Die Politserie, die Emmanuel Macron jetzt sehen muss

Bild: © Canal+/Pierre Volot

"Baron Noir": Aus den Grauzonen von Hass, Rache und Obsession

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"Es geht nicht mehr um Politik. Zwei Menschen, ein Winner ein Loser."
"Darwin oder?"
"Ganz genau."
aus: "Baron Noir", Folge 1

Nur wenige Minuten vor der Fernsehdebatte der zweiten Runde der französischen Präsidentschaftswahlen: "Wir haben eine lange Reise hinter uns, und da sind wir nun: Alles oder nichts." Zwei Männer stehen auf einem Hochhausdach und blicken auf die Welt unter ihnen. Immer wieder in dieser Serie wird man zwei Menschen auf einem Hochhausdach stehen und hinabblicken sehen. Sie reden, und es sind oft entscheidende Gespräche, die hier geführt werden, unter Verbündeten, nicht selten aber auch unter Rivalen. Das sieht gut aus auf dem Bildschirm, macht aber auch inhaltlich Sinn, denn man kann frische Luft schnappen und nicht so gut belauscht werden.

Die zwei sind das Zentrum, um das sich im Folgenden alles dreht: Francis Laugier, der Kandidat der Parti Socialiste für das Amt des Präsidenten der Republik Frankreich, und Philippe Rickwaert, seit 15 Jahren einer seiner engsten Berater. Ihr Gespräch auf dem Dach in der allerersten Szene und die anschließende Fahrt im gläsernen Aufzug wird das letzte freundschaftliche Gespräch zwischen den beiden sein.

Schon wenige Minuten später werden sie unverhofft zu dauerhaften Rivalen, entspinnt sich zwischen ihnen ein Reigen aus Macht und Rache, ein langer Kampf zwischen dem zukünftigen Präsidenten und seinem fallen gelassenen Berater, von dem die beiden in diesem Augenblick noch nichts ahnen.

"Die Franzosen wählen keinen Buchhalter, sondern ihren Präsidenten"

All ihre Konzentration, ihr Denken und Trachten gilt den nächsten zwei Stunden, in denen Laugier in einer TV-live-Diskussion den amtierenden Präsidenten herausfordern wird.

Am Rand der Kameras stehen Philippe Rickwaert und Amélie Dorendeu, die zweite Beraterin des Kandidaten. Rickwaert strahlt Ruhe und Selbstvertrauen aus, Amélie will wissen, ob er den Kandidaten im letzten Gespräch noch einmal auf die Zahlen hingewiesen habe? "Man redet nicht über Zahlen vor einer Präsidentschaftsdebatte", antwortet der. "Ach nein, über was redet man denn?" - "Man versucht zu relaxen. Es geht nicht mehr um Politik. Zwei Menschen, ein Winner ein Loser." - "Darwin oder?" - "Ganz genau."

Und wie zur Bestätigung sagt Francis Laugier in diesem Augeblick vor den Kameras der Nation: "Zahlen sind nicht das, worauf es ankommt. Die Franzosen wählen keinen Buchhalter, sondern ihren Präsidenten."

Ein Phönix aus der Asche seiner Selbstzerstörung

Als die französische Variante von "House of Cards" hat man diese Serie gelegentlich bezeichnet. Das stimmt nicht ganz; schon deshalb nicht, weil die Hauptfigur, der "schwarze Baron" Philippe Rickwaert ein viel ambivalenterer Charakter ist als der Amerikaner Francis Underwood.

Parteifeinde und Präsidenten (10 Bilder)

Bild: © Canal+/Pierre Volot

Er ist kein eisiger Engel der Reaktion, kein abgefeimter Zyniker, der nur auf persönlichen Vorteil bedacht ist, kein "Richard III." im Parlament, sondern ein Mensch der Gefühle, der Energie, die nicht selten selbstzerstörerische Züge hat - aber auch einer, der danach eben wie ein Phönix aus der Asche seiner Selbstzerstörung sich erhebt und aufsteigt zu noch höheren Höhen der Macht.

Ein Idealist, aber einer, der weiß, dass man seine Ideale nur realisieren kann, indem man Realist bleibt. Ein Kämpfer, der weiß, dass Kampf nur lohnt, wenn man gewinnt, und der weiß, dass man nicht zimperlich sein darf bezüglich der Mittel, wenn man gewinnen will. Das Rationale und das Irrationale, Idealismus und Realismus halten sich bei diesem Charakter ganz gut die Waage.

Flandrische Ein-Mann-Bastion der Parteilinken

Philippe Rickwaert stammt aus Flandern, dem äußersten Nordosten der Republik. Im Industriezeitalter pulsierte hier die Herzschlagader der französischen Wirtschaft, eine Hochburg der Linken, der Arbeiterbewegung und ihrer Gewerkschaften, "Germinal" und andere Romane des Sozialisten Emile Zola spielten hier in der Region zwischen Lille, Valenciennes, Amiens und Boulogne, man kam von unten, war stolz darauf und eroberte durch Leistung den Staat. Aber längst werden hier die letzten Bergwerke abgewickelt, die Werften sind in der Krise und die Tuchfabriken schon dicht.

Rickwaert ist ein Parteilinker, ein Volkstribun (im Französischen heißen die Provinzfürsten "Baron"), ein Mann der Basis. Seine lokale Basis ist ausgerechnet Dunkirchen, wo er (wie viele französische Spitzenpolitiker) das Amt des Bürgermeisters ausübt. Dunkirchen ist eine beziehungsreiche Wahl, steht dieser Ort doch nicht nur für die erste Niederlage der deutschen Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg, sondern auch für eine starke Festung.

Eine solche Bastion ist auch Rickwaert, eine Ein-Mann-Armee des politischen Betriebs. Er hält sich an Partei- und Staatsraison nur wenn er will, zugleich ist er moralisch erpressbar, wenn es um das Wohl und die Subventionen der Werft in seiner Heimatstadt geht.

Da zeigt sich der Idealist in ihm. Der Realist zeigt sich in der Art, in der er seine Basis pflegt, Verbindungen hält, immer informiert ist, in der Form, in der er die Medien bespielt. Realismus beweist Rickwaert auch insofern er um keinen Trick des politischen Geschäfts verlegen ist.