Die Piraten als mediales Drama

Ob die Medien die Piraten als Rebellen feierten oder gegenwärtig als Dilettanten verdammen - immer ging es ihnen vorrangig darum, die junge Partei als spannende Story zu verkaufen

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Noch vor Jahresfrist hatten die Piraten ein durchaus positives Medienecho. Die Journalisten interessierten sich für die junge Partei und gaben ihren Vertretern viel Raum, sich öffentlich zu äußern. Die journalistische Resonanz war so stark, dass Frank Schirrmacher twitterte, die über die Partei berichtenden Journalisten würden über kurz oder lang selber zu Piraten.

Glaubt man der aktuellen Berichterstattung, sieht es für die Piraten nicht gut aus. Ihre Umfragewerte sinken. Wichtige Parteivertreter streiten sich öffentlich. Ein ausgegorenes Parteiprogramm ist nach wie vor nicht zu erkennen. Andere, wie Weisband und Schramm, untergraben scheinbar die Glaubwürdigkeit der Partei in zentralen Fragen, weil sie ihre Bücher nicht kostenlos ins Internet stellen wollten, Schramm ist deswegen aus dem Parteivorstand zurückgetreten. Kurz nach den spektakulären Wahlerfolgen auf Landesebene scheint sich das Projekt Piratenpartei selbst zu demontieren.

Folgerichtig fragte Bild.de kürzlich: "Saufen die Piraten ab?". Manche Kommentatoren nutzen die gegenwärtigen Schwierigkeiten der Partei für eine Generalabrechnung:

Bei den Piraten klaffen Anspruch und Wirklichkeit auf groteske Weise auseinander. Sie lehnen alles ab, was Politik ausmacht. Die Prophezeiungen der Kritiker erfüllen sich in Rekordzeit.

Welt

Solchen Darstellungen zufolge hat sich die Partei längst als ein chaotischer Haufe von Schwätzern enttarnt.

Die Überzeichnung der Piraten durch die Medien

Es stellt sich die Frage, ob dieses Medienbild zutrifft. Fakt ist, dass die Partei viele Fehler gemacht hat. Die Medien haben die Piraten aber auch hochstilisiert als neue politische Kraft, die Hoffnung machte auf einen politischen Aufbruch. Der Grund für diese Stilisierung ist der gleiche, der aktuell auch für die Häme und Kritik verantwortlich ist: Für die Medien waren und sind die Piraten vor allem ein Thema, mit dem sie die Aufmerksamkeit ihres Publikums zu wecken versuchen.

Journalisten haben die Piraten seit ihrem Aufschwung in den Umfragen im letzten Jahr vor allem als spannende Story gesehen und beschrieben. Dazu gehörte eine unreflektierte Übernahme der Avantgardepose der Partei. Ob die Partei angesichts der Schwierigkeiten der Parteineugründung wirklich halten konnte, was sie versprach, wurde zu selten realistisch reflektiert. Die Neugründung einer Partei ist harte Arbeit. Eine solche Organisation wird nicht in wenigen Monaten beschluss- und kampagnenfähig. Aber weil eine derartige Reflektion und Differenzierung der Story vom politischen Aufbruch entschärft hätte, verzichteten die Medien meistens darauf.

Im Folgenden will ich zeigen, wie und warum die politischen Newcomer zu einer unterhaltsamen Medienstory werden konnten. Wesentlich dafür war das Bild von den Piraten als einer völlig neuen, unbelasteten und authentischen Bewegung, die gegen festgefahrene Verhältnisse kämpft. Anschließend gehe ich auf den Umstand ein, dass die Probleme von Parteigründungen und des politischen Engagements junger Leute selten ernsthaft zum Medienthema geworden sind. Die Abwesenheit dieser Betrachtung führte zu rigorosen Erwartungen und gegenwärtig überzogenen Aburteilungen der Piratenpartei.

