Die Solidarität in den Zeiten des Coronavirus
Während die EU versagt und die Trump-Führung an sich selbst denkt, leisten die Chinesen Hilfe. Das wird vielen in Erinnerung bleiben
Die pandemische Verbreitung des 2019-nCo-Virus offenbart schon jetzt ganz neue Dimensionen der internationalen Zusammenarbeit, der Solidarität und Entsolidarisierung. Die Mitgliedsstaaten der ohnehin angeschlagenen Europäischen Union scheinen zur gegenseitigen Hilfe unfähig. Ungeachtet von Hilfsappellen der Europäischen Kommission schließen EU-Staaten ihre Grenzen und schotten ihre Märkte ab. Die US-Regierung will derweil wissenschaftliche Ressourcen aufkaufen. Und die Chinesen springen in Südeuropa ein.
Ende der Woche hatte China propagandawirksam ein medizinisches Team nach Italien geschickt, um die dortigen Kollegen bei der Eindämmung der Atemwegserkrankung Covid-19 zu unterstützen, so Geng Shuang, ein Sprecher des Außenministeriums in Beijing. Geng informierte auf einer Pressekonferenz, die Expertengruppe sei aus Shanghai aufgebrochen, um mit medizinischen Schutzmaterialien und Intensivpflegegeräten nach Rom zu fliegen. Insgesamt sollen mehr als 30 Tonnen Hilfsmaterialen in die italienische Hauptstadt verbracht worden sein.
Nach Angaben der staatlichen chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua ist die Lieferung für Italien und Spanien vorgesehen, die beiden derzeit am stärksten betroffenen südeuropäischen Länder. 1,8 Millionen Atemschutzmasken seien mit einem Charterflug in Rom angekommen. Am Internationalen Flughafen Rom-Fiumicino wurden zudem 700 Geräte entladen, darunter 30 intensivmedizinische OP-Ausstattungen, inklusive Beatmungsgeräte. Organisiert wurde die Aktion von der Nationalen Gesundheitskommission der Volksrepublik und dem Chinesischen Roten Kreuz. Zuvor bereits hatte China entsprechende Teams in den Irak und den Iran entsendet.
Auch mit europäischen Ländern habe Beijing seit dem Ausbruch der Epidemie eng zusammengearbeitet, sagte Außenamtssprecher Geng. Er verwies auf die Gründung einer gemeinsamen Expertengruppe, die sich aus Beamten der Nationalen Gesundheitskommission Chinas, des chinesischen Zentrums für Seuchenbekämpfung und -prävention, der Generaldirektion für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit der Europäischen Kommission und des Europäischen Zentrums für Seuchenbekämpfung und -kontrolle zusammensetzt.
Enttäuschung über Europa
"Die Gruppe hielt gestern ihre dritte Videokonferenz ab und tauschte sich über die Pandemielage, Präventions- und Eindämmungsmaßnahmen sowie Diagnose und Screening aus", so Geng bei der Pressekonferenz. Man strebe den verstärkten Austausch von Erfahrungen und Technologien an, um die Krankheit gemeinsam zu besiegen und die globale Gesundheit zu schützen". Dem Außenamtssprecher zufolge sind Solidarität und internationale Zusammenarbeit angesichts der Epidemie von entscheidender Bedeutung. China sei bereit, die Zusammenarbeit mit der europäischen Seite in Bereichen wie Diagnose, Behandlungstechnologie und Forschung über Medikamente und Impfstoffe weiter auszubauen.
Geng führte auch ein offenbar fälschlicherweise dem römischen Philosophen Seneca zugeschriebenes Zitat an: "Wir sind Wellen desselben Meeres, Blätter desselben Baumes und Blumen desselben Gartens." Dieser Aphorismus war auch auf Hilfsgütern des chinesischen Elektronikkonzerns Xiaomi an den italienischen Zivilschutz zu lesen.
Das chinesische Engagement wird politisch nicht ohne Wirkung bleiben. Die Hilfe sei "unerwartet" gekommen, schrieb der Präsident der Region Ligurien, Giovani Toti, auf Facebook: "Danke an euch, dass ihr zuerst den Notfall bewältigt habt und dass ihr jetzt, wo ihr diesen Kampf gewinnt, nicht zögert, uns die Hand zu reichen. Wenn alles vorbei ist, werden wir uns daran erinnern, wer da war ...und wer nicht da war." In einem weiteren Posting wird der Mitte-Rechts-Politiker deutlicher: "Amerika, China ... und Europa? Brüssel, wo bist du? (...) Von einem Europäer, mit Bedauern...", schreibt Toti unter dem Bild eines Tweets von US-Präsident Donald Trump. Der hatte mit dem Kommentar "The United States loves Italy!" das Video einer Kunstflugstaffel gepostet, die mit Showrauch die Farben der Tricolore bildet.
Deutschland und Frankreich bunkern medizinische Güter
Italien ist der von der 2019-nCoV-Pandemie derzeit am stärksten betroffene EU-Mitgliedsstaat. Nach offiziellen Angaben gibt es dort bislang mehr als 15.000 Infektionsfälle bei stark steigender Tendenz. Über tausend Menschen sind bereits an der durch das Virus ausgelösten Krankheit Covid-19 gestorben. Europa bleibt gegenüber den Hilferufen aus Rom indes gleichgültig. Mehr noch: Schon jetzt ist ein offener Konflikt um Ressourcen ausgebrochen.
