Die Rache der fliegenden Toaster
MoveOn.org organisiert das Netz gegen Bush
Netz-Apologeten haben derzeit einen schweren Stand in der US-Politik: Howard Deans Präsidentschaftskampagne dümpelte erfolglos vor sich hin, mittlerweile ist er aus dem Wahlkampf ausgeschieden (Howard Deans Resignation löst eine Debatte über den politischen Einfluss der Netzgemeinde aus). Der von Bloggern zur Kandidatur gedrängte Wesley Clark (Der General) hat bereits ganz aufgegeben. Doch die liberale Nonprofit-Organisation MoveOn.org zeigt, dass netzbasierte Kampagnen sehr wohl funktionieren können - und etabliert sich jenseits der Kandidatenkür als eine der führenden politischen Kräfte im Präsidentschaftswahlkampf.
Wes Boyd ist der Mann, der uns die Toaster gab. Im Jahr 1987 gründete er gemeinsam mit Joan Blades und Lawrence Boyd die Softwarefirma Berkeley Systems. 1989 brachte die Firma mit Afterdark eine der ersten kommerziellen Bildschirmschoner-Anwendungen auf den Markt. Berühmt wurde Afterdark vor allen Dingen für seine fliegenden Toaster - ein Motiv, das eigentlich nur als Test einer neuen Darstellungstechnik entstand.
Rund zehn Jahre später starteten Boyd und Blades einen weiteren Testlauf, dieses Mal in Sachen digitaler Demokratie. 1998 bemühten sich konservative Kräfte gemeinsam mit dem Sonderermittler Kenneth Star darum, Bill Clinton wegen seiner Affäre mit Monica Lewinsky aus dem Weißen Haus zu vertreiben. Die beiden Software-Unternehmer sahen darin eine sinnlose, politisch motivierte Verschwendung von Ressourcen. Im September starteten sie deshalb eine Online-Petition unter dem Motto "Move On": Clinton sollte seine wohlverdiente Rüge für sein Verhalten bekommen - und dann solle man sich doch bitte endlich wieder den wirklich wichtigen Dingen widmen.
250.000 Netz-Nutzer unterschrieben den Appell in weniger als einem Monat. Boyd und Blades begriffen, dass sie da auf etwas gestoßen waren: Wie sie selbst teilten offenbar Tausende von US-Amerikanern eine wachsende Frustration über die Gebaren ihrer Vertreter in Washington. Je mehr sie sich mit dem politischen Prozess beschäftigten, desto größer wurde ihr Bedürfnis, aktiv zu werden. "Ich war schockiert über das Vakuum innerhalb des politischen Systems", so Wes Boyd im Rückblick. Gegen Ende des Jahres hatte die Gruppe bereits 450.000 Unterstützer und den festen Willen, sich auch in Zukunft in die US-Politik einzumischen.
Anzeigenkampagnen und weltweite Mahnwachen
Im Wahlkampf 2000 konzentrierte sich MoveOn.org auf Versuche, die Wahlbeteiligung zu erhöhen, unterstützte offiziell aber keinen der Kandidaten. Auch als Bush das Weiße Haus übernahm, widmete man sich vorerst nur Sachthemen, die oft in beiden Parteien kontrovers diskutiert wurden. Dann kam der 11. September, und mit der US-Außenpolitik änderte sich auch MoveOn.org.
Im Dezember 2002 entschloss sich die Gruppe dazu, eine Anzeige gegen den drohenden Krieg im Irak in der New York Times zu schalten. Um die Kosten von 38 000 US-Dollar zu decken, wandte man sich mit einem Spendenaufruf an seine Online-Unterstützer. Innerhalb von zwei Tagen hatten diese 400.000 Dollar überwiesen - genug, um gleich eine ganze Anzeigen- und TV-Spot-Kampagne zu starten. Im Angesicht des drohenden Krieges verdreifachte sich die Unterstützerbasis der Organisation.
