können nun von den Politikern all die Überwachungs- und Kontrollmaßnahmen ausgepackt und durchgepeitscht werden, die schon lange zirkulieren, aber nicht durchsetzungsfähig waren.
Auch manche Politiker wachsen natürlich an der Gefahr, die von den Anschlägen so dramatisch vermittelt wurde. Ein Krieg bietet schlicht bessere Rollen als die mühselige Arbeit in Friedenszeiten - und wie viel leichter ist es, alle mögliche Kontrollen umzusetzen und die Grenzen möglichst dicht zu machen, als ein neues Steuerpaket zu schnüren oder sich mit der Veralterung der Gesellschaft und der Notwendigkeit zu konfrontieren, möglichst schnell möglichst viele neue Bürger ins Land zu holen. Da ist jetzt der Kampf der Kulturen vor, der ja Jahre dauern soll und vornehmlich dazu zu dienen scheint, eine Belagerungsmentalität auszubilden, die viele der anstehenden Veränderungen, unter anderem womöglich den Abschied von Nationalstaaten mit dominierenden Kulturen, verhindert, weil es ja im "Neuen Krieg" Wichtigeres gibt.