Die Rückkehr zum Planet der Affen

Der Hominid erscheint im Miozän

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In der neuesten Ausgabe des Magazins Nature wird uns ein neuer Verwandter präsentiert, der vor 5,8 Millionen Jahren im Gebiet des heutigen Äthiopien gelebt hat

Die gefundenen Fossilien von Ardipithecus ramidus kaddaba (Foto: Nature)

Die Geschichte der menschlichen Evolution muss konstant überarbeitet werden. In jüngster Zeit haben einige neue Funde für Überraschungen gesorgt. In Kenia entdeckten Forscher den "Kenyanthropus platyops", der 3,2 bis 3,5 Millionen Jahre alt ist und eine neue Gattung darstellen könnte (Das Flachgesicht aus Kenia). Vergangenes Jahr machte der "Orrorin tugenensis", auch "Millenium Mensch" genannt viele Schlagzeilen, denn er soll ein Hominid und mindestens 6 Millionen Jahre alt sein. Nun stellt Yohannes Haile-Selassie von der University of California, Berkeley einen bisher unbekannten Hominiden, den "Ardipithecus ramidus kadabba" vor, der vor 5,2 - 5,8 Millionen auf Erden weilte. Dieses Alter ist durch eine Argon-Argon-Datierung der vulkanischen Gesteinsgeschichten und weitere vergleichende Methoden abgesichert.

Hominiden sind Mitglieder der Familie Hominidae (Menschenartige), die alle lebenden oder ausgestorbenen Lebewesen umfasst, die dem Homo sapiens (dem modernen Menschen) näher verwandt sind als dem Schimpansen. Der Schimpanse ist der nächste Verwandte des Menschen, wir teilen über 98% unserer Gene. Bisher wurde die evolutionäre Trennung zwischen menschlichen Vorfahren und diesem Menschenaffen vor höchstens 5 Millionen Jahre datiert. Nach den neuen Erkenntnissen muss diese Datierung geändert werden, möglicherweise um eine Million Jahre.

Die Klassifizierung der Hominiden ist bei einigen Paläoanthropologen inzwischen umstritten (genau wie die Einteilung der großen Menschenaffen), aber bisher ist die Bezeichnung Hominid noch gebräuchlich.

Die Überreste von Ardipithecus ramidus kadabba wurden in der Afar-Senke in Äthiopien entdeckt, wo auch die 3,2 Millionen Jahre alte "Lucy" (Australopithecus afarensis) einst gefunden wurde. In einem weiteren Artikel in Nature setzen sich Giday WoldeGabriel vom Los Alamos National Laboratory sowie Kollegen aus den USA und Äthiopien mit den geologischen und paläobiologischen Gegebenheiten der Afar-Senke im späten Miozän auseinander.

In dieser Zeit war das Gebiet mit vielen Erdbeben und Vulkanausbrüchen nicht gerade eine freundliche Umgebung, aber eindeutig ein feuchtes und bewaldetes Gebiet. Der "Millenium Mensch" lebte ebenfalls in einem seinerzeit bewaldeten Landstrich im heutigen Kenia. Wenn es sich als richtig erweist, dass die beiden tatsächlich Vormenschen sind, dann muss die bisherige Theorie, dass die Entwicklung der menschlichen Gattung durch Klimawandel in der Grassteppe begann, weil die offene Landschaft den aufrechten Gang prädestinierte (von wegen Überblick) revidiert werden. Es wäre dann wahrscheinlicher, dass frühe Hominiden in bewaldeten Gebieten entstanden und erst viel später, etwa vor 4,4, Millionen Jahren, in die Steppe hinauszogen. Das ist die Zeit des Australopithecus und sehr lange nachdem der gemeinsame Vorfahre von Schimpanse und Mensch lebte.

Giday WoldeGabriel zieht aus den Fakten den Schluss:

Wir zeigen hier, dass die frühesten Hominiden aus relativ feuchten und bewaldeten Umgebungen stammen, die von tektonischen, vulkanischen und geomorphen Prozessen moduliert wurden. (...) Diese Entdeckungen erfordern eine fundamentale Neueinschätzung der Modelle, die dem globalen Klimawandel und/oder dem Lebensraum Grasssteppe eine signifikante Rolle in den Herkunft der Hominiden einräumen.