Die Suche der Medien nach unterhaltsamen Stories

Um Geld zu verdienen, müssen die Medien die Aufmerksamkeit ihres Publikums möglichst dauerhaft binden. Also bemühen sie sich um attraktive Inhalte. Medien bieten ihrem Publikum Neuigkeiten, also Abweichungen vom Gewohnten und bisher Bekannten. Neuigkeiten überraschen und versprechen Abwechslung von einem eintönigen Alltag. Besonderen Neuigkeitswert bieten Kämpfe und Konflikte. Kämpfe schaffen Geschichten von Sieg und Niederlage.

Die Kämpfenden werden von den Medien als interessante Figuren zu gestaltet. Als Helden oder Schurken, als Aufrechte oder Bösewichter wecken sie die Sympathien und Antipathien des Publikums. Zugleich weisen Kämpfe in die nähere Zukunft. Niemand weiß, wie der Kampf ausgehen wird. Sie durchbrechen die übliche Vorhersehbarkeit alltäglicher Abläufe. Diese Ungewissheit erzeugt, wie etwa bei Fußballspielen, Spannung und den Wunsch, das Ende dieser Geschichte zu erfahren. Kämpfe versprechen Fortsetzungsgeschichten, die über einen längeren Zeitraum die Neugierde des Medienpublikums auf sich ziehen können.

Das Erstarken der Piraten bot den Medien geeigneten Rohstoff für solche Dramen mit Unterhaltungswert. Sie ließen einen Kampf erwarten, denn die Partei wollte massive gesellschaftliche Veränderungen. Jede Forderung der Piraten war auch ein Angriff auf die Interessen anderer Gruppen. Wer damit sympathisierte, konnte nun hoffen, dass die Piraten sich längerfristig durchsetzen würden. Wer in den Piraten eine Gefahr sah, musste um den Status Quo bangen. Die Aufmerksamkeit der Piraten-Sympathisanten und ihrer Gegner war den Medien sicher. Beide Gruppen wollten wissen, ob die Partei erfolgreich sein würde oder nicht.

Das mediale Drama um die Piraten konnte aber nur durch Zuspitzung verfangen. Journalisten mussten die Avantgardepose der Partei überbetonen, damit das Publikum die Aussicht auf Kämpfe und Veränderungen plausibel finden konnte. Jegliche Differenzierung der tatsächlichen praktischen Möglichkeiten der Piraten hätte das Drama entschärft. Die Partei als Story wäre dadurch nur langweilig geworden. Dies geschah unter anderem dadurch, dass sie der Selbststilisierung der Piraten viel Raum gaben, ohne diese kritisch zu hinterfragen.

Die einseitige Darstellung der Piraten als Avantgarde

Die etablierte Politik - langweilig und vorhersehbar

Als unhinterfragte Avantgarde boten die Piraten eine starke Abwechslung zum Politikalltag. Dieser ist selten wirklich spannend. Dann und wann gibt es einen Skandal oder eine Redeschlacht im Parlament. Aber in der Regel ist die Gesetzgebungsarbeit langweilig, weil zu viele Detaildiskussionen geführt werden. Großprojekte wie die Maßnahmen zur Bankenrettung eignen sich als spannende Nachricht. Ein Großteil der im Bundestag beschlossenen Gesetze findet nur geringes Medienecho. Für die daran gekoppelten Ausschussdiskussionen gilt das ebenfalls. Die altgedienten Politiker tragen zu dieser Langeweile bei, indem sie durch wohlkalkulierte Presseerklärungen jede Aufregung vermeiden. Mit ihren geschliffenen, aber umso vageren Formulierungen vermeiden sie jede Angriffsfläche.

Eine besondere Unterbrechung des Alltages stellen immerhin Wahlen dar. An einem Tag können sich die Mehrheitsverhältnisse schlagartig verändern. Wahltage lassen auf einen Regierungswechsel hoffen. Damit ist die Möglichkeit einer gravierenden Veränderung der Verhältnisse verbunden. Wer die alte Regierung ablehnte, mag sich jetzt auf die Verwirklichung der "richtigen" und auf das Ende der "falschen" Politik freuen. Daher können Wahlkämpfe die Aufmerksamkeit wecken und Spannung erzeugen.

