Europäische Union stellt sich an die Seite der USA

Bürgerrechtler kritisieren neues Anti-Terrorismus-Konzept

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Während in den USA bereits in der ersten Woche die Anti-Terror-Gesetze verabschiedet wurden , das deutsche Regierungskabinett bereits den, eigentlich längst geplanten, Paragraphen 129b beschloss, und in Großbritanninen und den USA die Provider zu großflächigen Datenspeicherungen gezwungen wurden, brauchte die Europäische Union immerhin ein paar Tage mehr, um sich Schulter an Schulter mit den USA zu stellen.

EU-US-Kooperation

Neun Tage nach den fürchterlichen Anschlägen in New York und Washington D.C. hat die europäische Kommission neben einem ganzen Maßnahmenkatalog für die künftige enge Zusammenarbeit einen sehr weitreichenden Vorschlag vorgestellt: "Eine Rahmenentscheidung zur Terrorismusbekämpfung" (im PDF-Format, die aus einem Sondertreffen der EU-Justiz- und Innenminister in Brüssel hervorging. Rahmenentscheidungen sind Legislativvorschläge, die ad-hoc gemacht werden können und schnell bindende Wirkung entfalten können. Auch stellte die Kommission den Vorschlag für einen "Europäischen Haftbefehl und Verfahrensweisen für eine Auslieferung innerhalb der Mitgliedstaaten" (im PDF-Format) vor.

Völlig neu ist das Thema in Brüssel natürlich nicht: Das Europa-Parlament legte bereits im September einen eigenen, umstrittenen Vorschlag vor, der vor allem die Ereignisse in Götheborg und Genua zum Anlass nahm, um einen erweiterten Terrorismusbegriff einzuführen. Und schon in der Vergangenheit arbeiteten US-Strafverfolger und europäische Polizeibehörden in Arbeitsgruppen des EU-Rats eng zusammen - unter anderem bei der Vorlage für die Enfopol-98-Papiere, den "International User Requirements" zum grenzüberschreitenden Abhören von Telekommunikation.

Die USA jedenfalls begrüßten den Maßnahmenkatalog der Europäischen Kommission. Sie werden künftig direkt bei Eurojust und in der neu einzurichtenden Anti-Terror-Einheit bei Europol beteiligt. Am 16. November soll bereits ein eigener Vertrag für den Austauch von Verbindungsoffizieren zwischen den US-Polizeibehörden und Europol unterzeichnet werden. Am heutigen Freitagabend beraten die Regierungschefs auf einem Sondertreffen über die gestern erarbeiteten Vorschläge.

Was ist Terrorismus?

Wesentlich für die demokratischen Bürgerrechte ist die Definition von Terrorismus in Artikel 3 der Rahmenentscheidung. Falls bestimmte Vergehen "absichtlich durch einen Einzelnen oder eine Gruppe gegen einen Staat oder mehrere Staaten, deren Einrichtungen oder dessen Bevölkerung begangen werden, mit der Absicht diese einzuschüchtern oder die politischen, ökonomischen oder sozialen Strukturen dieser Länder zu zerstören", werden diese als Terrorismus definiert: Darunter fallen mit einer jeweiligen Mindesthaftstrafe

"Mord, Körperverletzung, Entführung oder Geiselnahme, Erpressung, Diebstahl oder Raub; die ungesetzliche Beschädigung von Regierungseinrichtungen, öffentlichen Verkehrsmitteln, Infrastruktren, öffentlichen Plätzen und Eigentum; die Herstellung, der Besitz, der Kauf, Tranport oder die Belieferung von Waffen oder Sprengstoffen; das Freisetzen giftiger Substanzen, Brandstiftung, das Verursachen von Explosionen oder Fluten, die Gefährdung von Leuten, Eigentum, Tieren oder der Umwelt; die Beeinträchtigung oder Verhinderung der Wasser- und Stromversorgung sowie anderer wichtigen Ressourcen; Angriffe durch die Verwendung eines Informationssystems; die Drohung diese Vergehen zu begehen; das Werben, Unterstützen oder die Teilnahme an einer terroristischen Gruppe."

