Die Rückkehr der kalten Fusion?
Teil 5: Weltweit erhoffen sich Forscher von einem Gutachten des US-Energieministeriums die wissenschaftliche Anerkennung für die Erforschung einer potentiellen Energiequelle
Die kalte Fusion steht möglicherweise kurz vor ihrem Durchbruch. Seit 1989 gibt es die Behauptung, durch die elektrische Spaltung von schwerem Wasser lasse sich Energie gewinnen. Die wissenschaftliche Gemeinde hatte sich gegen diese Möglichkeit ausgesprochen, doch die Forschung ging weltweit und unbemerkt weiter. Eine Überprüfung der mittlerweile vorliegenden Forschungsergebnisse durch das US-Energieministerium ist praktisch abgeschlossen. Kalte-Fusions-Forscher hoffen, dass ein positives Gutachten ihr Forschungsgebiet nach gut 15 Jahren der Ächtung legitimieren wird. Langsam wird nicht mehr nur in Fachkreisen diskutiert, welchen Einfluss die möglicherweise neue Technologie auf eine Gesellschaft und die Sicherheit einer Nation haben könnte.
Als die kalte Fusion 1989 bekannt wurde und weltweit Bemühungen einsetzten, die behauptete elektrochemische Fusion von Wasserstoffatomen zu wiederholen, war sofort von einer Revolution der Energiegewinnung die Rede. "Kalte Fusion hat das Potential, den Energiedurst der Welt zu stillen, mit Meerwasser als Brennstoff und ohne Umweltverschmutzung oder schädlichem Abfall", schreibt die International Society for Condensed Matter Nuclear Science (ISCMNS).
Das erste Gutachten des US-Energieministeriums schloss im November 1989, "dass die gegenwärtigen Hinweise auf die Entdeckung eines neuen nuklearen Prozesses nicht überzeugend sind", und sprach sich gegen die Bewilligung von Forschungsgeldern aus (Kalte Fusion wieder heiß). Die Untersuchung des Ausschusses schloss jedoch nicht ohne Kontroverse. Der stellvertretende Vorsitzende Prof. Norman Ramsey forderte, dass ein Vorwort von ihm in den Abschlussbericht aufgenommen werden müsse. Andererseits würde er zurücktreten. Da es dem Ansehen des Ausschusses geschadet hätte, wenn der Nobelpreisträger Ramsey zurückgetreten wäre, wurde dessen Forderung als Präambel aufgenommen1:
Aufgrund der vielen widersprüchlichen Behauptungen ist es derzeit nicht möglich, kategorisch zu sagen, dass alle Behauptungen zur kalten Fusion entweder belegt oder widerlegt worden sind. (...) Sogar eine kurze aber gültige Phase der kalten Fusion wäre revolutionär.
Auch das Team des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik, das die kalte Fusion jedoch nicht reproduzieren konnte, schrieb 19902:
Von Anfang an war klar, dass [die kalte Fusion] entweder einer der größten Flops des Jahres oder eine der wichtigsten Entdeckungen des Jahrhunderts sein würde.
Andere Labore hingegen konnten die kalte Fusion reproduzieren, was dem Gros der Wissenschaft vollkommen entgangen ist, oder was nur keiner zugeben möchte. So ist im zusammenfassenden Bericht3 einer Forschungsabteilung der US Navy von 2002 zu lesen:
Wir wissen durch wiederholte Beobachtungen von Wissenschaftlern überall auf der Welt, dass das Phänomen kalte Fusion existiert. Es ist Zeit, dass Forschungsgelder in diese Forschung investiert werden.
US-Energieministerium überprüft kalte Fusion
Das Zustandekommen des derzeitigen Gutachtens des US-Energieministeriums geht auf die zehnte Internationale Konferenz zur Kalten Fusion (ICCF10) von August 2003 im amerikanischen Cambridge, Massachusetts zurück. "Vielen von uns war klar", berichtet Prof. David Nagel von der George Washington Universität, "dass die Situation jetzt aussagekräftig genug ist und zudem ein internationaler Wettbewerb besteht" (Die unerzählte Geschichte der kalten Fusion). Am 6. November 2003 wurden Nagel, Prof. Peter Hagelstein vom Massachusetts Institute of Technology (MIT), Dr. Michael McKubre von SRI International und der Energieunternehmer Randall Hekman im Energieministerium vorstellig, um eine Überprüfung der Forschungsergebnisse zu verlangen. Vier Monate später stimmte Dr. James Decker, Vizedirektor des Wissenschaftsbüros, einer Überprüfung zu. Das Ministerium bestimmte etwa 20 Gutachter. Diese erhielten am 23. August 2004 einen Forschungsbericht und sieben weitere aussagekräftige Veröffentlichungen (darunter diese).