Allerdings gibt es selbst bei Wahlen längst eine Routine. Entweder löst die SPD die regierende Union ab oder umgekehrt. Neue Konstellationen sind außerordentlich selten. Damit ist der Wahlausgang in Grenzen vorhersehbar geworden. Hinzu kommt die populär gewordene Klage, dass sich die Volksparteien kaum noch unterscheiden würden. Allenfalls in Detailfragen gäbe es noch Differenzen. Eine dramatisch andere Politik sei daher gar nicht erwartbar, vielmehr würde sich durch einen Regierungswechsel kaum etwas ändern. Aus dieser Sicht hat die Wahl längst ihren Neuigkeitswert verloren. Die Regierung erhält neue Gesichter, damit hat sich der Nachrichtenwert des Wechsels aber schnell erschöpft.

Radikale Forderungen begünstigten ein Avantgardeimage

Vor diesem Hintergrund boten die Piraten den Medien die Möglichkeit, sie als völlig neue politische Kraft und als Protagonisten eines echten politischen Wandels zu inszenieren. Die Eignung der Piraten ergab sich aus mehreren Eigenschaften der Partei: Sie war noch nicht durch Regierungsbeteiligungen entzaubert oder "korrumpiert". Sie war scheinbar die Partei der jungen Generation. Zudem trat sie mit radikalen Forderungen an, deren Inhalte die Piraten auch als Personen zu verkörpern schienen.

Mit ihrem Avantgardegestus brachten die Piraten von sich aus die Hoffnung auf gravierende Veränderungen ins Spiel. Sie erhoben radikale Forderungen. Zumindest wurden die Forderungen der Piraten in den Medien oft als radikale dargestellt. Nicht wenige Journalisten unterstellten den Piraten etwa den Wunsch nach gänzlicher Abschaffung des Urheberrechts, ungeachtet der Tatsache, dass diese Thematik in der Partei weitaus differenzierter diskutiert wurde.

Der radikale Gestus wirkte aber angesichts anderer Forderungen durchaus plausibel. Die Partei proklamierte das Bedingungslose Grundeinkommen. Sie forderte einen gänzlich anderen politischen Stil, forderte scheinbar eine nahezu bedingungslose Transparenz der politischen Arbeit und eine fundamental basisdemokratische Organisation der Partei. Diese Forderungen waren zugleich Zeitdiagnose, denn die Piraten grenzten sich damit gegen die etablierte Politik ab, die ihnen zu intransparent, zu wenig demokratisch, zu ritualisiert erschien.

Damit war auch bereits der Konflikt angedeutet. Die Piraten gaben sich als Vorkämpfer des "Guten", die sich gegen den Sündenfall der Entdemokratisierung der Politik wandten. Die Medien konnten nun die dramatische Geschichte des Kampfes der Newcomer gegen die Etablierten erzählen. Differenzierungen und Grautöne störten das Drama nur. Schließlich wurde der Kampf umso spannender, je klarer die Fronten zu sein schienen.

Authentische Amateure gegen undurchsichtige Profis Diese Darstellung der Piraten wurde plausibel, weil sie mit scharfen Gegensätzen arbeitete. Die Piraten wurden beschrieben als authentische, ehrliche Politiker:

Zudem haben die Piraten etwas, das andere schon lange verloren haben: Glaubwürdigkeit, Authentizität und Frische.

Spiegel

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Dass sie Amateure waren, schien diese Sichtweise nur zu bestätigen. Sie waren ungeübt im Intrigieren und Fintenschlagen, im Herumtricksen und Manipulieren. Das ließ sie glaubwürdig wirken. Sie schienen zu leben, was sie forderten. Ihre Authentizität wurde sinnlich erlebbar durch ihre Existenz als "bunte Truppe". Die Piraten verweigerten sich der bürgerlichen Uniformität des Anzuges. Ihre Vertreter, zumindest etliche, kleideten sich eigenwillig, was etwa einigen Abgeordneten des Berliner Abgeordnetenhauses Medienaufmerksamkeit eintrug.

