Die Revolution, die keine war
Vier Jahre nach der Rosenrevolution ist Georgien genauso autoritär und korrupt wie unter Schewardnadse - die vorgezogenen Neuwahlen dürften daran nicht viel ändern
Überraschenderweise konnte sich das georgische Oppositionsbündnis bereits nur wenige Tage nach der Ankündigung der vorgezogenen Präsidentschaftswahlen durch den Präsidenten Michail Saakaschwili auf einen gemeinsamen Kandidaten einigen. Trotzdem werden der Opposition schlechte Chancen vorhergesagt. Dem bedrängten Amtsinhaber gelang mit seiner Ankündigung von vorgezogenen Wahlen ein kluger politischer Schachzug. Den wochenlang anhaltenden Protesten, die eher einen ökonomischen Charakter hatten als einen politischen, nahm er damit den Schwung, und der Opposition gab er ihren Willen. Gleichzeitig zeigte Saakaschwili damit aber auch, dass die Opposition politisch nicht viel mehr zu bieten hat als er. Dies aus einem einfachen Grund: Die Ablehnung Saakaschwilis ist der einzige gemeinsame Nenner im Nationalen Rat der Oppositionsparteien. Deshalb ist davon auszugehen, dass sich auch nach dem 5. Januar nicht viel in Georgien ändern wird, dabei haben Revolutionen Änderungen zum Ziel. Schade für das kaukasische Land, denn bereits nach der Rosenrevolution führte Saakaschwili die autoritäre und korrupte Politik seines Vorgängers fort.
2003 war Michail Saakaschwilli noch der große Hoffnungsträger der Georgier. Zu Abertausenden demonstrierten diese gegen den damaligen Präsidenten Eduard Schewardnadse, bis dieser dem öffentlichen Druck nicht mehr standhielt und von seinem Amt zurücktrat. Die Bevölkerung des Kaukasusstaates hatte damals genug von Korruption, Armut und dem autoritären Regierungsstil des einstigen Weggefährten Michail Gorbatschows, was sie mit der Rosenrevolution zum Ausdruck brachte.
Doch aus dem Liebling und Hoffnungsträger der georgischen Bevölkerung, der im Januar 2004 mit 96 Prozent der Stimmen zum Präsidenten gewählt wurde, wurde ein Politiker, der nun selber den Unmut der Massen auf sich zieht. Über mehrere Wochen hinweg fanden in Tiflis Demonstrationen gegen Saakaschwili statt, bei denen sein Rücktritt sowie vorgezogene Parlamentswahlen gefordert wurden. Ihren Höhepunkt fanden die Protestkundgebungen am letzten Mittwoch, als diese in einer brutalen Straßenschlacht endeten und Saakaschwili am darauffolgenden Tag den Ausnahmezustand über das Land ausrief, welcher, wie das von seiner Regierungspartei dominierte Parlament am Freitag beschloss, bis zum 22. November andauern soll.
Die Ursprünge für diese Proteste reichen einige Wochen zurück. Ende September gab Irakli Okruaschwili, einst enger politischer Bundesgenosse Saakaschwilis, der zuerst Generalstaatsanwalt, Innenminister und dann bis zum November letzten Jahres konfliktbereiter Verteidigungsminister war, eine Pressekonferenz, bei welcher er die Gründung einer oppositionellen Partei ankündigte und gleichzeitig schwere Vorwürfe gegen den Präsidenten erhob. Saakaschwili und sein Clan sollen, laut Okruaschwili, durch Korruption und verdeckte Geschäfte ein milliardenschweres Vermögen angehäuft haben. Dabei soll es sich sowohl um persönliche Bereicherung bei georgischen Waffenkäufen im Ausland, als auch um Beteiligungen an georgischen Unternehmen, unter anderem an einem Mobilfunkanbieter, einer Fernsehanstalt und der georgischen Eisenbahn handeln.
