Die Spätaussiedler schlagen zurück
Wie deutsche Spätaussiedler um ihre ehemaligen Grundstücke in Masuren kämpfen und damit der extremen polnischen Rechten zuarbeiten
Etliche Haus- und Hofbesitzer in der polnischen Wojowodschaft Warmia i Masury, dem ehemaligen Ostpreußen, plagt derzeit wieder die polnische Urangst vor dem deutschen „Drang nach Osten“. Die deutschen Vorbesitzer ihrer Grundstücke und Immobilien gehen in letzter Zeit dazu über, ihr ehemaliges Eigentum vor polnischen Gerichten einzuklagen – und sie erhalten recht. Im polnischen Dörfchen Narty müssen die ersten polnischen Familien ihre Häuser verlassen, weil ein Gericht den vormaligen Besitzern die Immobilien wieder übertrug. Inzwischen sind fünf Familien akut von einer Hausräumung bedroht.
Was sich anhört wie der feuchte Traum der in der Preußischen Treuhand organisierten Revanchisten vom Schlage eines Rudi Pawelka, ist eher der kompletten Umformung des polnischen Rechtsystems im Zuge der Systemtransformation nach 1989 geschuldet. Bei den Klägern handelt es sich um so genannte „Spätaussiedler“: Das sind zumeist in den 70ern oder 80er des vorigen Jahrhunderts aus Polen emigrierte Menschen, die von der BRD aufgrund ihrer rassischen „Abstammung“ als Deutsche deklariert wurden.
Besinnung auf „Deutsche Wurzeln“
Insbesondere nach dem Zusammenbruch der kreditfinanzierten Wirtschaftsstrategie der „Importierten Modernisierung“ um 1975 waren viele Bürger Polens bemüht, in ihren Ahnenreihen deutsche Vorfahren aufzustöbern, um der um sich greifenden Wirtschaftskrise in der Volkrepublik zu entkommen. Die Bundesregierung nahm diese Spätaussiedler während des Kalten Krieges auch aus propagandistischen Gründen mit offenen Armen auf. Überdies fand vor allem die CDU in dieser Immigrantengruppe eine dankbare und treue Wählerschaft. Viele Spätaussiedler erhielten im Rahmen des Lastenausgleichsgesetzes großzügige Entschädigungen für die in Polen zurückgelassenen Immobilien. In Masuren kursierte damals der Witz, dass man nur einen deutschen Schäferhund sein eigen nennen müsse, um „Heim in Reich“ fahren zu können. Seit den 50ern haben eine Million polnischer Bürger ihr Land als Spätaussiedler in Richtung Deutschland verlassen.
Die meisten Immobilien dieser Auswanderer wurden im Rahmen des damals geltenden Rechts und der entsprechenden bilateralen Übereinkünfte zwischen der BRD und Polen vom polnischen Staat übernommen oder zu niedrigen Preisen aufgekauft. Viele Häuser und kleinere Höfe verkaufte der polnische Staat dann wieder an Privatpersonen, größere Betriebe wurden hingegen oftmals in staatlicher Regie weitergeführt. Nach dem Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus verblieben die zuvor schon von Privatpersonen erworbenen Immobilien in deren Besitz, die im Staatsbesitz übergegangenen Grundstücke und Betriebe wurden hingegen privatisiert.
Transformationschaos
Während der stürmisch und chaotisch in Polen verlaufenden Systemtransformation, die natürlich auch eine umfassende Reform des gesamten Rechtssystems mit sich brachte, wurde offenbar nicht in allen Ortschaften der Aktualisierung der Grundbücher besondere Aufmerksamkeit zuteil. Die nun in bereits über 200 Verfahren klagenden Spätaussiedler berufen sich auf diese uralten Einträge in den Grundbüchern ihrer ehemaligen Heimatgemeinden, in denen teilweise noch ihre Namen vermerkt sind.