Ob orangene Latzhose oder Bart und lange Haare, der individuelle Geschmack der Piraten stand im Kontrast zu den Anzügen der Vertreter der Alt-Parteien. Anzüge sind konventionell, sie werden auch als Instrument der Konvention benutzt. Man trägt einen Anzug, um den Erwartungen an Seriosität gerecht zu werden. Wer das tut, versteckt sich bereits hinter einer Maske, ist nicht mehr ganz er selbst. Das wiederum passte zu einem populären Vorurteil gegenüber Politikern, die man als kalkulierend und tricksend ansieht, allzeit bereit, Wähler und Parteifreunde über ihre wahren Absichten zu täuschen.

Schon deshalb wirkte die "bunte Truppe" der Piraten glaubwürdiger als Akteure eines Politikwechsels. Sie schien ihre Ehrlichkeit und ihren Ernst auch äußerlich durch unkonventionelles Auftreten zu verkörpern. Sie machten das Spiel der Politik nicht mit, indem sie sich den Talkshow-Ritualen demonstrativ entzogen.

Jung und dynamisch gegen alt und festgefahren

Die Erwartung eines echten Politikwechsels wurde befördert durch jugendbewegte Assoziationen von Kommentatoren. Die Piraten galten etlichen Journalisten als Vertretung der gegenwärtigen Jugendgeneration. Diese Beschreibung war oft auch von der alten, tradierten Hoffnung getränkt, die kommende Generation würde die alten, ungeliebten Verhältnisse aufbrechen.

Seit gut hundert Jahren, seit der ersten Jugendbewegung Anfang des 20. Jahrhunderts, gibt es diese Denkfigur, nach der die Jugend der Träger des notwendigen gesellschaftlichen Wandels sei. Die Generation der Eltern und Großeltern wird aus dieser Sicht dagegen als Fortschrittshemmnis beschrieben. Die Jugend gilt als dynamisch, sie steht für das Neue. Die Alten stehen dagegen für Stillstand und Bewahrung, für die Sicherung ihrer Privilegien. Die Alten sind die Funktionäre der gesellschaftlichen Verhältnisse, während die Jugend kompromisslos noch echten Werten folge. Deshalb müsse die Jugend auch die Vorherrschaft der älteren Generationen brechen.

Die Piraten sind in diesem Sinne von Medien dargestellt worden und sie haben sich auch selber so beschrieben. So beschrieb Jana Hensel die Piraten als Teil eines Generationenkonflikts.

Der Gegensatz von Dynamik und Stillstand ist vor allem durch den Themenkomplex Internet bebildert worden. Das Internet gilt und galt den Piraten als revolutionäre Technologie, die herkömmliche Arten der technischen, aber auch gesellschaftlichen Problemlösung auf den Kopf stellen würde. Die ältere Generation, so hieß es oft, verweigere sich diesem Fortschritt. Auch aus Gründen des ökonomischen Vorteils würden sie sich der eigentlich vernünftigeren Technologie in den Weg stellen. Recht euphorisch schrieb Adrian Kreye auf Sueddeutsche.de:

Während die großen Parteien noch die Ängste vor dem Internet bedienen, repräsentieren die Piraten längst eine neue Generation. Man "guckt" nicht nur Internet, sondern lebt damit - und weiß um seine revolutionäre Kraft.

Und bezogen auf die vermeintliche Angst der Älteren vor dem Netz endet er:

Die Piraten aber vertreten eine Generation, die diese kollektiven Urängste nicht mehr kennt. Im Gegenteil. Sie gehören zu einer globalen Jugend, für die das Internet nicht nur Mittel ist, sondern auch Identitäts- und Sinnstifter. Wer ihre Werte von radikaler Offenheit und Teilhabe mit vorschnellen politischen Antworten angreift, wird sich auf einen Generationenkonflikt einstellen müssen.

Dieses Bild der Piraten als Organisation der rebellischen Jugend war unterhaltsam und darum ein dankbares Medienthema. Die von den Medien "erfundenen" Piraten hätten ihre Forderungen nur in einem harten Kampf mit ihren Gegnern durchsetzen können. Dank der jugendbewegten Assoziationen war diese Auseinandersetzung auch noch wertgeladen. Der Kampf müsse, dem Bild des Radikalen folgend, hart und unerbittlich geführt werden. Und wer als Medienkonsument im Internet tatsächlich das Walten der Vernunft erblickte, musste diesen Kampf auch für absolut gerechtfertigt und notwendig halten.

