Die Postmoderne hat eine Verabredung am Pool

Neue Hollywood-Filme und die Verdrängung alter Stars

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In Hollywood wachsen die grauen Haare zur Zeit schneller. "I know what you did last summer" und "Scream" hatte niemand auf der Rechnung, bevor sie bis an die Spitze der Kinocharts stürmten. Einst erfolgreiche Regisseure wie Barry Levinsohn, Paul Verhoeven oder Costa-Gravas aber versuchen sich dagegen zur Zeit als Bruchpiloten. Die Zuschauer sind so unberechenbar wie selten zuvor. Regisseure auf dem Abstellgleis wie Horror-Altmeister Wes Craven ("Nightmare on Elm Street") lächeln plötzlich wieder von der Überholspur der Filmindustrie und treten den Beweis an: Es gibt ein Leben nach dem Filmriß! Allerdings auch keine Unsterblichkeit, wie Dustin Hoffman und Robert DeNiro zur Zeit erfahren, die um ihre Zelluloid-Existenz kämpfen. Selbst John Travolta muß nach den wenig erfolgreichen "Michael", "Phenomenon" und "She's so lovely" auf einmal wieder auf der kleineren Flöte spielen. Den abgeratzten Museumswärter in "Mad City" mochte dem Multimillionendollarmann niemand mehr abnehmen.

Viele besorgte Gesichter stellen sich die bange Frage, ob das alles nur Einzelfälle oder Zeichen für einen Generationswechsel sind. Das Branchenblatt "Variety" jedenfalls fordert: "Hollywood muß eine Richtungsentscheidung treffen!" In eine neue Richtung zeigen Filme wie "Wild Things" oder "Scream 2", die zur Zeit richtig Kasse machen. Es sind verschrobene Eklektizismen aus Blut und Tränen, Bodybuildern und Soap-Stars in knappen Badeanzügen. Jeder Postmoderne-Theoretiker stöhnt angesichts dieses schwülen Genre-Mixes: "Also, so habe ich mir das ja nun auch wieder nicht vorgestellt."

Nein, nein, wird allenthalben versichert. Die Cheeseburger sind so fett wie eh und je. Und auch die Fritten knuspern und brutzeln in denselben alten Pfannen. Nur: Die Gäste wollen nicht mehr so zahlreich kommen. Ratlos stecken die Betreiber der Restaurantkette "Planet Hollywood" die Köpfe zusammen. Obwohl Chefkoch Sylvester Stallone zusammen mit seinem Alpen-Buddy Arnold Schwarzenegger immer öfter zu Promotionauftritten "Eins, zwei, Gsuffa'" anstimmt, sind die Pläne von einer Expansion ohne Ende vorerst unter der Tresentheke verschwunden. Die alten Stars ziehen nicht mehr.

Seitdem auch "Sly" Stallone übergewichtig über die Leinwand schleicht ("Cop Land"), bewegt sich eine übergewichtige Filmindustrie schwerfällig in die Hungerstube. Eins ist klar: Neue Stars müssen her. Auf ihrer Suche nach einer Frischzellenkur versuchen die nicht mehr verwöhnten Restaurantbetreiber, Verträge mit nachwachsenden Talenten zu zeichnen. Heiß im Gespräch sind Matt Damon ("Good Will Hunting") und natürlich Leonardo DiCaprio. Doch während der eine schon wieder zurückgezogen an seinem nächsten Drehbuch bastelt, versucht der andere, endlich die Gerüchte um seine sexuelle Orientierung aus der Welt zu schaffen. Scheinbar sorgen sie sich mehr um die eigene Karriere als um das Wohlergehen einer angeknacksten Idee.

Die Filmwelt steht Kopf. Soviel ist sicher. Doch darüber hinaus verstehen alle gar nichts mehr. In den alten Tagen, sagen wir: letztes Jahr, war alles noch ganz einfach. Seufzend wurden 20 Millionen für einen Star hingeblättert. Anschließend ein auf Zielgruppenuntersuchungen basierendes Script zurechtgezimmert, Aliens und Spezialeffekte hinzugegeben - und fertig war das Rezept, aus dem Filmerfolge wurden. Doch schon dieses System zeigte bald erste Risse. Was bei "Mission: Impossible" (1996) oder dem "Cable Guy" (1996) gerade noch gut ging, wurde im letzten Sommer von den Zuschauern schon ziemlich abgewatscht. "Batman and Robin" und "Breakdown", gar nicht erst zu sprechen von dem Mega-Flop "Speed 2", ließen die Studio-Executives beim Blick auf die wöchentlichen Kinocharts erschaudern. Und in jüngster Zeit verliefen sich bei "Sphere" oder "Mad City" bald schon mehr Popcorntüten als Zuschauer in den leeren Kinosälen.

