Die Stimmen der Revolutionäre

Tim O'Reillys Open Sources

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Open Source soll Wirtschaft und Gesellschaft grundlegend verändern. Doch bevor es richtig losgeht, liegt die erste Bestandsaufnahme der jungen Revolution bereits mit dem Buch "Open Sources" aus dem O'Reilly-Verlag vor. Der Philosophie der Offenheit getreu, können die Essays nun auch im Volltext im Web gelesen werden.

Tim O'Reilly ist einer der wichtigsten Drahtzieher hinter der Open-Source-Bewegung: Im Frühjahr 1997 führte der aus Irland stammende und inzwischen in Kalifornien beheimatete Verleger, der sich einen Namen mit seinen Hardcore-Technik-Computerhandbüchern für (Möchtegern-) Programmierer gemacht hat, eine illustre "Hackergruppe" zusammen, darunter Eric Raymond, der Autor des "Hacker Dictionary", Brian Behlendorf, der Leitende Entwickler der sich inzwischen zur Apache Software Foundation gemauserten Apache-Webserver-Group, und Larry Augustin, der Chef von VA Research, einem Linux-Startup "powered by Intel" und reichlich Venture-Kapital.

Schnell waren sich die "Verschwörer" einig, daß die bisher vor allem von Richard Stallman, dem alten Softwareguru von der Ostküste, propagierte Idee der Freien Software zwar ihre Stärken hat, wegen ihres anti-kommerziellen Tons in einer Zeit, in der zahlreiche Firmen an die Neue (Software-) Ökonomie und an die alte Geschäftsprozesse umwandelnde Kraft des Internet glauben, allerdings leicht als "anstößig", und damit das Kapital abstoßend, empfunden werden könnte. Eine Marketingkampagne, die den Unternehmen die Businessfreundlichkeit der offenen Softwareentwicklung schmackhaft machen würde, mußte her. Kernbestandteil der neuen Philosophie, so die Drahtzieher in Kalifornien, sollte ein neuer Name für die Bewegung und ihre Software sein: Open Source war geboren und einige Richtlinien, was darunter zu verstehen sei, rasch ins Web gesetzt.

Zwei Jahre später ist die Open-Source-Manie in der Computerindustrie kaum noch zu stoppen. "Das Fieber nach dem Goldrausch, das sich in der überhitzten High-Tech-Ökonomie so leicht entfachen läßt, ist wieder am Aufleben", schreibt Andrew Leonhard in Wired. Kaum ein Tag vergehe, an dem nicht irgendeine Firma unter dem entsprechenden Jubel der Presse erkläre, daß sie "auf Open Source mache." Es scheint, daß den "Marketingexperten" rund um Raymond und O'Reilly tatsächlich ein genialer Schachzug gelungen ist.

Bei allem Hype wird so auch schnell übertüncht, daß die Szene selbst seit dem ersten "Open-Source-Gipfel" in zwei sich feindlich beäugende und sich immer wieder regelrecht beschimpfende Lager auseinandergebrochen ist, die sich entlang der "Kapitalismuslinie" befehden. Dabei heißt es nicht nur immer Raymond versus Stallman. Auch Bruce Perens, Mitbegründer der Open Source Initiative und Leiter des Debian-Projekts, einer der ersten (nicht-kommerziellen) Distributionsplattformen für Linux, hat sich im Februar von Raymond und dessen unverhohlener "Beratertätigkeit" für die Industrie distanziert. Der "Flame-War", der zwischen beiden daraufhin ausgebrochen war, gelangte an mehrere Programmierer-Mailinglisten und machte auch in Wired News Schlagzeilen.

If you ever again behave like that kind of disruptive asshole in public, insult me, and jeopardize the interests of our entire tribe, I'll take it just as personally -- and I will find a way to make you regret it. ... Watch your step.

