Die Uniform wird zur Aderpresse, der Soldat zum Versuchskaninchen

Neuer Wissenschaftsbericht soll aufzeigen, welches Potential die biotechnologische Forschung für das Militär bereithält

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Die Biotechnologie eröffnet bekanntlich auf vielen Gebieten ungeahnte Möglichkeiten. Dass diese Erkenntnis auch an der US-Armee nicht vorüber gegangen ist, zeigt ein beim National Research Council (NRC) in Auftrag gegebener Wissenschaftsbericht zum Thema Opportunities in Biotechnology for Future Army Applications, den der Board on Army Science and Technology (BAST) des NRC jetzt vorgelegt hat.

Die Aufgabe des BAST war es, die Bereiche der Biotech-Forschung zu benennen, in denen in den kommenden 25 Jahre wichtige Entwicklungen zu erwarten sind, die das Militär zur nationalen Verteidigung nutzen kann. Es sollte aber auch auf Hindernisse hingewiesen werden, die solchen Entwicklungen im Wege stehen und Vorschläge unterbreitet, wo die Armee mit Investitionen tätig werden muss.

Folgendes Kriegsszenario entwirft der BAST von einem Kriegsgeschehen im Jahr 2025: Ein US-Soldat bewegt sich mit seinem Fahrzeug auf dem Kriegsschauplatz, das dank einer besonderen Farbe von keinem Radarschirm erfasst werden kann. Das Gefährt ist mit einem Boardcomputer ausgestattet, der bei jeder Witterung ein klares Bild der Umgebung zeigt, über Landkarten verfügt sowie über Informationen, wer auf dem Schlachtfeld Freund und wer Feind ist. Der GI der Zukunft ist für den Angriff mit chemischen oder biologischen Kampfstoffen mit Sensoren und Spezialkleidung gewappnet. Implantierte medizinische Sensoren registrieren auch in seinem Körper jede Veränderung und sorgen dafür, dass bei Bedarf Medikamente ausgeschüttet werden, um Schockreaktionen oder Infektionen zu verhindern. Bei blutenden Wunden wird die Uniform automatisch zur Aderpresse. Über einen Gesundheitsmonitor werden im Notfall Informationen an das persönliche Kommunikationssystem weitergegeben und von dort an die militärische Einheit, worauf prompte Rettung erfolgen kann. Denn obendrein hat der Soldat einen Biomarker geschluckt, durch den er überall lokalisiert und identifiziert werden kann. In seiner persönlichen black box, einem implantierten Gedächtnismodul, kann er später abrufen, was passiert ist, nachdem er das Bewusstsein verloren hat.

Hirngespinste fortschrittsgläubiger Militärs? Der Board on Army Science and Technology ist von seiner Vision fest überzeugt.

Das beschriebene Szenario ist in keiner Weise an den Haaren herbeigezogen. Potentielle Bioanwendungen für die Armee des Jahres 2025 sind bereits in Sichtweite. Auch wenn die Soldaten 2025 aussehen werden wie heute, so werden sie doch stärker sein, sie werden ausdauernder sein und sie werden resistenter gegen Krankheiten und das Altern sein.

Der Krieg der Zukunft wird durch die Biotechnologie eine neue Gestalt erhalten, und die USA sind wie immer bestrebt, dem Gegner einen Schritt voraus zu sein. Besondere Priorität gilt nach den Empfehlungen des BAST der Forschung in folgenden Bereichen: dreidimensionale Speicher, sich selbst erneuernde Systeme für die Wundheilung, Schocktherapie und genetisch veränderte Impfstoffe. Hier soll die Armee sich primär mit Investitionen engagieren.

Sensoren, Elektronik und Computer, Materialien, Logistik und Heilverfahren, das sind die fünf übergreifenden Kategorien, zu denen der Bericht die Wohltaten ausbreitet, die das Füllhorn der Biotechnologien für das Militär bereithält. Danach wird der Krieg der Zukunft mit minimalem logistischen Aufwand und intelligentem Gerät fast ferngesteuert ablaufen. Biocomputer, die den Extrembedingungen eines Krieges mühelos standhalten, der Natur abgeschaute neue Materialien für intelligente Textilien, die Wärme und Feuchtigkeit selbst regulieren und sich auch farblich jeder Umgebung sofort anpassen. Biodiesel, der an der Front erzeugt werden kann, Heilverfahren, die Verletzungen und Brüche im Nu heilen lassen. Alles selbst erneuerbar, sich selbst regulierend.

"Kleiner und leichter" lautet die Devise. Die Soldaten des Jahres 2025, mit allen Mitteln auf Hochleistung getrimmt, sollen künftig unabhängig voneinander operieren, in kleinen Einheiten mit einem Minimum an direkter logistischer Unterstützung. Während früher Dutzende von Soldaten pro Kilometer Front gebraucht wurden, sollen es künftig nur noch ein bis zwei Soldaten sein.