Erweitert wird diese umfangreiche Definition noch durch Artikel 4, wonach auch das "Anstiften, Unterstützen, Begünstigen oder die Teilnahme einer terroristischen Gruppe" strafbar ist. Zu den staatlichen Sanktionen gehören nicht nur Haftstrafen, sondern auch Sozialdienste, die Beschränkung bestimmter Bürgerrechte sowie die Verhängung von Geldbußen.

... und die demokratische Streitkultur

Laut der britischen Bürgerrechtsorganisation Statewatch stellt sich angesichts dieses Vorschlags die Frage, ob damit allein nur Terrorismus bekämpft werden soll, oder ob gar andere Zwecke damit verfolgt werden:

"Besteht etwa die Absicht die Definition von "Terrorismus" auch auf Demonstrationen, Proteste und politische Gegenmeinungen zu erweitern?"

Der Umfang der Definition sei "erstaunlich", da es doch nur darum gehe, Terrorismus zu bekämpfen, schreibt Statewatch-Herausgeber Tony Bunyan. Bunyan befürchtet, dass diese doch sehr weit gefassten Formulierungen sogar dazu führen könnten, dass "friedlich protestierende Frauen von Greenham Common gegen eine US-Cruise-Missile-Basis in Großbritanninen" genauso davon betroffen wären wie die Proteste in Genua. Auch Proteste von Tierschützern könnten schon unangenehme Folgen zeigen. Demonstranten könnten als Terroristen verurteilt werden und beispielsweise ihres Wahlrechts enthoben werden. Und wie um all diese Befürchtungen zu bestätigen steht im "Explanatory Memorandum", dass zu den terroristischen Vergehen auch "städtische Gewalt" (urban violence) gehören könnte. Man mag sich gar nicht ausdenken, was rechtsorientierte Regierungen wie in Österreich oder Italien mit einem solchen Instrumentarium durchsetzen könnten.

Der Vorschlag ähnle, so zeigt sich Bunyan besorgt, sehr dem britischen "Terrorism Act", der so weit gefasst sei, dass er sogar legitimen Protest gefährde. Der Vorschlag der Europäischen Kommission sei "entweder schlecht entworfen", oder es gäbe einen "bewussten Versuch, das Terrorismus-Konzept zu erweitern, um auch Proteste wie in Genua und Göteborg abzudecken". Dann unterminiere er jedoch genau die Freiheiten und Demokratien, die die Gesetzgeber angeblich schützen wollen.

Die Hast und der sich überschlagende Aktionismus, mit dem Politiker weltweit neue Gesetze planen und nahezu ohne Beratung verabschieden ist rational kaum nachzuvollziehen. Auch in Deutschland steht uns einiges an verschärfenden Maßnahmen bevor, obwohl doch gerade wir aus jahrzehntealter Erfahrung wissen müssten, was mit Terrorismusbekämpfungs-Gesetzen geschieht, die einmal beschlossen wurden: Sie werden so schnell nicht mehr abgeschafft.

95 Prozent Zustimmung

Angesichts dieser Gesetze schrieben schon 1992 die Autoren des Buchs "Das RAF-Phantom": "Die RAF wollte einen anderen Staat, und sie hat ihn bekommen." Und George Monbiot schrieb angesichts der sich jetzt erfüllenden Wunschlisten der Hardliner im britischen "Guardian": "Wenn Osama bin Laden nicht existieren würde, müsse man ihn erfinden."

US-Präsident George W. Bush wird zur Zeit von 95 Prozent der Amerikaner unterstützt, während er sich zuvor immer an der 40-Prozent-Grenze befand. Beim aktuellen politischen Klima kann er jedes Gesetz, und sei es noch so fragwürdig, ohne Widerstand durch Senat und Kongress bringen. Es scheint, dass dies auch in Europa nicht viel anders ist - trotz aller Furcht vor dem, was da noch kommen mag.