Eric Raymond in einer Email an Bruce Perens

Von den Grabenkämpfen innerhalb der Szene ist in der ersten Bestandsaufnahme der Open-Source-Bewegung, die O'Reilly im Januar mit "Open Sources" vorgelegt hat, zunächst wenig zu spüren. Die 14 Essays lesen sich wie ein "Who is Who" im Spiel mit den offenen Quellen. Wie der Untertitel - Voices from the Open Source Revolution - schon sagt, geht es nicht nur um die Selbstbeweihräucherung, sondern auch um die Festschreibung des revolutionären Charakters der Softwarebewegung. Im Vorwort ziehen die Herausgeber deshalb selbstbewußt Bilanz: "Wir haben ein Stadium erreicht, in dem eine ganze Generation von Studenten, die Informatik unter dem Einfluß von GNU gelernt haben, jetzt in der Industrie arbeitet. Dabei haben sie freie Software seit Jahren durch die Hintertüren in die Unternehmen gebracht ... Die Revolutionäre haben Stellung bezogen." Besonders groß ist die Freude, weil sich Open Source als Businessmodell durchgesetzt hat, und zwar nicht, weil die neue Programmiergeneration ihre altruistischen Motive zu verwirklichen suche, sondern um "besseren Code in ihre Arbeit einzubringen."

Den Wurzeln der Bewegung zollen die Herausgeber durchaus Respekt: Richard Stallman, der missionarische Programmierer von Free-Software-Klassikern wie GNU Emacs und dem GNU C Compiler, wird keineswegs vergessen, er darf seine Warnungen vor der großen Kommerzialisierung sogar selbst in das Buch einbringen: "Vorsicht - viele Firmen, die sich mit dem Begriff ‚Open Source' in Verbindung bringen, bauen ihr Geschäft auf nicht-freie Software, die mit freier Software zusammenspielt. Das sind aber keine freien Softwarefirmen, sondern proprietäre Softwarefirmen, deren Produkte Nutzer von der Freiheit weglocken. Sie nennen ihre Produkte "mehrwertbasiert". ... Wenn wir die Freiheit aber höher einschätzen [als die Bequemlichkeit], sollen wir sie als ‚freiheitsentziehende' Produkte bezeichnen." Wichtige freie Software entstehe auch nicht, weil ein Programmierer ein persönliches Wehwehchen heilen wolle, sondern sie sei angelegt in einer Vision, einem langfristigen Plan.

The rhetoric of "Open Source" focuses on the potential to make high quality, powerful software, but shuns the idea of freedom, community, and principle.

Richard Stallman in "Open Sources"

Eingebettet sind Stallmans Beschwörungen des alten "Hackergeistes" allerdings in gleich zwei Essays Raymonds, in denen er die neue Linie begründet und beschreibt: "Im Rückblick erschien es uns klar, daß der Begriff ‚freie Software' unserer Bewegung über die Jahre hinweg großen Schaden zugefügt hat." Das läge zum einen der Doppeldeutigkeit des Begriffs, der nicht nur - wie von Stallman intendiert - Assoziationen an freie Meinungsäußerung wachrufe, sondern auch an Freibier. Schlimmer sei aber noch gewesen, daß der Begriff sehr stark mit einer gewissen "Feindlichkeit gegenüber intellektuellen Eigentumsrechten, mit Kommunismus und anderen Ideen" in Verbindung gebracht werde, die keinem IT-Manager in einem Unternehmen schmackhaft zu machen seien. Die Aufgabe der Open-Source-Anführer sei es deswegen gewesen, "das Produkt neu zu positionieren" und nach dem Image-Make-Over die "Fortune-500-Firmen" von den Vorteilen der offenen Softwareproduktion - verläßlicherer Code, gemeinsame Fehlersuche, kostengünstigere und stabilere Produkte etc. - zu überzeugen.

Das Buch erschöpft sich glücklicherweise nicht in der Darstellung der Promotionsarbeit Raymonds und dem Abgesang auf Stallmans Freiheitsphilosophie. Für Praktiker findet sich in einem Artikel von Bruce Perens nicht nur eine ausführliche Definition von Open Source, sondern auch ein Vergleich unterschiedlicher Lizensierungsmöglichkeiten. Die Palette reicht inzwischen von der "klassichen" GNU General Public License (GPL) über die im Rahmen des inzwischen weitgehend gescheiterten Mozilla-Projekts zur Entwicklung eines Open-Source-Browsers von Netscape entstandene Lizenz (Mozilla Public License) bis hin zu verschiedenen, auf Unix- und Serverprojekten basierenden Lizenzen (Berkeley System Distribution Licence oder Apache Licenses). Gemeinsam ist ihnen, daß den Nutzern die unterschiedlichsten Rechte für die Abänderung und Weiterverarbeitung der so "geschützten" Software erwachsen. Teilweise wird dabei - wie bei der einem politischen Manifest nahekommenden GNU GPL - vorgeschrieben, daß Modifikationen an der Software wieder offen zugänglich gemacht werden müssen. Andere Varianten gestatten es, Erweiterungen kommerziell selbst weiterzuverkaufen.