Auf der anderen Seite standen die Dramatisierer der Unterhaltungsindustrie, die die Piraten ebenso stilisierten als radikale Raubritter auf dem Felde des vermeintlichen "geistigen Eigentums". Auf beiden Seiten wuchs also Neugierde und Spannung: Würden die Piraten sich durchsetzen können? Würden die Alten zurückschlagen und wann und wie würden sie das tun? Gegner und Sympathisanten erwarteten nun eine Fortsetzungsgeschichte: Politische Initiativen der Piraten, Angriffe auf die "Alten", harte Auseinandersetzungen. Die Piraten waren damit spannend.

Wahlerfolge weckten die Hoffnung auf mehr

Die Erwartungen von Kampf und Aufbruch wurden befeuert durch die Wahlerfolge der Piraten. Bis zu ihrem Einzug in das Berliner Abgeordnetenhaus war die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die Piraten in der politischen Bedeutungslosigkeit verbleiben würden. Aber der Einzug in einen Landtag war ein erster Teilsieg, der zudem die Stärke der Bewegung zu zeigen schien. Die Piraten hatten damit bewiesen, dass sie einen erheblichen Teil der Bevölkerung vertreten.

Auch spitzte sich der Konflikt mit der etablierten Politik zu. Damit wurde diese Auseinandersetzung noch mehr zu einer Nachricht als zuvor. Schließlich mussten die etablierten Parteien jetzt zähneknirschend anerkennen, dass die Piraten zu ernsthaften Konkurrenten um Wählerstimmen geworden waren. Die Alt-Parteien hatten nun von dem parlamentarischen Kuchen, der ihnen einst allein gehörte, abgeben müssen. Bis dahin hatten sie die junge Partei noch als Randerscheinung abtun können. Doch jetzt mussten sie sich mit ihnen auseinandersetzen und sie mussten sie ernsthaft bekämpfen, um keine weiteren Stimmen zu verlieren.

Damit war der Parlamentseinzug ein Auftakt für weitere mediale Dramen. Einerseits konnten alle Piratensympathisanten hoffen, dass die Partei ihre neu gewonnenen Möglichkeiten auch nutzt, um ihre Forderungen zu Gehör zu bringen oder auch umzusetzen. Die Piraten mussten jetzt liefern. Sie mussten ihren politischen Stil im Parlament leben. Das hieß auch, dass sie ihre Gegner, sowohl die Lobby der Unterhaltungsindustrie als auch die etablierte Politik ganz allgemein, massiv angreifen mussten. Denn wer sich von den Piraten einen echten Politikwechsel erwartete, wollte nun auch Taten sehen. Andererseits mussten sowohl Gegner als auch Sympathisanten mit massiver Abwehr der etablierten Parteien rechnen. Die Alt-Parteien mussten zurückschlagen. Die Auseinandersetzung musste insgesamt härter und rücksichtsloser werden, sie würde sich notwendig zuspitzen müssen. Das konnte für jeden, der mitfieberte, so spannend sein wie die KO-Runde eines Sportwettbewerbs.

Die Kritik an den Piraten als Fortsetzung des Dramas

Wie wir wissen, ist die versprochene Revolution bislang ausgeblieben. Die großen Schlachten sind nicht geschlagen worden. Die Schlagzeilen werden eher durch kleinliche Auseinandersetzungen einzelner Parteimitglieder bestimmt. Für den einen oder anderen Kommentator ist damit die Zeit für eine Abrechnung gekommen: Die Piraten seien Amateure, Schwätzer, reine Protestpartei. Diese Häme und diese scharfe Aburteilung ist aber ebenso Teil des medialen Dramas. Weiterhin destillieren Journalisten spannende Geschichten aus dem Rohmaterial Piraten.