Gefunden wurden von Haile-Selassie bis jetzt seit 1997 Fossilien des Ardipithecus ramidus kadabba. Es sind: ein Kieferknochen mit Zähnen, verschiedene Hand- und Fußknochen, Fragmente von Armknochen und ein Stück eines Schlüsselbeins. Aus diesen Fundstücken kann kein genaues anatomisches Bild des Hominiden gewonnen werden, da weder ein Schädel noch ein vollständiger Knochen eines Arms oder Beins darunter ist. Vermutlich waren diese Ardipithecus etwa so groß wie einen normaler Schimpanse, aber die hinteren Zähne sind größer und die Vorderzähne schmaler, was auf eine Ernährungsweise mit weniger Früchten oder weichen Blättern, aber mit mehr faseriger Nahrung schließen lässt. Die unteren Eckzähne und die oberen Premolaren zeigen Charakteristika, die Ardipithecus ramidus kadabba mit allen späteren Hominiden teilt, sie sind in ihrer Form deutlich verschieden von denen von Affen. Die Eckzähne beweisen nach Einschätzung von Haile-Selassie eindeutig, dass es sich um einen Hominiden handelt. Aus einem Zehenknochen schließt er, dass der neue frühe Vormensch sich auf dem Boden aufrecht bewegte.

Ardipithecus ramidus kadabba teilt viele Merkmale mit Ardipithecus ramidus, dem 4,4, Millionen Jahre alten Hominiden, der seit Anfang der 90er Jahre bekannt ist, auch in Äthiopien gefunden wurde und wissenschaftlich anerkannt ist. Da der neue Fund viel älter ist und zudem affenähnlichere Zähne aufweist, stellt er vorerst eine Subspezies dar. Haile-Selassie benannte ihn Ardipithecus ramidus kadabba. Kadabba ist ein Wort der Afar-Sprache und bedeutet "grundlegender Vorfahre der Familie". Sollte sich nach weiteren Funden herausstellen, dass der neue Hominid deutlich vom Ardipithecus ramidus verschieden ist, schlägt Haile-Selassie vor, ihn dann als eigene Spezies Ardipithecus kadabba zu nennen.

Die Einordnung des Fundes als Hominid ist für Haile-Selassie eindeutig. Ardipithecus ramidus kadabba ist nicht der Missing Link, sondern nach Meinung des Wissenschaftlers deutlich ein menschlicher Vorfahre. Und er ist - außer Orrorin tugenensis - der älteste bekannte Hominide. Haile-Selassie dazu:

Diese Fossilien sind ein starker Beweis, dass die Linien, die zu Schimpansen und Menschen führen, sich deutlich bereits vor 5 Millionen Jahren getrennt hatten.

Die Zähne und der Zeh, mit den für Zweibeiner typischen Form, beweisen nach seiner Einschätzung definitiv, dass Ardipithecus ramidus kadabba kein Vorfahre des Schimpansen ist. In seiner Einschätzung von Orrorin ist Haile-Selassie nicht sicher, ob es sich wirklich um einen Hominiden handelt, er meint, es könne sich auch um einen afrikanischen Hominiden ohne heute noch lebende Nachfahren, oder sogar um den frühesten Schimpansen bzw. einen ausgestorbenen Affen handeln.

Auf jeden Fall bestätigt Ardipithecus ramidus kadabba - wenn er wirklich ein Hominid ist - dass die Vorfahren des Menschen aus Afrika stammen.

In seinem Begleitartikel "Return to the planet of the apes" ist sich der Natur-Herausgeber Henry Gee nicht sicher, wie Ardipithecus ramidus kadabba eingeordnet werden soll. Er stellt die Frage, ob der aufrechte Gang, die Zweibeinigkeit, als Fortbewegungsart wirklich ein ausschlaggebendes Indiz für einen Hominiden darstellt. Bisher war das ein klassifizierender Faktor, aber könnten nicht auch ausgestorbene Affenarten sich zumindest überwiegend auf zwei Beinen bewegt haben? Und er gibt zu bedenken, dass Funde früher Hominiden sehr selten sind, bisher aber überhaupt keine Fossilien von Vorfahren der Schimpansen entdeckt wurden. Die beiden neuen Funde angeblich sehr alter Hominiden sind noch kein unumstrittener Beweis. So wie Haile-Selassie bezweifelt, dass Orrorin tugenensis ein eindeutiger Hominid ist, so bezweifeln auch dessen Entdeckerin Brigitte Senut vom Muséum National d'Histoire Naturelle und ihre Kollegen, dass Ardipithecus ramidus kadabba eindeutig ein Hominid ist.

Bisher sind die evolutionären Beziehungen zwischen Menschen und Schimpansen noch im Dunkeln. Erst weitere Funde werden mehr Gewissheit bringen.