In dem Forschungsbericht "Neue physikalische Effekte in Metall-Deuteriden" wird der Stand der Forschung zusammengefasst. Demnach verschmelzen schwere Wasserstoff-Kerne (Deuteronen) in Metall-Deuteriden bei Elektrolyse bei Raumtemperatur zu Helium-4-Kernen. Die dabei entstehende Überschusswärme sei "weitaus größer, als durch alle chemischen Prozesse erklärbar". Fusionsprodukte und Überschusswärme seien "nicht durch bekannte Kern- oder Festkörper-Physik erklärbar". Die durch die Experimente aufgekommenen Fragen könnten und sollten, nach Einschätzung der Autoren, in einem dezidierten Forschungsprogramm untersucht werden4.
Einher mit der Überreichung der Berichte sahen 14 Gutachter und drei Ministeriumsangestellte die Präsentationen von sechs kalten-Fusions-Forschern. U.a. präsentierte Dr. Vittorio Violante die Ergebnisse des italienischen Nationallabors ENEA, das die kalte Fusion 1989 mit als erstes reproduzieren konnte. Seitdem wird im italienischen Frascati versucht, die genauen Reaktionsbedingungen zu erkennen und die Wiederholbarkeit der Experimente zu verbessern.5 Violante sagt, er sei "beeindruckt von der großen wissenschaftlichen Kompetenz aller Gutachter." SRI-Forscher Michael McKubre fühlte sich im Laufe der Überprüfung seiner Ergebnisse - Violante bestätigt diese Einschätzung - dennoch wie in die Vergangenheit versetzt, "weil die Gutachter mit nur einer Ausnahme seit 1990 keinen intellektuellen Fortschritt auf dem Gebiet gemacht haben. Doch der Großteil des Interesses und der Fragen zeigen das aufrichtige Anliegen, die Sache zu verstehen."
Neue Herangehensweise
"Wir haben in unseren Präsentationen wirklich die überzeugendsten Argumente für die Wärme- und Helium-Produktion und die Realität von Kernreaktionen präsentiert", erzählt McKubre. "Das ist natürlich am schwersten zu schlucken und stellt die größte Bedrohung der bestehenden heißen-Fusions-Interessen dar." Mit Interessen meint er Budgets. Finanzierung ist ein zentraler Aspekt, weil die kalte Fusion als Konkurrenz für die heiße Fusion wahrgenommen wird, in die seit Jahrzehnten international bereits Milliardenbeträge investiert worden sind, und die manchen als Energiequelle der Zukunft gilt.
Wie gezeigt werden konnte, ist es 1989 am MIT zur Manipulation von Experimentaldaten gekommen, nachdem das dortige Labor zur Erforschung der heißen Fusion ebenfalls Hinweise auf kalte Fusion gefunden hatte.6 Da sich die erste Untersuchung des US-Energieministeriums (DoE) aufgrund dieser und weiterer zweifelhafter Ergebnisse 1989 gegen die kalte Fusion ausgesprochen hatte, ist das DoE wiederholt beschuldigt worden, die Forschung politisiert zu haben (Der Kampf gegen die kalte Fusion).
"Auch ich habe dieses in der Vergangenheit getan", gibt McKubre zu. "Diesmal jedoch, und was James Decker angeht, sehe ich nichts anderes als einen ernsthaften Versuch zu verstehen, was vielleicht eine höchst wichtige und relevante Wahrheit für das Ministerium und die USA sein könnte." In den vergangenen Wochen haben nun die letzten Gutacher ihre Einschätzungen an zwei hochrangige Beamte des DoE geschickt. Diese, so wird erwartet, werden Decker in diesen Tagen eine Zusammenfassung überreichen. Dann soll das Ergebnis vorliegen. Welchen Schluss Decker ziehen wird, ist jedoch "völlig unvorhersehbar", sagt Professor Nagel. Decker sei zwar ein "sehr gewissenhafter und qualifizierter" Mann, doch habe er wenig Zeit. "Alles hängt davon ab, was er geliefert bekommt", sagt McKubre.