Die Karten in Hollywood werden neu gemischt. Zu den Verlierern gehört dabei das Pleitestudio des vergangenen Jahres: Warner Bros. So schlecht wie 1997 lief es schon lange nicht mehr für das Duo an der Spitze, über dessen Zukunft nun offen spekuliert wird. Terry Semel und Bob Daly, einst Erfolgsgaranten des Studiosystems, kämpfen noch einmal mit aller Macht gegen das Signet "Auslaufmodell". Doch wenn die Sommer-Warners "Lethal Weapon 4" und die Neuauflage des romantischen Pärchens Tom Hanks und Meg Ryan in dem Film "You have Mail" nicht einschlagen, haben alle Spekulationen ein schnelles Ende. Denn beim Geld hört gerade in Hollywood die Freundschaft auf.

Und auch das vor einigen Jahren noch so hoffnungsfroh gestartete Studio Dreamworks ist nicht gerade vom Erfolg verwöhnt. Bislang haben sich die Filme eher im Schlagschatten des Erfolges wiedergefunden. Obwohl mit Stephen Spielberg, Jeffrey Katzenberg und David Geffen drei scheinbar Allmächtige auf den Chefsesseln sitzen, sind die ersten Ergebnisse ihrer gemeinsamen Arbeit positiv ausgedrückt doch eher mittelmäßig. Die belanglose Geschichte vom "Peacemaker" hat selbst die hartgesottenen James Bond-Fans, auf die der Film offensichtlich zugeschnitten war, enttäuscht. Und Spielbergs Geschichtsstunde "Amistad" blieb wohl nicht nur wegen der bis zuletzt ungeklärten Plagiatsvorwürfe in den Startblöcken stecken. Gerade einmal in die Gewinnzone und nur zwei Oscar-Nominierungen, so hart wurde Erfolgskind Spielberg schon lange nicht mehr von seinem Publikum und Akademiemitgliedern mißhandelt. Der Name Dreamworks ist deshalb nur noch für Branchenspott gut. "Stop dreaming and start working", diese Spitze finden die Macher in den Hollywood Hills gar nicht mehr komisch. Deshalb richten sich auch bei Dreamworks die Hoffnungen auf den Sommer. Wobei es Spielberg schon wieder kräftig fuchst, daß er die Credits für sein nächstes Projekt "Saving Private Ryan" mit einem anderen Studio teilen muß (Paramount), da die ursprünglich die Rechte an dem Stoff erworben hatten. Dennoch soll das 2.Weltkriegs-Drama mit Tom Hanks in der Hauptrolle endlich den Weg aus dem Tal der Tränen in die Gewinnzone der Branche ebnen.

Die Filmzeitschrift "Premiere" spekuliert indes munter weiter, ob sich angesichts all der enttäuschten Hoffnungen und unverhofften Gewinne nicht untergründig eine neue "Kultur" entwickelt habe. Und das Branchenblatt "Variety" sekundiert auch noch: "Wer geglaubt hat, daß es nach dem Film der 80er Jahre nichts Neues mehr geben würde, sieht sich getäuscht." Doch wodurch soll sich diese eventuelle neue "Kultur" nur auszeichnen? Bevor "Kenner" der Szene an dieser Stelle ratlos mit den Schultern zucken, verweisen sie gerne auf Zahlen. Die haben einerseits den Status des Faktischen und beweisen anderseits gar nichts. Immerhin teilen sie uns eine interessante demographische Verschiebung mit. Denn wenn es Mitte der 80er Jahre in den USA noch 30 Millionen Teenager gab, so werden es 2005 schon über 50 Millionen sein. Und so umworben und kommerziell kraftvoll diese Zielgruppe ist, so unberechenbar zeigt sie sich auch. Die Teenies sind es, die Filme in den Himmel heben ("Titanic") und alte Stars in die Hölle schubsen.

Ganz im Ernst: Wer hat schon damit gerechnet, daß Leonardo "Milchgesicht" DiCaprio oder Matt "Yuppie" Damon zu internationalen Leinwandlieblingen aufsteigen? Ein zweiter Erklärungsstrang versucht sich eher filmhistorisch. Denn wenn Peter Bogdanovic vielleicht in den 70ern noch die Wahrheit exklusiv für sich gepachtet hatte, mittlerweile gehört es zum Allgemeinwissen, daß alle Geschichten erzählt sind. Die Generation heutiger Kinogänger ist so "smart", daß sie alle Zeichen lesen können, die einen Film konstituieren. Das erleichtert im Prinzip vielen Filmemachern das Geschichtenerzählen. Die dramatischen Schwerpunkt können locker verschoben werden, Charaktere müssen nicht großartig etabliert werden, ein Klischee oder Detail reicht oft aus, und der Zuschauer brummt zufrieden: Hmmh, der Bösewicht. Oder: Aha, das ist der Gute. Die leicht entzifferbare Werbesprache hat damit Einzug gehalten in den Spielfilmbereich.