Einerseits bauen solche Kommentare ein moralisierendes Lehrstück auf. Sie beschreiben das gerechtfertigte Scheitern des jugendlichen Angebers und stellen, stellvertretend für den erfreuten Leser oder Zuschauer, die ursprüngliche Weltordnung wieder her: Die einstigen Hoffnungsträger hätten sich als halbwüchsige Maulhelden enttarnt. Eine solche Jugend müsse wieder zurück ins Glied. Die Partei werde in die Bedeutungslosigkeit zurückfallen. Ihr Aufenthalt auf der politischen Bühne sei nicht mehr als ein bedauerlicher Irrtum. Politik solle dagegen derjenige machen, der sein Handwerk auch versteht.

Andererseits schaffen derartige Kommentare Dramatisierung wiederum durch einen Mangel an Reflektion. Auch bei diesen Aburteilungen und Abrechnungen wird nicht auf die Schwierigkeiten einer Parteigründung eingegangen. Die notwendigen Lernprozesse einer solchen Organisation werden nicht berücksichtigt. Stattdessen wird so getan, als hätte es lediglich der Disziplin bedurft, um erfolgreich zu sein, als wäre die Schaffung einer funktionsfähigen Partei von heute auf morgen spielend zu bewerkstelligen.

Der Verzicht auf eine entsprechende Reflektion der Möglichkeiten und Schwierigkeiten einer neu gegründeten Partei macht es den Medien möglich, den Absturz der Piraten als dramatisches Ereignis darzustellen. Hätte man reflektiert, wäre das "Versagen" der Partei nicht neu, wären ihre Schwierigkeiten nicht überraschend, weil alle jetzt beklagten Probleme von Anfang an die Piraten begleitet haben. Aber ein realistischer Blick auf die Herausforderung, eine Partei komplett neu aufzubauen, hätte es eben auch nicht erlaubt, die Piraten für ihre Verfehlungen derart gnadenlos zu verurteilen. Auch hier gilt: Differenzierung ist langweilig.

Die unberücksichtigten Herausforderungen des politischen Engagements

Die Medien haben die Schwierigkeiten einer Parteigründung zu wenig reflektiert, um die Piraten angemessen beurteilen zu können.

Erstens versäumten es auch wohlmeinende Kommentatoren oft, die Parteigründung vor dem Hintergrund des weitgehenden fehlenden politischen Engagements in Deutschland zu betrachten. Nur ein kleiner Teil der deutschen Bevölkerung ist politisch aktiv als Parteimitglieder. Die meisten Mitglieder sind lediglich Beitragszahler. Gleichzeitig sinkt die Mitgliedschaft in den großen Volksparteien. Ebenso überaltern sie seit Jahrzehnten. Daher wird oft und gerne in Sonntagsreden betont, wie wichtig ein politisches Engagement der Jugend wäre.

Vor diesem Hintergrund ist es auffällig, wenn sich einige zehntausend junge Leute zu einer Partei zusammenschließen und es damit nicht bei Demonstrationen als Mittel ihrer Interessenvertretung belassen.

Zweitens ist die Gründung einer neuen Partei immer ein Wagnis. Allein die 5-Prozent-Hürde bei Wahlen erhöht die Wahrscheinlichkeit für neue Organisation, in der politischen Bedeutungslosigkeit zu verbleiben. Parlamentseinzüge sind dagegen nicht einfach zu erreichen. Eine Parteigründung braucht viel Mut, Selbstbewusstsein und Durchhaltevermögen. So gesehen haben die Piraten schon eine besondere Leistung vollbracht, die aber zu wenig gewürdigt worden ist.

Drittens ist eine Parteigründung auch ganz praktisch eine enorme Herausforderung. Die Partei muss organisiert werden, sie muss einen Apparat aufbauen und ihre Mitglieder müssen sich aktiv einbringen. Das kostet Geld, Zeit und Nerven. Liest man die Urteile von Journalisten über die Piraten, entsteht der Eindruck, dass diese die Piraten mit der Elle einer etablierten Partei messen. Anders lassen sich die umfänglichen Leistungserwartungen an die Piraten nicht erklären. Doch von ihrer organisatorischen Basis her waren sie bislang gar nicht in der Lage, solche Erwartungen auch nur ansatzweise zu erfüllen.

