"Die Regierung des Volkes"

Seite 3: "Wir wollen raus aus dem Brexit"

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Die Schwierigkeiten für die wahlkämpfenden Labour-Mandatare waren enorm. Insbesondere weil sich im Land die Logik festgesetzt hat, die Misserfolge der Tory-Regierung der lokalen Labour-Vertretung anzulasten. Es sei für alles kein Geld da, beklagten die vor die Fernsehkameras gezerrten Wähler und es könne ohnehin nicht mehr schlimmer kommen. Deswegen solle sich nun etwas ändern, indem sinnwidrig die alte Regierung gestärkt wird.

Es zeigt sich, wie tief das Austeritätsdiktat verinnerlicht wurde. Die Versuche von Labour, dieses aufzuheben, wurden schlicht nicht ernst genommen. Der Bevölkerung, nach all den Jahren Sparzwang durch Tories und New Labour, nun plötzlich kostenloses Internet zu versprechen, die 32-Stunden-Woche, Gratis-Busse für alle unter 25 Jahren und dergleichen mehr, wirkte auf das Publikum wie die windigen Behauptungen einer Partei, die ohnehin fest davon ausgeht, nicht an die Macht zu gelangen. Dass Labour dies alles durchgerechnet haben will und für finanzierbar hält, nützte ihr nichts mehr, denn für solch aufwendige Argumentation und die dafür nötige Überzeugungsarbeit fehlte die Zeit.

Über allem schwebte letztlich der Brexit und der wird kurz nach der Wahl von der Labourspitze als Hauptgrund des Misserfolges genannt. Hier war es aber vor allem die Unübersichtlichkeit der Argumentation von Labour. Man wollte das Land zusammenführen, indem einerseits der Brexit betrieben werden soll, allerdings mittels eines besseren Deals mit Brüssel (als ob den meisten nicht nach über drei Jahren Verhandlungen die Lust auf neue Deals gehörig vergangen wären). Dieser Deal hätte dann anderseits der Bevölkerung mittels eines neuen Referendums zur Abstimmung vorgelegt werden sollen, bei dem die Labourpartei sowohl für den eigenen, neuen und besseren Deal geworben hätte, als auch für den Verbleib in der EU.

Man kann sich gut vorstellen, wie sich die britischen Wähler, auf ihren Türschwellen stehend, leicht verzweifelt am Kinn kratzen mussten, nachdem ihnen die lokalen Labour-Abgeordneten diesen Plan wortreich dargelegt hatten. Boris Johnson fuhr stattdessen buchstäblich mit dem Bulldozer drüber und hatte den Briten nichts anderes zu sagen als "Get Brexit done".

Eine Wählerin brachte in der BBC ihre Verzweiflung gut zum Ausdruck, indem sie meinte, "wir wollen raus aus dem Brexit." Der Wunsch, das nicht enden wollenden Drama beenden zu können, war groß, wohlwissend, dass der EU-Austritt in der von Johnson ausgehandelten Form mehr Schaden als Nutzen für das Land bringen wird.

Neblig-trübe Aussichten

Keine Frage, die Menschen in Großbritannien haben ein wenig aufgegeben. Die Stimmung wirkt wie auf dem SPD-Parteitag. Nur ein paar unentwegte Verrückte simulieren Begeisterung, der große Rest ist entschlossen, sich dem miesen Schicksal zu fügen. Der Wettkampf, welches westliche Land von dem größten Clown regiert wird, ist jetzt wieder offen. Die USA werden sich warm anziehen müssen, denn Trump hat in Johnson einen mächtigen Gegner, wenn es um unaufgeklärte und selbstsüchtige Impulsreaktionen geht. Aufklärung verschafft dagegen aber offenbar nur wenig Abhilfe, denn die Menschen wissen dies alles sehr genau.

Angesprochen auf Johnson seufzen die meisten. Kaum jemand bekennt sich frohgemut zu einem Mann, der Arbeiter für versoffene Nichtsnutze hält und sich sein Frauenbild aus einem 70er-Jahre Softpornos zusammengereimt hat. Kein denkender Mensch kann einem Premierminister trauen, der nicht einmal in der Lage ist, die Zahl seiner Kinder anzugeben.

Aber dies zu beklagen nützt der linken Opposition wenig. Vielmehr muss sie sich von Johnsons Berater Dominic Cummings nachsagen lassen, sie seien es gewesen, die die Lebensrealität der Menschen im Land verkannt hätten. Londoner Eliten würden auf die weniger gebildeten Leute herabsehen und wollten diese bevormunden. Das ist in Teilen nicht falsch, denn der Frust und das Unverständnis darüber, dass sich so viele ganz offenbar betrügen lassen wollen, hat sicherlich zu der ein oder anderen herablassenden Formulierung geführt.

Jeremy Corbyns Plan, wieder sozialistische Ideen zurückzubringen, musste allein hieran scheitern. Denn die Kommunikation zwischen hochgebildeten Aktivisten der "Momentum"-Bewegung und breiteren Bevölkerungsschichten hat nicht funktioniert. Es ist aber auch fraglich, ab Labour klug daran beraten ist, die gewissen Erfolge, wie beispielsweise den starken Anstieg an Parteimitgliedern, nun aus Wut über die verlorene Wahl zu verdammen und herzuschenken. Vielmehr müsste weiterhin an der Einbindung der neuen Aktivisten gearbeitet werden.

Die nächsten Wahlen mögen noch sehr weit entfernt sein, aber ein Hoffnungsschimmer für Labour könnte darin liegen, dass Boris Johnson ein "One Trick Pony" ist. Wenn er das Thema Brexit verliert, indem er diesen im Jahr 2020 durchführt, dann dürfte augenfällig werden, dass er kein wirkliches Programm hat, um das Leben im Land zu verbessern. Ob es allerdings Labour gelingt, bis dahin die enormen Gräben zwischen linkem "Momentum"- und konservativem "New Labour"-Flügel zuzuschütten, ist sehr fraglich.

Außerdem ist ungewiss, ob es in fünf Jahren überhaupt noch ein Vereinigtes Königreich gibt, nachdem in Schottland die Nationalisten der SNP einen überragenden Wahlsieg feierten und in Nordirland erstmal die Nationalisten stärker als die Unionisten sind. Aber das sind alles Details, die den großen Geist eines Boris Johnson kaum stören können. Denn dem geht es bekanntlich strikt um die persönliche Ambition. Die hat mit dem Einzug in 10 Downing Street und deren eindrucksvoller Bestätigung durch die Unterhauswahlen 2019 ihren Höhepunkt erreicht. Ein Erfolg, den Johnson mit Zähnen und Klauen verteidigen wird, notfalls eben auch als der erste Premierminister von England und Wales.

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