Die EU-Kommission hat Deutschland und die weiteren Mitgliedstaaten der Union daher nachdrücklich aufgefordert, den italienischen Behörden Hilfe zukommen zu lassen. Zuvor war ein entsprechendes Gesuch aus Rom ohne nennenswerte Reaktion geblieben. Man müsse nun endlich auf die Bitte Italiens nach Lieferungen von Schutzausrüstung und medizinischen Apparaten reagieren, so EU-Industriekommissar Thierry Breton. Er hatte zuvor offenbar ergebnislos mit Gesundheitsministern der Mitgliedsstaaten konferiert. Breton verwies darauf, dass in Italien vor allem Beatmungsgeräte gebraucht würden.
Der EU-Kommissar kritisierte zugleich explizit Exportverbote für medizinische Schutzausrüstung wie Schutzkleidung, Atemschutzmasken, Handschuhe und weitere medizinische Ausrüstung. Ein solches Ausfuhrverbot hatte unlängst der Krisenstab der Bundesregierung beschlossen, nachdem die französische Regierung entsprechende Güter hatte beschlagnahmen lassen.
"Wir müssen verhindern, dass die Lieferung des Schutzmaterials zu denen, die es überall in Europa benötigen, unterbrochen wird", zitiert die französische Nachrichtenagentur AFP Breton: "Die europäische Solidarität und unsere Gesundheitssysteme stehen auf dem Spiel." Die Europäische Kommission müsse daher umgehend die Frage von Exportverboten und anderen Handelsbeschränkungen angehen, so der Franzose mit Blick auf sein Heimatland und Deutschland. Zugleich verwies er auf die Kurzsichtigkeit beim Erlass von Exportsperren. Die Schwere der Pandemie, die heute in Italien zu beobachten ist, könne morgen andere Staaten Europas treffen. Man müsse sich daher auf Solidarität verlassen können.
Trump will Impfstoff aufkaufen, Bundesregierung hilflos
Während sich US-Präsident Trump gegenüber Italien verbal solidarisch gab, versucht seine Regierung nach allen Kräften, die eigenen Interessen zu wahren. Nach einem Bericht der Welt am Sonntag ist es deswegen zu einer wirtschaftspolitischen Auseinandersetzung zwischen Deutschland und den USA gekommen. Dem Blatt zufolge versucht Trump, Wissenschaftler des Tübinger Pharmaunternehmens Curevac, die an einem potenziellen Corona-Impfstoff arbeiten, mit einem hohen finanziellen Aufwand in die USA zu locken. Ziel sei offenbar, einen möglichen Impfstoff exklusiv für die USA zu sichern. Entsprechende Kontakte zu höchster US-Ebene hatte das Pharmaunternehmen bereits am 3. März öffentlich gemacht.
Brisant ist das US-Manöver, weil Curevac im Zuge einer privat-öffentlichen Partnerschaft mit dem bundeseigenen Paul-Ehrlich-Institut an der Herstellung eines Impfstoffs gegen das neuartige Coronavirus arbeitet. Das Unternehmen nutzt also staatliche Ressourcen, um die wissenschaftlichen Ergebnisse nun womöglich an die USA zu verkaufen. Der Fall bestätigt inmitten einer erheblichen Krisensituation Kritiker privat-öffentlichen Partnerschaften, die - gerade um eine solche Privatisierung staatlich finanzierter Forschungsanstrengungen zu verhindern - wiederholt Vertragsklauseln gefordert hatten, die dem Staat im Zweifels- oder eben im Notfall ein Vorzugsrecht einräumen.
Weil dies nie geschehen ist, reagiert die Bundesregierung nun entsprechend hilflos. "Die Bundesregierung ist sehr daran interessiert, dass Impf- und Wirkstoffe gegen das neuartige Corona-Virus auch in Deutschland und in Europa entwickelt werden", zitiert die Welt am Sonntag einen Sprecher des Gesundheitsministeriums. Man stehe daher in einem "intensivem Austausch mit der Firma Curevac".
Für Aufatmen sorgte dann der zuletzt im Profifußball massiv in die Kritik geratene Investor Dietmar Hopp als Hauptanteilseigner von Curevac. Hopp erteilte einem Verkauf von Forschungsergebnissen an die USA eine Absage. Zuvor war Curevac-Chef Daniel Menichella – eine Woche nach seinem Treffen mit US-Präsident Trump und Vize Mike Pence in Washington – ohne weitere Angaben von Gründen abgelöst worden. Den CEO-Posten nimmt nun wieder Firmengründer Ingmar Hoerr ein.
In diesem Fall ist der Abkaufversuch also noch einmal glimpflich ausgegangen, eine exklusive Nutzung durch einen Staat scheint ausgeschlossen. Die Debatte um den staatlichen Zugriff auf Schlüsselindustrien und Ergebnisse aus Public-Private-Partnerships dürfte dieses Intermezzo aber befeuern.