Die Europäische Union auf der Suche nach einer Definition des Terrorismus

Noch sind die Klärungsversuche vage, aber zumindest gibt es Bemühungen, mit der Terrorkeule die Demonstrations- und Versammlungsfreiheit nicht einzuschränken, wie die EU-Kommission dies in ihrem Entwurf vorgesehen hatte

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Mitte Dezember während des EU-Gipfels im belgischen Laeken sollen sich die EU-Mitgliedsländer auf eine Definition des Terrorismus festgelegt haben, die auch regelt, welche Gruppen als terroristisch eingestuft werden. Dadurch könnten nicht nur Unterschiede zu den USA und anderen Ländern wieder ans Licht gekommen, die durch die schnell und wenig konkret geschmiedete Allianz gegen den internationalen Terrorismus unter den Tisch gefallen sind. Kritisch dürfte auch werden, ob die Definition eng genug gefasst wird, um nicht unter dem Deckmantel des Kampfes gegen den Terrorismus auch gegen Oppositionsbewegungen schärfer vorgehen zu können.

Beschlossen haben die europäischen Innen- und Justizminister im September eine ganze Menge zur Bekämpfung des weltweiten Terrorismus: einen europäischen Haftbefehl, eine engere Kooperation bei der Strafverfolgung und zwischen den Polizeien und Geheimdiensten, stärkere Grenzkontrollen und schärferes Vorgehen gegen die Finanzierungsquellen von Terroristen. Die EU-Richtlinie zur Bekämpfung der Geldwäsche wurde bereits angenommen. Europol soll eine Antiterror-Einheit aufbauen, die Koordinationsgruppe Eurojust bald ihre Tätigkeit aufnehmen. Ganz entscheidend aber wird die gemeinsame Definition des Terrorismus sein. Bislang haben nur sechs Mitgliedsländer eine solche auf nationaler Ebene: Deutschland, Frankreich, Italien, Portugal, Spanien und Großbritannien. In den übrigen Ländern werden Bombenanschläge oder Morde von Terroristen wie Straftaten von "normalen" Kriminellen behandelt.

Die Innen- und Außenminister sollen spätestens bis zu ihrem Treffen am 6. und 7. Dezember eine Einigung über eine gemeinsame Definition erzielt haben. Vorgelegen hatte den Ministern ein sehr weitgehender Entwurf der Europäischen Kommission, in dessen Kern die Festlegung von "terroristischen Taten" liegt. Diese sollen europaweit verfolgt und die Schuldigen mit Mindeststrafen bestraft werden (Europäische Union stellt sich an die Seite der USA).

Als Terrorakte wurden im Artikel 3 des urssprünglichen Entwurfs der Kommission solche Straftaten genannt, die "von einem Einzelnen oder einer Gruppe gegen einen oder mehrere Staaten mit der Absicht begangen werden, ihre Institutionen oder Menschen (Menschen bezieht sich auf alle Personen, auch auf Minoritäten) einzuschüchtern oder die politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Strukturen dieser Länder schwerwiegend zu verändern oder zu zerstören".

Neben Straftaten wie Mord, Entführung, Geiselnahme, Raub oder Besitz von Waffen soll auch die "illegale Besetzung oder eine Beschädigung" von staatlichen Einrichtungen, Transportmitteln, Infrastruktureinrichtungen, öffentlichen Orten und privatem oder öffentlichem Eigentum als Terrorakt definiert werden: "Dies könnte beispielsweise auch Vorfälle urbaner Gewalt einschließen." Auch die Freisetzung von giftigen Substanzen oder ganz allgemein die Gefährdung von Menschen, Eigentum, Tieren oder der Umwelt kann ebenso wie die Störung der Wasser- oder Energieversorgung als Terrorakt gelten. Dazu zählen auch "Angriffe mit der Hilfe eines Informationssystems". Auch schon die Drohung, eine der genannten Taten auszuführen, soll in allen Ländern als Terrorakt verfolgt und bestraft werden können.

Die Europäische Kommission will auch Angriffe gegen Computersysteme als terroristische Straftaten bewerten, auch wenn diese, wie Erklärungen zu Artikel 3 lauten, "offensichtlich weniger gewalttätig" sind. Doch sie können ebenso bedrohlich wie die anderen Straftaten sein und "nicht nur das Leben, die Gesundheit oder die Sicherheit von Menschen, sondern auch der Umwelt bedrohen." Ihre Haupteigenschaft sei es, dass "ihre Wirkung von den Tätern absichtlich aus der Entfernung bewirkt wird, aber dass ihre Folgen ebenfalls weitreichend seien können". Wenn mit einem Informationssystem giftige Substanzen freigesetzt, Brandstiftung begangen, Explosivstoffe gezündet oder die Wasser- oder Stromversorgung gestört werden, könne dies als terroristische Tat geahndet werden.