Und da die Vorbereitung auf einen künftigen Krieg besonders die Abwehr von C- und B-Waffen im Auge hat, ist die Gentechnik ein wesentlicher Schwerpunkt des Berichts. Bei der Genforschung soll dem Militär eine führende Rolle zukommen:

Die Armee soll den Weg bereiten für einen offenen, disziplinierten Umgang mit den Genomdaten. Ziel: Die Verbesserung der Gesundheit des Soldaten und seiner Leistungen auf dem Schlachtfeld.

Der Armee winken neuartige Medikamente, die auf die genetische Biologie eines Individuums zugeschnitten sind und damit eine optimale Therapie und Prophylaxe bei chemischen und biologischen Kampfstoffe versprechen. Mittels des genetischen Profilings sollen die Auswirkungen individueller genetischer Elemente auf Krankheit und Gesundheit festgestellt werden, um dann Wirkstoffe zu entwickeln, die den einzelnen Genotypen geradezu maßgeschneidert sind. Die Voraussetzungen für derartige Experimente sind bei der Armee geradezu optimal: Als Testgruppe bietet sich nämlich das militärische Personal an, das immer schon einiges über sich ergehen lassen musste: Im Vietnam-Krieg das dioxinhaltige Entlaubungsmittel Agent Orange, im Golfkrieg die Auswirkungen des Einsatzes uranhaltiger Geschosse und des Versuchsmedikaments Pyridostigmin-Bromid (P.B.) zum Schutz gegen das Nervengas Soman. Lauter Segnungen der Forschung mit gravierenden Gesundheitsfolgen.

Denjenigen Armee-Angehörigen, denen das in den 90er-Jahren durchgeführte Anthrax (Milzbrand)-Impfprogramm noch im Gedächtnis ist, das einige Menschen, die den Wirkstoff nicht vertrugen, das Leben gekostet hat, soll jetzt die Aussicht auf optimierte Vakzine besänftigen. Dass eine ungehinderte Forschung am Genom von Soldaten enorme ethische Probleme aufwirft und einen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte darstellt, darüber sind sich die Verfasser natürlich im Klaren. Doch sie vertrauen einfach darauf, dass ein gesellschaftlicher Konsens gefunden wird, spätestens dann, wenn die Forschung erste Erfolge vorweisen kann: "The Comittee believes that guidelines for use of genomic technologies will evolve as the benefits become more firmly established." Wie so oft soll der Zweck die Mittel heiligen. Für die Zivilbevölkerung gilt, dass auch sie von den Errungenschaften "profitieren" wird.

Problematische Unterfangen wie das Gen-Screening von Soldaten auf Eigenschaften wie Stärke und Ausdauer, werden mit dem Verweis darauf, dass die Armee immer schon durch körperliche und psychologische Tests selektiert habe, radikal verharmlost. Auch die Ausgabe von Drogen zur Steigerung der Leistungsfähigkeit sind im nationalen Interesse willkommen. Alles ist gerechtfertigt wenn es um soldier survivability, combat effectiveness und national interest geht. Auf dem Gebiet der Entwicklung von Wirkstoffen gegen B- und C-Waffen kann die Armee laut BAST sogar für sich reklamieren world authority zu sein. Konsequent fordert der Bericht dann auch, dass es für die Fälle, in denen staatliche und föderale Richtlinien militärische Forschungsvorhaben behindern, Ausnahmeregelungen geben muss.

At the same time, federal and state regulations have restricted both military and civilian research and development in therapeutics. In exceptional circumstances, national defense needs might warrant special dispensation from these regulations, and the Army should have legal recourse for requesting exceptions.

Die angestellten Überlegungen beziehen sich "selbstverständlich" ausdrücklich auf den Verteidigungsfall, die Entwicklung offensiver Waffen wird ausgeschlossen. Dabei ist völlig klar, dass Wissen und Ausrüstung für die Erforschung von Kampfstoffen zu defensiven Zwecken, genauso gut für ein offensives Biowaffen-Programm eingesetzt werden können. Wer vorgibt, biologische und Toxin-Kampfmittel ausschließlich für defensive Zwecke zu produzieren, sollte sich für mehr Transparenz und Kontrolle einsetzen. Aber gerade das scheint den Amerikanern nicht zu passen. Ende Mai wurde bekannt, dass die USA den Überprüfungsmechanismus der 1975 unterzeichneten Biowaffenkonvention ablehnen wollen. Nach dem bisherigen Entwurf für ein Zusatzprotokoll sollen UN-Inspektoren weltweit unangemeldete Kontrollen in privaten Firmen und staatlichen Anlagen durchführen dürfen. Dies stößt auf heftigen Widerstand der US-Biotechnologie-Industrie, die Wirtschaftsspionage befürchtet. Eine Entscheidung soll im November fallen, wenn auch die Armee über den Bericht des BAST beraten wird.