Die Terror-Liste der EU

Zusammen mit dem europäischen Haftbefehl gibt es weniger rechtliche Überprüfungs- und Verteidigungsmöglichkeiten für Verdächtige

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Die Europäische Union hat in mehreren Etappen eine Liste von Organisationen aufgestellt, die sie für terroristisch hält. Über die Frage, welche Organisationen dort erwähnt werden sollen, gab es hinter den Kulissen heftige Auseinandersetzungen (Die Europäische Union auf der Suche nach einer Definition des Terrorismus). Auch nach der Aufstellung der Liste (Einig bei der Definition des Terrorismus) gingen die Auseinandersetzungen weiter.

Über die Hintergründe und juristischen Konsequenzen der Liste sprach Peter Nowak mit Eberhard Schultz. Er arbeitet als Rechtsanwalt in Berlin und Bremen und beschäftigt sich seit Jahren juristisch und publizistisch mit der grenzüberschreitenden Verfolgung politisch Oppositioneller. 1999 hat er das Buch Grenzüberschreitende Kurdenverfolgung - Beiträge zu einer Menschenrechts-Chronik veröffentlicht.

Wie kam die "EU-Liste" zustande?

Eberhard Schulz: Im Anhang zum Rats-Beschluss vom Dezember letzten Jahres sind etwa ein Dutzend Organisationen von der baskischen ETA über den "terroristischen Flügel der Hamas" bis zur "real IRA" aufgeführt. Im Ratsbeschluss vom 2.Mai dieses Jahres sind vor allem arabische Einzelpersonen und einige Organisationen wie die "Kurdische Arbeiterpartei"(PKK) dazugekommen. Bezeichnend hierbei ist, dass die PKK bei uns vom dafür zuständigen Generalbundesanwalt 1997 ausdrücklich als "nicht mehr terroristisch" eingestuft wurde. Es lasse sich in der BRD nur noch eine sog. "Kriminelle Vereinigung" als selbständige Teilorganisation feststellen. Jetzt hat man offenbar die Definition des türkischen Militärregimes übernommen. Kürzlich kamen weitere Organisationen, darunter die kolumbianische FARC, die noch bis vor kurzem offizieller Partner von Friedensverhandlungen mit der kolumbianischen Regierung war, und die palästinensischen Al-Aksa-Brigaden auf die Liste.

Ist diese Liste eine Folge des 11.September oder sind die Pläne schon älter?

Eberhard Schulz: Die "Terror-Liste" selbst ist eine unmittelbare Ausgeburt der Anschläge und ihrer Folgen. Sie muss aber im Zusammenhang gesehen werden mit dem "Rahmenbeschluss über den Terrorismus" und dem neuen "Europäischen Haftbefehl", die nach jahrelangen Vorarbeiten ebenfalls im Dezember letzten Jahres vom Europa-Rat verabschiedet wurden. Mit dem Rahmenbeschluss können bestimmte oppositionelle Akte als "terroristisch" verfolgt, mit dem Europäischen Haftbefehl das bisherige halbwegs justizförmige Auslieferungsverfahren praktisch zugunsten einer vereinfachten Überstellung an den Verfolgerstaat ersetzt werden. Das sind alte Pläne der grenzüberschreitenden Verfolgung.

Welche strafrechtlichen Folgen drohen Personen oder Organisationen, die auf dieser Liste stehen?

Eberhard Schulz: Sie können nach einem neu geschaffenen Paragraphen unseres Strafgesetzbuches, Paragraph 129 b, der schon vom Bundestag verabschiedet wurde und noch in dieser Legislaturperiode Gesetz werden sollen, als "Terroristen" verfolgt und bestraft werden. Und zwar als mutmaßliche Mitglieder und Unterstützern, auch wenn den Beschuldigten selbst in der BRD keine strafbaren Handlungen vorgeworfen werden. Wenn die inkriminierte Vereinigung außerhalb der EU organisiert ist, gibt es einige Einschränkungen. Neu daran ist, dass die Tat nur "mit Ermächtigung des Bundesjustizministers verfolgt" wird. D.h. die Bundesregierung erhält den entscheidenden politischen Einfluss auf die Strafverfolgung und damit die ganze Justiz, was der Gewaltenteilung widerspricht und rechtsstaatlich höchst bedenklich ist.

Parallel zu den "EU-Terrorlisten" wird auch der europäische Haftbefehl eingeführt werden. Was ändert sich dadurch an der bisherigen Rechtspraxis?

Eberhard Schulz: Es gibt noch weniger rechtliche Überprüfungs- und Verteidigungsmöglichkeiten. Das ganze soll vor allem effizienter und schneller funktionieren. Mit den drei Instrumenten haben sich auf der europäischen Ebene Tendenzen durchgesetzt, die die spezifisch deutsche Variante bei der Bekämpfung es "inneren Feindes" favorisiert haben, wie sie seit mehr als 10 Jahre in der extensiven "Terrorismus-Verfolgung" nach §129a STGB gegen Ausländer praktiziert wurde.

Könnten diese gesetzlichen Instrumente, die jetzt gegen türkische oder baskische Linken angewandt wird, in Zukunft auch gegen die globalisierungskritische Bewegung Anwendung finden?

Eberhard Schulz: Die Gefahr besteht durchaus. Gleichsam im Vorgriff waren im letzten Jahr schon Globalisierungsgegner von Berlusconis Justiz monatelang als "Terroristen" verfolgt worden, beispielsweise eine Wiener Theatergruppe. Das Instrumentarium dazu wird jedenfalls bereit gestellt. Ob es überall - wie erforderlich - in nationale Gesetze umgesetzt und wie es dann in der Praxis angewandt wird, hängt nicht zuletzt vom Widerstand dagegen ab: So gibt es sogar im schwedischen Parlament starke Einwände.