Handhabung als Antrag auf Forschungsgelder
Anders als 1989, wird das DoE die Identität der Gutachter wohl nicht bekannt geben. "Das Energieministerium behandelt diesen Review wie einen Antrag auf Forschungsgelder", sagt David Nagel. "Es ist bei US-Agenturen üblich, weder die Gutachter zu nennen noch ihr Gutachten bekannt zu geben." Was das Ergebnis angeht, ist der Washingtoner Physiker jedoch optimistisch7:
Die meisten Leute wissen ja gar nicht, dass es 3.000 Veröffentlichungen zur kalten Fusion gibt. Wenn man diese hernimmt und fragt, ob die beteiligten Personen geeignete Wissenschaftler sind, ob sie angemessene, kalibrierte Ausrüstung benutzt haben und ob es Wiederholungen und Kontrollen gab, so bleiben immer noch 300 Veröffentlichungen übrig. Der einzige Weg, diese Daten verschwinden zu lassen, ist sie als Betrug oder Fehler zu bezeichnen. Das aber ist unmöglich! Wenn die Gutachter aber die genannten Maßstäbe anlegen, bleibt kein anderer Schluss übrig, als dass wirklich ein neuer und unbekannter Effekt vorliegt.
Für den Fall, dass auch die zweite DoE-Überprüfung das Phänomen verneinen sollte, könnten sich die Forscher auf Prof. Brian Josephson berufen. Dieser hat am 29. Juni auf der alljährlichen Tagung der Nobelpreisträger in Lindau über "pathologischen Unglauben" in der Wissenschaft gesprochen und sich dabei vehement für die kalte Fusion eingesetzt.8 Diese sei 1989 mit nicht haltbaren Argumenten unter Mithilfe des DoE unter den Teppich gekehrt worden. Die weit verbreiteten Wissenschaftsjournale hätten damals und seitdem eine Veröffentlichungspolitik erkennen lassen, positive Ergebnisse nicht zu veröffentlichen. Josephson findet9.
Wenn man sich wirklich mit den mittlerweile vorliegenden Arbeiten beschäftigt, wird es schwer sein, zu einem anderen Ergebnis zu kommen, als dass ein reales Phänomen vorliegt. Wenn dann immer noch gesagt wird, mit den Experimenten stimme etwas nicht, würde ich hoffen, dass das nicht akzeptiert wird.
Zunehmende öffentliche Diskussion
In Erwartung des Ergebnisses der Überprüfung ist es in den letzten Monaten vereinzelt zu Berichten in Fachzeitschriften und Massenmedien gekommen. UPI, Technology Review und der Boston Globe widmeten der aktuellen Entwicklung eigene Artikel. Spectrum Online schrieb die kalte Fusion sogar "zurück von den Toten". Mehrere Kommentatoren erwähnten die kalte Fusion in ihren Kolumnen. Peter Cockrane machte sich in Silicon.com Sorgen um die zukünftige Energieversorgung und sieht keine Lösung, "außer einem Wunder, plötzlich die kalte oder eine andere Form der Fusion zu realisieren". Auch George Monbiot schrieb im Guardian über das "hoffnungsvolle Monster" kalte Fusion, das "uns mit unbegrenzter Energie versorgen" könnte.10 Zuletzt war auch in Telepolis zu lesen, die Preisverleihung für den erfolgreichen Raumflug des SpaceShipOne könnte zu Durchbrüchen auf anderen Gebieten, etwa der kalten Fusion, führen.
Generell wird die kalte Fusion oft als Metapher für eine Wunderlösung benutzt. Was als klassisches elektrochemisches Experiment begann, ist zu einem popkulturellen Mythos geworden. Es gibt nicht nur eine Software und eine Rockband mit Namen "cold fusion", sondern auch ein Theaterstück, in dem es um die Realität der kalten Fusion geht. Außerdem kam nach der Ankündigung des DoE-Reviews "Spiderman 2" in die Kinos. Im Film geht es um einen Forscher, dem ein entsprechendes Experiment misslingt, was dazu führt, dass ihm vier mechanische Arme wachsen und er von nun an die Welt beherrschen will, wovon Spiderman ihn natürlich abhalten muss. In den älteren Filmen Außer Kontrolle und The Saint geht es jeweils um die Jagd nach der "Formel" für eine nie versiegende Energiequelle. Von den kürzlich veröffentlichten Artikeln verdient es einer, näher auf ihn einzugehen.
Kalte Fusion als Gefahr?
