Die Rückkehr des Eisenzeitalters

Bild: © Warner Bros.

Feministische Mythologie: In "Mad Max - Fury Road" paaren sich Primitivismus und Technik, Evolution und Mutation

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Eine Eidechse mit zwei Köpfen - nur die erste Mutation in einem Kuriositätenkabinett von Film. Der Titelheld verspeist diese Kreatur gleich zu Beginn, während seine Stimme zu uns von den tiefsten Instinken des Lebens spricht: "Survive". "Mad Max" ist zurück, und der vierte Filmauftritt dieses Endzeithelden, der erste nach 30 Jahren, ist noch schneller und minimalistischer als seine Vorgänger: Purer Punk, ein Fest des Nihilismus, das sich nicht um Begründung schert. Waren die "Mad Max"-Filme der 1980er vergleichsweise lahm, so waren sie an Figurenvielfalt aber reichhaltiger.

Vom slowenischen Philosophen Slavoj Zizek stammt die provokative Einsicht, das Ende der Welt sei gegenwärtig leichter vorstellbar als das Ende des Kapitalismus. Wie eine Illustration dieser These wirkt nun "Mad Max - Fury Road". Der Film entwirft die nihilistische Utopie einer Welt, die nach dem Untergang aller Zivilisationen in eine Art Eisenzeitalter zurückgeworfen ist. Hier regieren Furcht, Eigensinn und die Akkumulation des wichtigsten Kapitals: Wasser.

Nimmermüde Perfektionsmaschinen

Es kracht. Es wummert. Es prügelt auf die Ohren. Der Kinosaal erzittert unter Heavy-Metal-Bässen - ohrenbetäubend laut dröhnen auch die Motoren von wild aussehenden, phantasievoll zusammengehämmerten Metallkarossen, in deren Innenleben offenbar nimmermüde Perfektionsmaschinen den Kompressoren-Takt schlagen.

Manche sehen aus wie Riesenigel auf Rädern, andere wie feuerspeiende Drachen oder wie mittelalterliche Kampfmaschinen. Und eine ähnelt einem eisernen Tyrannosaurus Rex, dessen Maul ein Bagger ist, der bei voller Fahrt mit scharfgeschliffenen Zähne bombentrichtergroße Löcher in die Fahrzeuge der Feinde reißt.

Diese Höllenfahrzeuge rasen in atemberaubenden, exzessiven Verfolgungsjagden zwei Stunden lang um die Wette - durch die Wüste einer postapokalyptisch kaputten Erde, in der das Wasser offenbar knapper ist als das Benzin.

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In diesen Fahrzeugen sitzen Leute, deren Outfit mit Ledernietenjacken und Tatoos, gepiercter und gebrandeter Haut, mal mit Glatze, mal mit Zottelhaar an Skinhead-Banden und Rocker-Gangs erinnert - Hell's Angels sind sie sowieso alle. Sie kämpfen um Ressourcen, vor allem Treibstoff, und träumen von einem imaginären "Grünen Land". Es ist eine wieder vollkommen analoge Welt, ohne Medien, dafür ölverschmiert, eine neue Eisenzeit mit lauter dampfenden, rostenden Maschinen.

"Mad Max" ist also zurück - 30 Jahre nach dem letzten Teil der Saga erlebte jetzt der vierte Teil des legendären australischen Kultspektakels 35 Jahre nach dem ersten "Mad Max" seine Weltpremiere auf dem Filmfestival von Cannes. Regisseur ist wieder George Miller

Exploitation-Unterleibskino

Wer einen "Mad Max" gesehen hat, kennt im Grunde alle und auch diesen - das ist schon mal eine erfreuliche Nachricht. Denn was wir da auf der Leinwand sehen, das erfüllt grundsätzlich alle Erwartungen, die man an einen Film wie diesen überhaupt hegen kann: visueller und emotionaler Exzeß, Unterleibskino und Exploitation, nahe an anderen Ausnahmezuständen unserer verwalteten Welt, wie wir sie aus der Faschingszeit, einem Abenteuerurlaub und dem Dschungelcamp-Fernsehen kennen.

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Die "Mad Max"-Filme sind eine Art Zukunftswestern, in dem statt der Reitpferde hochgetrimmte Autokarossen als Fortbewegungsmittel dienen. Aber es gelten die gleichen Gesetze: Männerposen, Überlebensinstinkt und das Faustrecht der Freiheit. Recht bekommt, wer schneller zieht und besser zielt. Ein Western aus der Hölle könnte man auch hinzufügen, denn diese Welt ist brutal und gnadenlos.

