"Die Stromversorgung ist massiv gefährdet"

Seite 2: "Die Energiepolitik bedarf dringend der Korrektur"

Wie könnten sich Mobilität und Wärmemarkt entwickeln?

Henrik Paulitz: Wenn in den Städten Kohle-Heizkraftwerke stillgelegt werden oder - wegen politischer Widerstände - eine Umstellung der Anlagen auf Erdgas misslingen würde, dann wären Millionen Haushalte ohne Fernwärme, sie wären ohne Raumwärme und Warmwasserversorgung. Wenn Öl- und Gasheizungen verboten werden würden, wie es zum Teil schon beschlossen und zum Teil gefordert wird, dann wären die Bürger gezwungen, auf Elektroheizungen und Elektrowärmepumpen umzusteigen, ohne dass der dafür benötigte Strom zuverlässig bereitgestellt werden kann.

Die Bürger wären vielfach ohne Heizung und Warmwasserversorgung. Wenn wie gefordert Verbrennungsmotoren verboten werden würden und für die propagierten Elektroautos nicht genügend zuverlässiger Strom bereitgestellt werden kann, was der Fall ist, dann steht das teure und hoch-subventionierte Elektroauto die meiste Zeit fahruntüchtig herum und wartet vornehmlich darauf, dass wieder etwas Strom fließt, der dann unter Umständen sehr teuer bezahlt werden muss.

Anders formuliert: Ein motorisierter Individualverkehr wäre dann nur noch in geringfügigem Umfang realisierbar. Er wäre wohl nur noch für Reiche erschwinglich. Wenn dann in der Konsequenz auch noch Bahnen und Busse völlig überfüllt und unzuverlässig wären, weil sie zum Teil von der Stromversorgung abhängig sind, hätte auch das massive Folgen für diese Volkswirtschaft und die von ihr lebende Bevölkerung.

Sie zeichnen ein düsteres Bild!

Henrik Paulitz: Ja, leider. Ich beschreibe aber eigentlich nur die aktuelle Politik, die uns im Fernsehen mehr und mehr auch von Philosophen angepriesen wird, die uns auf eine solche Mangelwirtschaft einschwören wollen. Dabei habe ich bei diesen Sendungen den Eindruck, dass nicht wirklich zum Mitdenken und zum eigenständigen Reflektieren angeregt werden soll. Vielmehr bekommen wir Ideologie- und Polit-Häppchen serviert, die vielleicht gut klingen, aber wir wissen meist gar nicht, was das in der Wirklichkeit bedeuten würde.

Können Sie das vielleicht mal konkret machen?

Henrik Paulitz: Es ist aktuell sehr beliebt, über SUVs zu lästern, Plastik und die Industrie zu verteufeln, und leichtfüßig dem Verzicht das Wort zu reden. Wie aber fühlt es sich wohl an, wenn wir kein funktionierendes Verkehrssystem, ständige Stromausfälle und immer weniger Industrie und Arbeitsplätze haben und wenn wir im Winter in der eiskalten Wohnung sitzen?

Sie befürchten weitreichende volkswirtschaftliche Schäden?

Henrik Paulitz: Insgesamt zeigt sich, dass viele der längst eingeleiteten Maßnahmen dieses Land massiv verändern und den Wohlstand wohl substanziell verringern würden. Und zwar schon morgen. Letztlich steht das ökonomische Überleben Deutschlands und Europas auf dem Spiel.

Nach Einschätzung des Verbands der Familienunternehmer ist die Versorgungssicherheit, also die zuverlässige Versorgung mit Strom und anderer Energie, vermutlich der letzte große Vorteil des europäischen und deutschen Wirtschaftsstandortes gegenüber den globalen Wettbewerbern.

Das bedeutet: Wenn in Deutschland und Teilen Europas in den kommenden Jahren die Versorgungssicherheit nicht mehr gewährleistet ist, dann wird das massive wirtschaftliche Folgen für Deutschland und für Europa haben.

Sie haben es schon angesprochen. Die Folgen für unser gesellschaftliches Gefüge wären weitreichend.

Henrik Paulitz: Mit der Mobilität, der Raumwärmeversorgung und vielen Stromanwendungen stünde auf sehr umfassende Weise die Befriedigung von Grundbedürfnissen in Frage. Eine solche Ökonomie des Verzichts wäre auf demokratische Weise auf Dauer nicht durchsetzbar, weil die Menschen das nicht wollen, sobald sie spüren, was das in der Realität bedeutet.

Das heißt: Es müsste zu repressiven, totalitären staatlichen Strukturen kommen, die mit unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung unvereinbar sind. Die Deutsche Bank Research spricht bereits von Öko-Diktatur. Nicht zuletzt wäre auch die innere und äußere Sicherheit massiv gefährdet. Eine solche Entwicklung kann sich eigentlich niemand wünschen.

Wie erklären Sie sich, dass wir in dieser Situation sind? Was genau hat die Politik falsch gemacht?

Henrik Paulitz: Man hat sich in Deutschland zu lange darauf verlassen, dass die seit Jahrzehnten angekündigten Langzeitspeicher nicht nur versprochen, sondern auch geliefert werden. Heute sehen wir, dass das nicht der Fall ist und dass sich das auf absehbare Zeit technisch wie auch ökonomisch als äußerst schwierig darstellt.

Die Konzeption der Energiewende, wie sie in den vergangenen zehn bis zwanzig Jahren propagiert wurde, ist daher nicht realisierbar. Die Energiepolitik bedarf dringend der Korrektur, und zwar sehr kurzfristig, weil sich zeigt, dass ein Verlust des konventionellen Kraftwerksparks nicht zu verantworten wäre.

Rechnen Sie mit einer Korrektur der Energiepolitik?

Henrik Paulitz: Das ist schwer zu beurteilen. Die Probleme bestehen darin, dass sich viele Akteure ideologisch sehr festgelegt haben, dass eine kritische Rationalität bei der Beurteilung von technischen und ökonomischen Fragen mehr und mehr blinden Glaubensbekenntnissen gewichen ist und dass jährlich auch sehr viele Milliarden in diesem Bereich fließen, was Strukturen zementiert, so dass ein Umsteuern schwierig werden dürfte.

Andererseits nimmt der Realitätsdruck mit den anstehenden Kraftwerks-Stilllegungen ganz drastisch zu. Das Problem ist einfach nicht mehr wegzudiskutieren. Die Versorgungssicherheit wird daher vermutlich bald schon zu einem, wenn nicht zu dem beherrschenden Thema der Politik.

Was müsste aus Ihrer Sicht nun getan werden?

Henrik Paulitz: Bei nüchterner Betrachtung gibt es praktisch keine ernsthaft vertretbaren Handlungs-Alternativen mehr, da selbst die Erneuerbare-Energien-Branche sich in den vergangenen Jahren nicht für den Erhalt bzw. für die Gestaltung eines Backup-Kraftwerksparks eingesetzt hat, den sie aber doch so dringend benötigt, sondern stets nur meinte, mit immer mehr Wind- und Solarenergieanlagen alles lösen zu können.

So wurden zuletzt auch die Empfehlungen der so genannten Kohlekommission sträflich missachtet, wonach bei einem Atom- und Kohleausstieg - als einzig mögliche Lösung - sehr schnell Gaskraftwerke in großer Zahl hätten gebaut werden müssen. Die bittere Realität ist nun, wenn man zunächst nur die kommenden Monate und Jahre in den Blick nimmt: Entweder lässt man bestehende Kraftwerke weiter am Netz oder dieses Land versinkt im Chaos einer "StromMangelWirtschaft".