Das US-amerikanische Technikmagazin Popular Mechanics schrieb in seiner August-Ausgabe unter der Überschrift "Gefährliche Wissenschaft", die kalte Fusion mache sich einen Namen als "billiger Weg, Kernwaffen herzustellen"11:
Kalte-Fusions-Experiment in Japan haben gezeigt, dass es nicht nur möglich ist, Tritium herzustellen, das die zerstörerische Wirkung von Atomwaffen verstärkt, sondern auch angereichertes Uran. Uran kann Plutonium in Atombomben ersetzen, um Wasserstoffbomben zu zünden. Kalte Fusion könnte diese Bomben-Herstellungsverfahren potentiell ersetzen. (...) Die selben Tischexperimente, die der Menschheit den Traum unbegrenzter Energie erfüllen, könnten auch Ursache der größten Albträume sein: Selbstgemachte Wasserstoffbomben in der Hand von Terroristen, die die Zivilisation beenden wollen.
In der gleichen Ausgabe findet sich auch ein Artikel zum Comeback der heißen Fusion.12 Hauptquelle des Artikels zur kalten Fusion ist Dr. Eugene Mallove, der 1991 die Fälschung von Experimentaldaten am MIT öffentlich gemacht hat. Mallove war einer der Hauptkämpfer für die kalte Fusion und Herausgeber des Magazins Infinite Energy, bis er am 14. Mai 2004 von Unbekannt umgebracht wurde. Laut Presseberichten könnte es einen Zusammenhang mit weiteren Morden und Raubdelikten geben.13 Die zuständige Polizei von Norwich, Connecticut, hat seit Anfrage weiterer Details vor gut drei Wochen und mehrmaliger Nachfrage noch nicht geantwortet.
Zu Lebzeiten ist Mallove davon ausgegangen, Popular Mechanics (PM - nicht zu verwechseln mit dem deutschen Magazin PM) wolle sachlich über das Forschungsgebiet berichten. Seine Freunde, die Experimentatoren Alexandra und Dr. Paulo Correa, zitieren in ihrem offenem Brief an den PM-Autor Jim Wilson eine Mitteilung Malloves drei Tage vor dessen Tod14:
Gestern habe ich einen ganzen Tag mit Jim Wilson verbracht, dem Chefredakteur für Wissenschaft von Popular Mechanics, dem ehrwürdigen Magazin (erhältlich in 27 Ländern) mit einer geschätzten Auflage von 10.000.000 (...) Es sieht so aus, als würde Wilson vollkommen positiv im Sinn der aufkommenden Wissenschaft und Technologie berichten - inklusive der Transmutations-Phänomene, vielleicht auch der Radioaktivitäts-Änderungen, usw., und einer Schelte des US-Patentamts und des Betrugs am MIT.
Die Correas werfen Jim Wilson vor, Mallove posthum benutzt zu haben und das Gerücht zu verbreiten, durch kalte Fusion ließen sich Atomwaffen herstellen. Malloves größter Widersacher, Dr. Robert Park von der American Physical Society, der bis heute bestreitet, eine Kernfusion bei Raumtemperatur sei möglich, reagierte in seiner Kolumne auf die PM-Geschichte, er hätte Mallove für einen Kommentar nicht erreichen können.15 Was sind die Fakten abseits dieser Geschmacklosigkeit?
Änderung der Radioaktivität in Transmutations-Experimenten
Das Wasserstoff-Isotop Tritium wird in Wasserstoffbomben und sogenannten geboosteten Atombomben verwendet. Da die Hälfte eines Tritium-Vorrats in gut 12 Jahren jedoch zu Helium-3 zerfallen ist, muss Tritium-Nachschub bestehen, um ein Atomwaffenarsenal einsatzbereit zu halten. Da dem US-Militär der Nachschub an Tritium ausgehe, schrieb Popular Mechanics, könnte das DoE an kalter Fusion Interesse gefunden haben, weil sich damit der Tritium-Nachschub sichern lasse.
Erste PM-Behauptung: "Kalte-Fusions-Zellen könnten bei minimalem Aufwand und Kosten den Nachschub an benötigtem Tritium sichern." Dr. Edmund Storms, einer der bestinformierten Forscher auf dem Gebiet, schreibt16 dazu in seinem Review:
Es hat über 200 Versuche gegeben, Tritium zu messen, wovon in 24 dieses Produkt berichtet worden ist, manchmal in signifikanten Mengen, aber nicht so viel, dass es für die anomale Energie verantwortlich sein könnte. Offenbar ist die Tritium-produzierende Reaktion schwer zu initiieren.