Die brisanteste Anschuldigung schlug aber nicht nur in Georgien, sondern auch im Ausland hohe Wellen. Selbst russische Politiker, denen Menschenrechte sonst nicht besonders am Herzen liegen, ließ der Vorwurf hellhörig werden, weswegen sie die Angelegenheit gar vor den Europarat bringen wollten. Nicht verwunderlich, denn diese Anschuldigung hat es wirklich in sich. Der Präsident habe ihn mit der Liquidierung bestimmter Personen beauftragt, behauptete Okruaschwili, der sich jedoch weigerte, das Ansinnen des Staatsoberhaupts in die Tat umzusetzen.
Einer der bekanntesten Männer auf der präsidialen Todesliste war der Geschäftsmann Badri Patarkazischwili. Während der Rosenrevolution war der Medienmogul, dem unter anderem gemeinsam mit Rupert Murdoch der oppositionsfreundliche TV-Sender Imedi gehört, noch einer der wichtigsten Unterstützer Saakaschwilis. Heute gehört der ehemalige Geschäftsfreund des im Exil lebenden Oligarchen Boris Beresowski zu einem der schärfsten Kritiker des Präsidenten, der bereits ankündigte, bei den vorgezogenen Präsidentschaftswahlen am 5. Januar gegen Saakaschwili antreten zu wollen.
Diesen beiden Beschuldigungen, musste Okruaschwili, der momentan in München weilt, seinem ehemaligen politischem Freund eigentlich nicht noch Versäumnisse bei der Vertreibung der russischen Friedenstruppen aus den abtrünnigen Provinzen Abchasien und Südossetien vorwerfen, damit der Frust der Georgier endgültig in Zorn gegen Saakaschwili umschlägt. Diese beobachten nämlich selber schon seit Jahren mit sehr viel Missmut die innenpolitische Entwicklung des Landes. Sofort nach seinem Amtsantritt tat Saakaschwili, den die USA gerne als den Vorzeigedemokraten des Kaukasus vorweisen, alles, um das Parlament zu schwächen – und dies, obwohl er neben der Bekämpfung der Korruption auch eine Demokratisierung des Landes ankündigte. Mit dem Ergebnis, dass das Land vier Jahre nach der Rosenrevolution genauso autoritär und korrupt ist wie unter Schewardnadse.
Besonders frustriert hat viele Georgier aber die wirtschaftliche Entwicklung. Obwohl das Land von seinem ehemals wichtigsten Handelspartner Russland seit einem Jahr wirtschaftlich boykottiert wird (Kalter Krieg auf postsowjetisch), kann es ökonomisch Erfolge feiern wie nie zuvor. So ist das Bruttoinlandsprodukt im ersten Halbjahr 2007 real um 12,5 Prozent gestiegen, die ausländischen Direktinvestitionen gar am 42 Prozent. Doch dieser Aufschwung kommt nur einer kleinen Bevölkerungsschicht zu Gute, da nach Angaben der Weltbank gut 40 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze lebt. Diese soziale Ungleichheit bildet eigentlich auch eine der wichtigsten Grundlagen für die Proteste der letzten Wochen.
Die Opposition verlieh diesem Unmut mit ihren Vorwürfen und Forderungen lediglich ein politisches Gesicht. Dennoch nahmen die Proteste für viele Beobachter, egal ob in Georgien oder im Ausland, eine ungeahnte Entwicklung. Dafür verantwortlich sind aber beide Konfliktparteien. Die Opposition manövrierte sich mit ihren Maximalforderungen nach Saakaschwilis Rücktritt und vorgezogenen Parlamentswahlen selbst in eine Ecke, aus der es ihr unmöglich wurde, einen Kompromiss zu schließen. Dies auch deshalb, weil das Feindbild Saakaschwili das einzige Element ist, welches das heterogene Oppositionsbündnis zusammenhält.
Polizeigewalt, Pressezensur und Neuwahlen
Saakaschwili wiederum sorgte mit seiner Reaktion für eine Verschärfung der Lage. Bevor die Polizei die Demonstranten brutal niederknüppelte und er den Ausnahmezustand über das Land verhing, ließ er Oppositionspolitiker verhaften und die Presse zensieren. Der oppositionsfreundliche Privatsender Imedi des schon erwähnten Badri Patarkazischwili musste letzte Woche sogar sein Fernsehprogramm einstellen, weshalb sich sogar die sonst Saakaschwili-freundliche US-Regierung zu einer kritischen Äußerung veranlasst sah.