Im März 2003 veranstaltete die Gruppe dann eine weltweite Mahnwache gegen den Krieg, an der sich Menschen an 4.000 Orten beteiligten. Doch auch zu innenpolitischen Themen nimmt MoveOn.org weiterhin Stellung. Als die Medien-Aufsichtsbehörde FCC im Sommer letzten Jahres mehr Konzentration im US-Medienmarkt erlauben wollte (In den USA soll die Medienkonzentration gefördert werden), startete die Organisation eine breit angelegte Kampagne. Mit Erfolg: Auch durch die ungewohnt breite öffentliche Diskussion entschieden sich der US-Senat und der Kongress dazu, gegen die Deregulierungspläne der FCC zu stimmen.
Protest als Service
Für Wes Boyd ist der Werdegang dieser Kampagne symbolisch für die Arbeitsweise von MoveOn.org und den wachsenden Einfluss des Netzes. Boyd dazu letzte Woche auf der O'Reilly Emerging Technologies Conference:
Die Politiker in Washington hatten keine Vorstellung davon, dass die Öffentlichkeit sich so über die Konzentration der Medien aufregte. Sie sind es gewohnt, beschauliche Komitee-Sitzungen zu haben und ein paar Dutzend Stellungnahmen zu bekommen.
Gleichzeitig beobachteten die MoveOn.org-Organisatoren, dass zahllose Netznutzer in Mailinglisten und Netz-Foren an Diskussionen über die anstehenden Änderungen beteiligt waren. Die Gruppe reagierte darauf mit einer Petition und bekam unerwartet hohen Zuspruch. "Es war einfach verrückt", so Boyd. "Hunderttausende von Teilnehmern in wenigen Tagen."
Also half man den MoveOn.org-Mitgliedern dabei, direkt ins Gespräch mit ihren Kongressabgeordneten zu kommen. Für die meisten Abgeordneten sei dies eine völlig neue Erfahrung gewesen, dass jemand tatsächlich mit ihnen über FCC-Regulierungen reden wollte. Für MoveOn.org ist es dagegen eine durchaus typische Herangehensweise. Anstatt eine übergeordnete Agenda zu verfolgen, versucht man, bestehende Bewegungen aufzugreifen und zu unterstützen. Boyd erklärt sich diesen Ansatz nicht zuletzt auch mit seiner Dotcom-Vergangenheit:
Wir kommen aus der Geschäftswelt, wir denken über Service nach.
Zu kontrovers für den Superbowl
Derzeit heißt das für MoveOn.org, sich vermehrt in den Wahlkampf einzumischen. Anders als noch 2000 bezieht man diesmal sehr viel eindeutiger Stellung. Insgesamt 15 Millionen US-Dollar will die Organisation mit ihrem Voter Fund für Bush-kritische TV-Spots ausgeben. Möglich wurde dies nicht zuletzt auch, weil die Organisation in George Soros einen finanzkräftigen Förderer gefunden hat (Kampf der Giganten). Das Gros der Spenden stammt jedoch aus einem Pool von mittlerweile mehr als zwei Millionen Unterstützern. Teil der Kampagne ist auch der Wettbewerb Bush in 30 Seconds, mit dem die Organisation kürzlich nach den besten Anti-Bush-Werbespots suchte (Wenige brennende Bush-Puppen).
Aus mehr als 1.000 Einsendungen wurde schließlich "Child's Pay" zum Gewinner gekürt. Ursprünglich wollte MoveOn.org die Anzeige während des Superbowls zeigen. Doch dem Fernsehnetzwerk CBS galt der Spot als zu kontrovers, um ihn während des bedeutendsten und meistgesehenen US-Sportereignisses auszustrahlen. Der Clip zeigt Kinder, die in Fabriken, Supermärkten und Autowerkstätten arbeiten - gefolgt von der Frage: "Raten sie mal, wer Bushs Billionen-Defizit abbezahlen wird?"