Zweite PM-Behauptung: "Mallove sagte PM, dass zahlreiche kalte-Fusions-Experimente die Produktion von angereichertem Uran, Plutonium und Tritium erbracht haben." Wer Mallove kannte, weiß, dass er das nie gesagt hätte, weil es nicht den Tatsachen entspricht und Mallove diese immer genau genommen hatte. Eine der wenigen Experimente, in denen Uran überhaupt eine Rolle spielt, ist das bislang unbestätigte Experiment von Prof. John Dash (Portland State University, USA) und Dr. Dan Chicea (Lucian Blaga Universität, Rumänien). Die beiden Physiker haben leichtes (also normales) Wasser mit Elektroden aus fast reinem natürlichen Uran gespalten. Natürliches Uran besteht zu 99,3 Prozent aus dem Isotop Uran-238 und nur zu 0,7 Prozent aus Uran-235, das für Bomben und die meisten Kraftwerke benötigt wird. Nachdem durch Elektrolyse Wasserstoffkerne (Protonen) in die Uran-Folie geladen worden waren, maßen die Experimentatoren im Uran/Protonen-Komplex eine Zunahme von Uran-235 und das Entstehen von Thorium-234.17
Thorium-234 hat jeweils zwei Protonen und Neutronen weniger im Kern als Uran-238. Dash und Chicea interpretieren das Entstehen von Thorium-234 durch einen Alpha-Zerfall von Uran-238, bei dem ein Helium-Kern entsteht. Das Problem dabei: Uran-238 ist eigentlich sehr stabil. Dieses Experiment, aber auch andere, bei denen es offenbar zur Spaltung oder Umwandlung von Elementen (Transmutation) kommt, verdeutlichen, dass es nicht sinnvoll ist, das gesamte Forschungsgebiet als "kalte Fusion" zu bezeichnen. Das Experiment von Dash und Chicea ist eher "kalte Spaltung" - eine weitere anomale niederenergetische Kernreaktion in einer Metallumgebung. Als Oberbegriff für die neuen Reaktionen wird daher Low Energy Nuclear Reactions (LENR) verwendet (Zur Theorie der kalten Fusion).
Ein neuer Brutreaktor?
Um die Zunahme des spaltbaren Uran-235 zu erklären, bieten Dash und Chicea einen Reaktionsmechanismus an, wie er von der Urananreicherung in sogenannten Brutreaktoren bekannt ist.
Dash sagt, "es scheint, dass wir eine neue Art Brutreaktor entdeckt haben." Ähnlich dem kanadischen CANDU-Reaktor, der als einziger kommerziell erhältlicher Kernreaktor mit natürlichem Uran funktioniert, "könnte Uran-238 vielleicht verwendet werden, bis es endgültig zu Blei wird."
Zusammenfassend ist in dem Experiment kein spaltbares Uran "produziert" worden, denn Uran war auch das Ausgangselement. Auch ermögliche das Verfahren nicht die Herstellung waffenfähigen Plutoniums, "denn es ist nur eine kleine Anreicherung möglich, keine große Anreicherung, wie sie für eine Bombe notwendig ist." Auf den PM-Artikel ist Dash denkbar schlecht zu sprechen18: "Popular Mechanics hat ein sehr heikles Thema sensationalisiert. Das ist absolut unverantwortlich."
Prof. Akito Takahashi, der an der japanischen Universität von Osaka selber Transmutationen und LENR erforscht19, meint, erst einmal müsste das besagte Experiment erfolgreich wiederholt werden. Doch selbst in diesem Fall sei die Menge an Uran-235 oder Plutonium-239 "so gering, dass keine Gefahr besteht, dass Terroristen eine Bombe bauen. Dieses kann nur ein großes Land, von dem ich hoffe, dass es kein terroristisches Land ist."20
Eine Frage für die Politik
Alexandra und Paulo Correa werfen Popular Mechanics vor, effektiv für die Geheimhaltung der LENR-Forschung plädiert und der Wissenschaft einen Bärendienst erwiesen zu haben. Wenn schon ein Aspekt der Kernreaktionen bei Raumtemperatur ein Thema der nationalen Sicherheit sein sollte, "dann die Aussicht auf eine Technologie zur Energiegewinnung". Der Friedensforscher Michael Klare warnt, dass nicht der Terrorismus die größte Bedrohung der amerikanischen Sicherheit sei, sondern die Abhängigkeit von Ölimporten aus instabilen Ländern. Seit Januar ist der Ölpreis um 60 Prozent gestiegen. Mit Aufkommen einer neuen Energietechnologie ginge die Abhängigkeit vom Öl zurück. Die USA könnten ihre Truppen aus dem Nahen und Mittleren Osten zurückziehen und den islamistischen Terroristen die politische Argumentationsgrundlage entziehen.