Doch nicht nur mit Polizeigewalt und Pressezensur versuchte der georgische Präsident Herr über die innenpolitische Lage zu werden. In der Hoffnung, den Demonstrationen den Wind aus den Segeln zu nehmen und die Opposition zu diskreditieren, scheute Saakaschwili auch nicht vor einem erneuten diplomatischen Konflikt mit Russland zurück. Gemeinsam mit der Opposition bereite Russland einen Putsch vor, behauptete Saakaschwili und belastete dadurch noch mehr die schon so angespannten Beziehungen zwischen den einstigen Bruderstaaten (Eine herrenlose Rakete). Um diesen Vorwurf, der auch als Legitimation für die Ausrufung des Ausnahmezustandes dient, zu unterstreichen, wies die georgische Regierung drei russische Diplomaten aus, wogegen Moskau natürlich protestierte und Tiflis selber Provokationen vorwarf.
Doch all diese Aktionen hatten für Saakaschwili keinen Erfolg. Erst durch seine überraschende Ankündigung vom 8. November, die Präsidentschaftswahlen vom Frühjahr 2008 auf den 5. Januar 2008 vorzuverlegen und das Volk in einem Referendum über den genauen Termin für die Parlamentswahlen entscheiden zu lassen, entspannte sich die Lage in Tiflis. Und durch diesen Schritt können sich sowohl die Opposition, die ihre Forderungen erfüllt bekam, als auch Saakaschwili, als Sieger des Konflikts fühlen – das Oppositionsbündnis bekam seine Forderungen erfüllt und Saakaschwili hat zumindest für die nächsten Wochen seine Macht gesichert.
Und einiges spricht dafür, dass sich Saakaschwili mit diesem Schachzug auch für die nächsten Jahre das Präsidentenamt gesichert hat. Da das Oppositionsbündnis eine heterogene Allianz aus nationalistischen, linkspopulistischen, konservativen und liberalen Kräften ist, die kein gemeinsames Programm, sondern lediglich die Ablehnung Saakaschwilis verbindet, dürfte das lockere Oppositionsbündnis keine lange Lebensdauer haben. Nicht einmal eine schnelle Einigung auf einen Präsidentschaftskandidaten trauten die Experten dem Oppositionsbündnis zu. Der "Nationale Rat der Oppositionsparteien" bewies am Montag mit der Nominierung des Oppositionspolitikers und Weinhändlers Lewan Gatschetschalidse zwar das Gegenteil, trotzdem wird schon jetzt Michail Saakaschwili ein Sieg bei den vorgezogenen Wahlen am 5. Januar vorhergesagt.
Die Gründe dafür dürften aber nicht nur in der politischen Buntheit des Bündnisses liegen. In dem "Nationalen Rat der Oppositionsparteien" ist nur ein Teil der georgischen Oppositionsparteien organisiert, weshalb sich diese bei der Wahl auch gegenseitig Konkurrenz machen werden. Und die Konkurrenz wird groß sein; nach Angaben der Wahlkommission wollen bisher vier Kandidaten gegen Saakaschwili antreten, so, neben dem Kandidaten des Oppositionsbündnisses, auch der Milliardär Patarkazischwili.
Ebenfalls auf die Kandidatenliste könnte der ehemalige Verteidigungsminister Okruaschwili gelangen, was er zumindest angekündigt hatte. Neben Patarkazischwili ist Okruaschwili auch bisher der einzige Politiker, der es charismatisch mit Saakaschwili aufnehmen könnte. Und Charisma, neben dem uneingeschränkten Zugang zu den Medien, dürfte bei dem kommenden Urnengang ein wichtiger Faktor für den Wähler sein. Die Kandidaten der Opposition kündigen zwar alle Verfassungsänderungen an, doch im Grunde unterscheiden sie sich politisch nicht großartig von Saakaschwili. Und allein diese Tatsache lässt erahnen, dass sich auch nach dem 5. Januar nicht viel in Georgien verändern wird.