Wer eine Partei gründet, braucht Geld. Er braucht eine technische Infrastruktur, um einen Informationsaustausch zwischen den Mitgliedern zu ermöglichen. Um kampagnenfähig zu werden, muss eine Partei einen Apparat von Mitarbeitern einrichten. Sie braucht Geschäftsstellen, deren Räume sie mieten muss. Sie braucht Kommunikations- und Bürotechnik, die ebenfalls Geld kostet. Schlussendlich braucht sie hauptamtliche Mitarbeiter.

Etablierte Parteien mit Parlamentspräsenz nutzen dafür neben den Mitgliedsbeiträgen vor allem staatliche Förderungen. Dank ihrer Wahlergebnisse können sie auf die staatliche Wahlkampfkostenerstattung zurückgreifen. Parlamentsfraktionen werden durch Steuermittel finanziert. Ihnen werden Räumlichkeiten und technische Infrastruktur zur Verfügung gestellt. Die finanzielle Förderung der Fraktionen erlaubt außerdem Einstellung von Fachpersonal für bestimmte Politikfelder. Auf diese Weise kann sich eine Partei auch inhaltlich professionalisieren. Nicht zuletzt nutzen die in Landesregierungen vertretenen Parteien auch die Landesministerien, um politische Projekte mit Fachwissen zu unterfüttern. Diese Möglichkeiten standen den Piraten bis zu ihrem Einzug in mehrere Landesparlamente nicht zur Verfügung.

Ohne Parlamentsmandate konnten die Piraten kein Berufspolitikertum ausbilden. Ihre Vertreter waren Ehrenamtliche. Sie konnten darum längst nicht so viel "leisten", wie hauptberufliche Parteifunktionäre, Parlamentarier oder Regierungsmitglieder der etablierten Parteien. Ihnen fehlte nicht nur das Know-how des Fachpersonals der Fraktionen und Ministerien. Ihnen fehlte auch die Zeit. Ihre Möglichkeiten, sich in Themen einzuarbeiten und konkrete Konzepte zu entwickeln, litten unter diesen Beschränkungen.

Wer eine Partei gründet, muss zudem inhaltliche Diskussionen ihrer Mitglieder und eine Beschlussfassung organisieren und er braucht eine professionelle Medienarbeit. Das erfordert einerseits eine Logistik von Diskussionsveranstaltungen. Parteitage müssen abgehalten werden. Andererseits bedarf hoher Leitungskompetenz, um diese Diskussionen zu moderieren und die Beschlüsse letztlich auch in den eigenen Reihen als verbindlich durchzusetzen. Solche Kompetenz bildet sich nicht innerhalb von wenigen Monaten aus. Etablierte Parteien verfügen bereits über eine hilfreiche Infrastruktur. Ihre hauptamtlichen Verwaltungen leisten die organisatorische Arbeit. Parteivertreter mit jahrzehntelanger Parteierfahrung leiten und kanalisieren die Debatten und Beschlussfassungen.

Nicht zuletzt hat sich in den letzten Jahrzehnten eine Kultur der Medienprofessionalisierung in der etablierten Parteienlandschaft ausgeprägt. Mit viel Geld kaufen sich Berufspolitiker das Medien-Know-how, um sich für öffentliche Auftritte zu schulen. Eine solche Professionalisierung haben die Piraten, aus Zeit- und Geldgründen und sicher auch aus Idealismus, noch nicht durchlaufen können. Dass ihre Medienauftritte zuweilen ungelenk wirken, ist deshalb vollkommen nachvollziehbar.

Wenig nachvollziehbar ist allerdings die Erwartung der Medien an die Professionalität der Piraten. Die aktuelle Kritik geht allzu oft von einem Idealbild aus. Tatsächlich hätten die Medien von Anfang an die Möglichkeiten der Piraten vor dem Hintergrund der Herausforderung einer Parteigründung beurteilen müssen. Damit hätte sich sowohl der Selbstanspruch der Partei als auch die Erwartung der Medien an sie relativieren lassen. Dabei hätte man durchaus positiv anerkennen können, welche Mühen die jungen Leute auf sich genommen haben. Aber eine solche Differenzierung wäre nicht mehr spannend gewesen. Deshalb büßen die Piraten gegenwärtig dafür, dass sie nicht die Story sind, die sie hatten sein sollen.