Über zehn Prozent der Länder der Erde sind bei ihrer Trinkwasserversorgung von anderen Ländern abhängig. "Sogar Nationen mit genug eigenen Reserven haben ernste Verteilungsprobleme", schrieb der ehemalige Navy-Forscher David Nagel 2000 in seinem Aufsatz "Fusionsphysik und Philosophie". Mit grassierender Wasserknappheit und dem Rückgang der Ölförderung könnte die Entsalzung von Meerwasser und der Transport in wasserarme Regionen "eine sehr wichtige Anwendung der Energie" aus der kalten Fusion sein. Konflikte um Wasser könnten sich eventuell vermeiden lassen.21
Hinzu kommen Forschungsergebnisse die andeuten, dass durch LENR die Radioaktivität von Sondermüll verringert werden könnte.22 Ukrainische und russische Universitäten berichten sogar, bestimmte wachsende Bakterienkulturen würden radioaktive Isotope in Sondermüll aus Kernkraftwerken in stabile Isotope und andere harmlose chemische Elemente umwandeln.23
Gerade die Tatsache, dass die US Navy in den USA die meisten LENR-Forschungslabore finanziere, lasse laut den Correas wenig Raum für Zweifel, "dass [amerikanische] militärische Einrichtungen seit langem Interesse an der kalten Fusion und LENR haben." Tatsächlich hat die Navy ihre Forschung mit vorbildlicher Offenheit betrieben. Außerdem dürfte die amerikanische Politik durch die JASON-Gruppe und das regierungsnahe Hoover-Institut mindestens sporadisch über den Stand der Forschung informiert worden sein.24
Jetzt vor der US-Präsidentenwahl definieren beide Kandidaten auch die Wissenschaftspolitik, mit der sie die Wahl zu gewinnen denken. Beide nennen die Ziele, die Abhängigkeit von Ölimporten zu verringern und erneuerbare Energien zu fördern. Wenn John Kerry seinem Kontrahenten vorwirft, die Wissenschaft politisiert zu haben, weist George W. Bush auf die Ausweitung der Forschungsgelder hin.25 Erst im August hat das amerikanische Repräsentantenhaus beschlossen, dem Energieministerium nächstes Jahr gut eine sechstel Milliarde Dollar mehr für Grundlagenforschung zur Verfügung zu stellen, insgesamt 3,6 Milliarden Dollar.
Kerry wiederum betont häufig, alle Materialien zur Herstellung von Atomwaffen wie solche selber zu behandeln und überall auf der Welt sichern zu wollen. Dass hinsichtlich der kalten Fusion die Blicke über den Atlantik gerichtet bleiben, dafür sorgt etwa die deutsche Bundesregierung. Sie will ihr forschungspolitisches Handeln vom Ergebnis der DoE-Überprüfung abhängig machen.
Nächste Konferenz zur kalten Fusion
Es spricht alles dafür, dass es kalte Fusion und niederenergetische Kernreaktionen gibt. "Die tragende, noch offene Frage ist, ob dieses Phänomen hochskaliert werden kann, um eine kommerzielle Energiequelle zu werden", sagt Professor Nagel. Die Hoffnung liegt auf den Schultern einer verantwortungsvollen Politik, die Erforschung der LENR endlich in voller Breite zu beginnen, damit möglichst bald Anwendungen entstehen können.
Über "Auswirkungen der kalten Fusion auf unser Leben" wird es auch auf der elften Internationalen Konferenz über Condensed Matter Nuclear Science (ICCF11) gehen. Diese findet vom 31. Oktober bis zum 5. November im französischen Marseille statt. Hauptredner ist der Physik-Nobelpreisträger Josephson. Nachdem letztes Jahr gezeigt werden konnte, dass eine kalte-Fusions-Zelle transportiert und an einem anderen Ort trotzdem optimal betrieben werden kann26, soll auch dieses Jahr - von französischen Studenten - in einem Experiment die Produktion von Überschusswärme demonstriert werden. Der Tagungsleiter Prof. Jean Paul Biberian von der Universität Marseille erwartet, dass die Konferenz ein "Wendepunkt für die Anerkennung der Erforschung von Kernreaktionen bei niedrigen Energien als eigenständiges Forschungsgebiet" sein wird.