Amazonen-Kriegerinnen

Der Film beginnt mit dem Titelhelden, gespielt von dem blendend aussehenden, wie immer auch handwerklich überzeugenden britischen Darsteller Tom Hardy, der inzwischen längst als eine der neuen Darstellerhoffnungen des Hollywoodkinos gehandelt wird. Dieser neue Mad Max, der weicher und rätselhafter wirkt als einst Mel Gibson, wird irgendwo inmitten der australischen Wüste von einer Horde weißgeschminkter, glatzköpfiger Krieger gefangen und versklavt.

Wie sich herausstellt handelt es sich um eine Endzeitzivilisation, die irgendwann nach dem Weltuntergang in naher Zukunft auf dem Planeten überlebt hat, und ein archaisch-strenges Regiment errichtet hat - eine barbarische Despotie mit Autos, Stahlketten und Feuerwaffen.

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Dieses Volk haust in einer Zitadelle am Wüstenrand, eine Seuche und Wasserknappheit plagen das Volk, der Herrscher heißt "unsterblicher Joe". Er hat eine Totenschädelmaske, verschiedene Atem- und andere Schutzausstattungen gegen die Krankheit, die ihn offenbar von innen verzehrt, und wirkt wie ein Darth Vader der Steinzeit. Er hat auch gleich fünf Frauen, mit denen er einen Sohn und Erben zeugen will.

Diese fünf Frauen wirken mit ihren perfekten Model-Figuren in dieser Welt wie von einem anderen Stern gefallen oder zumindest die nächste Besetzung von "Germany's Next Topmodels", entwickeln aber bald erstaunliche Überlebens-Fähigkeiten.

Eines Tages fliehen sie, angeführt von einer rätselhaften Kriegerin namens Furiosa, die einst von einem Amazonen-Volk entführt wurde, und der Charlize Theron Tiefe und innere Abgründe verleiht. Diese Furiosa ist die eigentliche Heldin des Films. Die Imperatorin einer neuen Welt Ihr Matriarchat scheint dauerhafter als alle Männerherrschaft. So ist auch im machohaftesten Blockbuster der Feminismus angekommen.

Die Rückkehr des Eisenzeitalters (19 Bilder)

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Von nun an ist dieser Film nichts als eine rasende, permanente wilde Jagd - einmal hin und dann wieder zurück durch die Wüste. Dabei wird fortwährend gekämpft, es gibt nie Ruhe, sondern zu den Geschossen und Explosionen auch noch Sandstürme, Sümpfe und Salzwüsten zu überwinden. Zugleich dominiert eine subtile Dialektik des Zeigens und Verbergens: Man sieht immer viel, aber selten sieht man alles.

Karneval in der Posthistoire: Der mythologische Zugriff auf unser gegenwärtiges Zeitalter

In alldem ist "Mad Max - Fury Road" purer Karneval: Voller Freude am Überschuss findet man hier allerlei Elemente einer sehr direkten, vergnüglichen Volkskultur, die sich in diesem Film zur Gegenkultur weiterentwickelt hat: Eine anarchistische, aber nie todernste Herausforderung des "guten Geschmacks".

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Wir sehen etwa grotesk veränderte Körper, die mit Tatoos übersät sind, wir sehen fette nackte Weiber, die wie Milchkühe gemolken werden, wir sehen einen Liliputaner als so weisen wie boshaften Statthalter und Hofzwerg des Herrschers, kindliche Knaben als Wächter und glatzköpfige Albinos als Krieger. Das Volk haust verlottert im Schmutz, giert nach Wasser und Entertainment

"Mad Max" ist selbst solch' pures eskapistisches Entertainment und als solche sehr geglückt. Der Film ist aber auch, was man nicht wahrhaben will: ein mythologische Zugriff auf unser gegenwärtiges Zeitalter und subtile Diagnose unserer eigenen Posthistoire.

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Dieser Film hält uns den Spiegel vor, zeigt unsere eigenen verdrängten Gelüste und die Schmuddelvariante unserer Welt des neoliberalen, rasenden Stillstands. Unter den sanften, weichen, reinen Bedienoberflächen unserer schönen neuen Computerpad-Welt liegt liegt die harte eiserne Zukunft; der Rost des Eisenzeitalters à la "Mad Max".