Im Fall der von einer Zwangsräumung betroffenen Familie im Dörfchen Narty emigrierte die deutsche Vorbesitzerin bereits 1977 nach Deutschland, wobei ihre Immobilie an den polnischen Staat fiel, der sie an die jetzigen Besitzer verkaufte. Die Spätaussiedlerin erhielt im Rahmen des Lastenausgleichsgesetzes eine Entschädigung für ihren Besitzverlust von der BRD, die sie aber inzwischen zurückzahlte und sich stattdessen entschloss, vor polnischen Gerichten auf Eigentumsrückgabe zu klagen. Die derzeitigen Bewohner müssen nun bis 2008 ihr Haus verlassen, es soll nach dem Willen der neualten Eigentümerin abgerissen werden.
Allein in dem Landkreis Jedwabno, in dem das Dörfchen Narty liegt, sind an die 60 Klagen mit Rückgabeforderungen von Spätaussiedlern vor Gerichten anhängig, wie der Landkreisvorsteher Wlodzimierz Budneg gegenüber der Tageszeitung Rzeczpospolita erklärte.
Chance für Polens Rechte
Diese Auseinandersetzungen um Besitztitel in den ehemals deutschen Gebieten Polens kommen der mit fallenden Popularitätswerten kämpfenden, um ihren erneuten Einzug ins Parlament besorgten polnischen Rechten gerade recht. Die rechtsextreme „Liga der Polnischen Familien“ (LPR) mobilisiert die öffentliche Meinung gegen die Welle an Rückgabeforderungen deutscher Spätaussiedler. Der LPR-Politiker und Vizemarschall des Polnischen Sejm, Janusz Dobrosz, bezeichnete die bisherigen Gerichtsurteile polnischer Gerichte als „schändlich“ und gegen die „polnischen Interessen gerichtet“.
Der Vorsitzende der LPR, Polens Bildungsminister Roman Giertych, reiste persönlich zu der betroffenen Familie, um ihr seine Unterstützung anzubieten. Giertychs Stellvertreter Miros?aw Orzechowski (LPR) sprach gegenüber den Medien von einem erneuten Westerplatte, das sich in Narty zugetragen haben soll. Laut der LPR sollen auf allen von deutschen Rückgabeforderungen bedrohten Grundstücken polnische Fahnen gehisst werden. Zudem kündigten die Morgenluft witternden Rechten an, sich um „komplexe rechtliche Lösungen“ dieses Problems zu kümmern.
Als Sofortmaßnahme überwies die polnische Regierung Finanzmittel nach Olsztyn, die Hauptstadt der Wojowodschaft Warmia i Mazury, um die Grundbücher in dieser Region möglichst schnell zu aktualisieren, also die Namen der deutschen Vorbesitzer aus ihnen zu tilgen. Das polnische Finanzministerium erklärte auf Nachfrage der LPR überdies, dass keine Entschädigungen für Spätaussiedler vorgesehen sind, die gemäß der damals geltenden Rechtsvorschriften ausgewandert sind. Zugleich mussten Regierungsstellen aber einräumen, die genaue Anzahl der von deutschen Rückgabeforderungen bedrohten Immobilien und Grundstücke nicht ermitteln zu können.
Laut einem Bericht der Rzeczpospolita soll mittelfristig eine großangelegte "Durchforstung aller Grundbücher auf den Territorium der Wiedergewonnenen Gebiete stattfinden". Wie der polnische Europaparlamentsabgeordneten Boguslaw Rogalski sagte, sind zum Beispiel in der Wojowodschaft Oppeln nur 19 Prozent aller Grundbücher aktualisiert, in anderen Regionen solle es nicht besser aussehen.
Die LPR macht zudem die derzeitige deutsche Regierung für die entstandene Situation verantwortlich, da die deutsche Politik und das deutsche Rechtssystem die Spätaussiedler zum Kampf um ihre ehemaligen Besitztümer in Polen ermuntere. Anfang Juli forderte Polens Außenministerin schließlich Deutschland erneut auf, einen völkerrechtlich verbindlichen, bilateralen Vertrag abzuschließen, der jegliche Rückgabe- oder Entschädigungsforderungen deutscher Bürger gegenüber der Republik Polen oder polnischen Bürgern einer juristischen Grundlage entziehen würde. Bislang verweigert Berlin ein solches, schon mehrmals von Warschau gefordertes Abkommen hartnäckig.