Vor allem die Einbeziehung von "Akten urbaner Gewalt" hat große Kritik auf sich gezogen, da sich dies so verstehen ließ, dass damit auch Teilnehmer von Demonstrationen zu Terroristen gemacht werden können. Sehr weit gefasst ist auch, wenn Einschüchterung oder Bedrohung (intimidating), wie von der Kommission vorgesehen, als Terrorakt gelten soll. Auf der Sitzung der Innen- und Justizminister am 16.11. fand offenbar eine Einigung darüber statt, die Definition so zu präzisieren, dass "legitime Handlungen wie Gewerkschaftsaktivitäten oder Bewegungen von Globalisierungsgegnern unter keinen Umständen" darunter fallen können.

Die neue Formulierung für den Artikel 3 wurde so verändert, dass nun nicht mehr die Einschüchterung oder, wie in einer bereits Ende Oktober überarbeiteten Fassung, eine Beeinträchtigung vorliegen muss, sondern ein "schwerwiegender Schaden für ein Land oder eine internationale Organisation". Damit sei eine "zusätzliche Garantie" gegeben, dass gewöhnliche Straftaten ausgeschlossen werden:

"Selbst Gewalttaten, die bewusst am Rande von Demonstrationen begangen werden, würden nicht unter diese Definition fallen", versichert eine Meldung der Kommission. Zudem werde die Passage aufgenommen, dass nichts in dieser Maßnahme so interpretiert werden darf, "dass die Absicht besteht, fundamentale Rechte oder Freiheiten wie die der Versammlungsfreiheit oder der Meinungsfreiheit, wozu das Recht eines Jeden gehört, Gewerkschaften zu gründen und sich diesen mit Anderen zum Schutz seiner oder ihrer Interessen anzuschließen, und das Demonstrationsrecht einzuschränken oder zu begrenzen".

Allerdings soll zu den Zielen von terroristischen Taten, die den "schweren Schaden" verursachen, wiederum die Einschüchterung der Bevölkerung, die "unangemessene Nötigung" einer Regierung oder einer internationalen Organisation oder die Destabilisierung oder Zerstörung der politischen, verfassungsrechtlichen oder wirtschaftlichen Strukturen eines Landes oder einer Organisation gehören. All das sind sehr vage Formulierungen, in die sich vieles aufnehmen ließe.

Strenger gefasst wurde in der Liste der Straftaten (Artikel 3 f) die "illegale Besetzung oder Beschädigung" von öffentlichen Einrichtungen usw. In der neuen Formulierung wird eine "große Beschädigung von öffentlichen Einrichtungen, einem Transportsystem, einer Infrastruktureinrichtung" verlangt, wozu auch "Informationssysteme" gerechnet werden. Zusätzlich eingefügt wurde eine "fixed platform located on a continental shelf", also die Beschädigung etwa einer Ölbohrinsel. Weiterhin geht es um große Schäden an einem öffentlichen Ort oder Privateigentum, "was eine schwerwiegende Zerstörung eines solchen Ortes, einer solchen Einrichtung oder Systems oder einen beträchtlichen wirtschaftlichen Verlust verursachen kann".

Ebenso wie bei den Bedingungen für den EU-weiten Haftbefehl, bei es beispielsweise um die Festlegung einer Negativliste als Grund für Nichtausweisung geht (Abtreibung, Euthanasie etc.), gibt es natürlich auch bei der Definition des Terrorismus unterschiedliche Positionen der Mitgliedsländer. Bislang scheint es eine prinzipielle Übereinstimmung zu geben, was auch heißt, dass Einzelheiten noch strittig sind. Auch die Liste der Terrororganisationen dürfte Probleme in sich bergen. So ist fraglich, ob die EU, wie dies die USA und Israel gerne sehe würden, etwa die Hamas in die Liste mit aufnehmen wird. Die Haltung zum Palästina-Konflikt ist für die Bekämpfung des islamistischen Terrors zentral.

Wie die spanische Zeitung El Pais erfahren haben will, sollen in die Liste nur wirkliche Terrororganisationen aufgenommen werden, die auch solche Taten begangen haben, nicht aber Parteien, Gruppen und Organisationen, die Terroristen unterstützen. Allerdings sei die Definition des Terrorismus "ausreichend breit", um auch Mitglieder solcher Vereinigungen zu verfolgen, wenn sie terroristische Taten begehen. So werde beispielsweise Batasuna, der politische Arm der ETA, nicht in die Liste aufgenommen werden, da man "in keinem demokratischen Land eine derart politisch anerkannte Partei als terroristische Vereinigung bezeichnen" würde, wie El Pais von einer Quelle aus der Europäischen Kommission erfahren hat.