The Open Source Definition is a bill of rights for the computer user.

Bruce Perens in Open Sources

Natürlich darf in einem Buch über die Open-Source-Revolution auch der eigentlich Poster-Boy der Bewegung nicht fehlen. Linus Torvalds beschreibt in seinem Beitrag über "The Linux Edge", wie er das "Projekt Linux" mit seinen unzähligen Co-Entwicklern unter Kontrolle hält. Dabei sei es unter anderem sehr wichtig, "nur ganz vorsichtig neuen Code und neue Features in den Kernel", das Herz des Betriebssystems zu integrieren. Den Streit um die eigentlichen Interfaces, den Schnittstellen zwischen dem Nutzer und dem eigentlichen Operating System, solle man deswegen ruhig anderen überlassen. Nicht zu vermeiden oder sogar wünschenswert sei dagegen der modulare Aufbau eines Open-Source-Projekts, damit möglichst viele Entwickler gleichzeitig daran arbeiten können. Und da käme wieder die GNU GPL ins Spiel, die dafür Rechnung trage, daß alle Arbeit, die aus einem Linux-Projekt stammt, auch wieder unter der GPL veröffentlicht werden muß und so reintegriert werden kann.

The power of Linux is as much about the community of cooperation behind it as the code itself. If Linux were hijacked - if someone attempted to make and distribute a proprietary version - the appeal of Linux, which is essentially the open-source development model, would be lost for that proprietary version.

Linus Torvalds in Open Sources

Abgerundet wird der Revolutionsrückblick nicht nur mit zahlreichen Beschreibungen, wie sich Open-Source-Modelle wirtschaftlich nutzen lassen, sondern auch von tiefen Einsichten in die Kunst des Programmierens. Larry Wall, der Erfinder der Skriptsprache Perl, geht den "Weisheiten" der Programmierer-Community nach und erklärt, warum "es immer mehr als einen Weg zum Ziel gibt" beim Erstellen von Code oder warum die größten Tugenden eines Entwicklers "Faulheit, Ungeduld und Hybris" sind. Ein Essay, dem man die Verzücktheit des inzwischen zum O'Reilly-Clan gehörenden Autors angesichts der Ästhetik des Programmierens deutlich anmerkt.

The yinyang represents a dualistic philosophy, much like The Force in Star Wars. You know, how is The Force like duct tape? Answer: it has a light side, a dark side, and it holds the universe together. I'm not a dualist myself, because I believe the light is stronger than darkness. Nevertheless, the concept of balanced forces is useful at times, especially to engineers.

Larry Wall in Open Sources

Was wäre ein Buch über die offenen Quellen und ihre Wurzeln im Freigeist des Internet, wenn es nicht selbst die Karten und Inhalte offenlegen würde? Daß Tim O'Reilly es ernst meint mit der neuen Offenheit, hat er damit bewiesen, daß das Buch seit kurzem auch im Web frei verfügbar ist. Man glaube an die "leichte Verbreitung von Informationen über das Internet" und habe sich deswegen zu diesem verlegeruntypischen Schritt entschlossen, erklärte O'Reilly anläßlich der "Veröffentlichung" des Werks im Netz. Unter eine Open-Source-Lizenz, die eine Veränderung und Fortschreibung der Texte möglich gemacht hätte, wollte der Verleger das Buch dann aber doch nicht stellen: "Anders als bei Computer-Source-Code ist es nicht unbedingt zu begrüßen, wenn die Leute das primäre Quellenmaterial ändern."

Chris DiBona, Sam Ockham, Mark Stone (1999) (Eds.): Open Sources. Voices from the Open Source Revolution. Sebastopol et al. (O'Reilly), 280 Seiten.