Die Ukraine hat gewählt
Der Urnengang zwischen Lviv im Westen und Luhansk im Osten zeigt klare Resultate, ist aber kein Anlass für politische Panikmacherei
Rund 29 Millionen der insgesamt 37,6 Millionen ukrainischen Wähler haben entschieden: Neuer Präsident des Landes wird Anfang 2005 voraussichtlich der Oppositionspolitiker Viktor Juschtschenko. Allerdings erkennt Viktor Janukovitsch die Wahl wegen angeblicher Manipulationen nicht an und will das Ergebnis, wie dies zuvor vom Juschtschenko-Lager erfolgreich gemacht wurde, vor dem Obersten Gericht anfechten. Die OSZE bestätigte allerdings, dass diese Stichwahl "den internationalen Maßstäben substanziell näher" gewesen ist Die Analyse des Wahlergebnisses verrät die stärkere Mobilisierung seiner Anhänger, räumt aber mit dem Mythos der "gespaltenen Nation" auf.
Die Ergebnisse der Zentralen Wahlkommission in Kiev sind eindeutig: Sieger bei den wiederholten, von 12.000 Wahlbeobachtern kontrollierten Stichwahlen vom 26. Dezember 2004, wurde Viktor Juschtschenko. Auch Viktor Janukovitsch, bisher Ministerpräsident, konnte in seinen ostukrainischen Hochburgen beachtliche Gewinne einfahren. Juschtschenko erhielt 52 Prozent oder rund 15,1 Millionen Stimmen, Janukovitsch konnte 44,2 Prozent oder ca. 12,8 Millionen Stimmen gewinnen.
Auch diesmal war, wie schon bei den ersten beiden Wahlgängen, die Wählergeographie stark ausgeprägt. Allerdings existiert ein solider Anteil von etwa einem Dutzend Regionen, das zwar deutliche, aber keine spektakulären Mehrheiten für einen der beiden Kandidaten aufweist.
Die administrativ-territoriale Struktur der Ukraine umfasst 24 Gebiete, die Autonome Republik Krim, die Stadt mit besonderem Status Sevastopol sowie die Hauptstadt Kiev.
Viktor Juschtschenko konnte in 17 dieser insgesamt 27 Verwaltungseinheiten gewinnen, vor allem im Westen und im Zentrum des Landes. Viktor Janukovitsch erreichte die Mehrheit in zehn Regionen im Osten und Süden der Ukraine. Dies war bereits bei der ersten Wahl am 31. Oktober und bei der für ungültig erklärten Stichwahl vom 21. November der Fall - in keiner der Provinzen ist seither die Wählergunst auf die andere Seite gekippt.
Der voraussichtliche Wahlsieger Juschtschenko konnte in vier westukrainischen Regionen mehr als 90 Prozent der jeweiligen Wählerstimmen einfahren. Seine schlechtesten Ergebnisse holte er in Kirovohrad (63,8%) und Poltava (66%). Beide Provinzen liegen allerdings in der Ostukraine, die Resultate sind damit durchaus ein Achtungserfolg. In vier Regionen erreichte Juschtschenko zwischen 80 und 89 Prozent, in weiteren fünf Regionen zwischen 70 und 79 Prozent der Stimmen. Darunter waren die Hauptstadt Kiev (78,3%) und die sie umschließende Region Kiev (82,7%).
Der bisherige Premier Janukovitsch konnte erwartungsgemäß in seinem Heimatbezirk Donetzk (93,5%) und in Luhansk (91,2%) die meisten Wählerstimmen auf sich ziehen. Auf 80 bis 89 Prozent kam er in Sevastopol (88,8%) und auf der Halbinsel Krim (81,3%), auf mehr als 70 Prozent lediglich in Saporischja (70,1%). In vier Regionen gewann er die Wählergunst in der Größenordnung zwischen 60 und 69 Prozent, darunter in Dnepropetrovsk (61,1%), der Heimat seines einstigen Förderers und Noch-Präsidenten Leonid Kutschma. Ganz knapp fiel Janukovitschs Mehrheit mit 51,4 Prozent im südukrainischen Cherson aus.
Solide Wahlbeteiligung
Die Beteiligung der ukrainischen Wähler lag am 26. Dezember bei 77,22 Prozent und damit niedriger als bei der ersten, ungültig erklärten Stichwahl am 21. November (80,85%), aber höher als beim Urnengang vom 31. Oktober (74,92%).
Dabei konnten die Wähler offensichtlich in den jeweiligen Hochburgen beider Kandidaten besonders mobilisiert werden. Über 80 Prozent Wahlbeteiligung wurden in den Pro-Juschtschenko-Regionen Ternopil (87,8%), Volhynien (85,7%), Lviv (85,2%) und Rivne (82,2%) registriert. In "Janukovitsch-County" ragten Donetzk (84,9) und Luhansk (83,5%) hinsichtlich der Wahlbeteiligung heraus.
Sowohl die jeweiligen Ergebnisse für die beiden Kandidaten als auch die Wahlbeteiligung in den verschiedenen Gouvernements zeigen, dass der Juschtschenko-Wahlkampfstab seine Sympathisanten offenbar besser mobilisieren konnte. Janukovitsch hingegen profitierte von den bevölkerungsstarken Gebieten im Osten, auch wenn es zu einem Sieg nicht gereicht hat.
Ukrainer im Ausland stimmen für Juschtschenko
Jene Ukrainer, die im Ausland wählten, haben noch deutlicher als die heimische Bevölkerung ihre politische Vorliebe gezeigt: Für Juschtschenko stimmten 59,3 Prozent, für Janukovitsch 38,9 Prozent. Eine Rolle mag dabei gespielt haben, dass sich das Außenministerium, "von Berufs wegen" eigentlich eher diplomatisch, vergleichsweise eindeutig für den Kandidaten der Opposition ausgesprochen hat.
Die Analyse des Wahlergebnisses zeigt: Der in den vergangenen zwei Monaten gern bemühte Mythos von der "gespaltenen Nation" ruht auf eher wackligen Füßen. Zwar sind die jeweiligen politischen Sympathien heute in der Ukraine geographisch stärker ausgeprägt als in Westeuropa - von einigen konservativen oder linken Hochburgen hierzulande abgesehen. Dennoch existiert ein stabiler geographischer Gürtel, in dem die Anhänger der beiden Lager ihren Platz gefunden haben.
Denn auch wenn die beiden Kandidaten in vielen Provinzen nicht die Mehrheit der Stimmen holen konnten, haben sie dort dennoch eine beachtliche Zustimmung erreicht. So gewannen sowohl Juschtschenko als auch Janukovitsch in jeweils fünf Regionen zwischen 30 und 35 Prozent der Wähler - die geographische Brandbreite umfasst dabei Sakarpatja im äußersten Westen ebenso wie Charkiv im Osten oder Odessa am Schwarzen Meer. Wenn nach dem hochemotionalen Wahlkampf wieder die Zeit für den politischen Alltag mit seinen notwendigen - und von den Ukrainern durchaus geschätzten - Kompromissen gekommen ist, wird dieser Umstand zur Beruhigung beitragen. In den kommenden Monaten ist Dialog angesagt.