Dadurch werden Geschichten zunehmend fragmentiert, weil sie einerseits auf ein geschultes und intelligentes Publikum setzen, anderseits auch auf Nebenschauplätze verschoben werden. Und die Meister der Form wie David Lynch oder John Woo werden reichlich zitiert und kopiert. Randelemente werden zu Haupthandlungsträgern aufgewertet. Wenn Lynchs Figuren rauchen oder, wie in "Wild at Heart", ihre coole Schlangenhautlederjacke überstreifen, dann ist klar, daß hier mehr passiert als die eigentliche Aktion suggeriert. Hier werden Mythen transportiert. Wenn schon keine anderen, dann zumindest Pop-Mythen.

Und das passiert auch bei Filmen wie "Wild Things" oder "Scream". Auch wenn hier die Bilderschätze der Vergangenheit eher ausgeplündert werden, anstatt neue Entwürfe vorzulegen. Es ergibt sich eine Meta-Sprache, die sich irgendwo im Bereich zwischen Popcorn und Filmdiskurs umtut. Die Hauptcharaktere geben sich so aufgeklärt, daß sie ihren eigenen Geschichten nicht mehr so recht über den Weg trauen .Metaphern und Symbole werden von vornherein durchschaut. Die Sache hat nur einen Haken. Denn die Problematisierung von, sagen wir: Gewalt im Film, wie gesehen in Wes Cravens "Scream", verhindert noch lange nicht, daß die Gewalt auch tatsächlich gewohnt konventionell daher kommt. Und wenn "Scream" angeblich Gewalt reflektiert, so ist das natürlich nur eine Scheindebatte. Schließlich weiß auch der Altmeister Craven, daß Horror ohne Gewalt wie Schockolade ohne Zucker ist. Einfach unmöglich. Oder im besten Falle langweilig. Und wenn der unsichtbare Killer in dem einsamen und schlecht beleuchteten Haus (soviel zur Konvention) ankündigt, die hübsche Blondine (Drew Barrymore) gleich mal von innen inspizieren zu wollen, dann kann der Zuschauer sich darauf verlassen, daß deren Eingeweide tatsächlich kurz darauf vom nächsten Apfelbaum hängen werden. Denn eher vergißt der Papst das Amen in der Kirche als daß im Horrorfilm nicht untergründiger Blutdurst erfüllt wird.

Und auch "Wild Things" ist ein Zitatkuchen der besonderen Art. Wer den Film gesehen hat, weiß, wieviele Stunden der Regisseur und sein Drehbuchautor vor MTV und Playboy-Channel verbracht haben muß. Dem fernseherzogenen Zuschauer werden Bilder präsentiert, die versprechen, was später nicht einmal mehr eingelöst werden muß. "Teasing" ist das Wort des Tages in Hollywood. Der ganze Film als "Reiz", dafür steht die Hauptdarstellerin Denise Richards ("Starship Troopers") als laufende Kleiderstange und wandelndes Bikini-Model. Wo Wasser ist, da springt sie rein. Leicht oder gar nicht bekleidet. Der Film als Badespaß. Und das unterlegt mit Pastelltönen, die dem ganzen Film eine eigene Note aufdrängen. Das ist eine auf 90 Minuten verlängerte Kaugummireklame. Immer frisch und immer fit. Der Plot ist simpel und ziemlich einfallslos, aber darum geht es ja schließlich nicht. Geschichtenerzählen verkommt hier zu reiner visuellen Stimulanz. Hier werden Autos gewaschen, nur damit Denise Richards am Ende mit einem nassen T-Shirt dastehen kann und als Ort der Handlung wurde eine High School gewählt, damit sich die Cheerleader sexy und kameragerecht in Szene setzen dürfen.

Die Frage darf gestellt werden, ob sich aus der Feststellung, daß alle Geschichten erzählt sind, wirklich die Konsequenz ergibt, dann nur noch hübsche Bilder zu verkaufen? Soll das alles sein? Im Moment scheint es fast so. Filme wie "Wild Things" haben Konjunktur. Das sind die Beispiele für die Rezeption einer Generation, die viel zu viele schlechte Filme aus den Videotheken gesehen hat. Es scheint der lange Atem von Quentin Tarantino zu sein, der sich nun auf Mainstream-Ebene beim großen Publikum durchsetzt. Die Amerikaner jedenfalls haben der neuen Bewegung schon einen griffigen Namen verpaßt, noch bevor sie richtig erkannt worden ist. Bei den neuen Filmen, so die New York Times, handele es sich schlicht und ergreifend um Filme der Kategorie der "high-grossing, blood-drenched date night, crowd pleaser" . Noch Fragen?