Die V-Strategie des Pentagon
Sind Syrien und Iran draußen?
Versuchen die USA noch einmal die Wende im Irak mit mehr Soldaten? Seit den Kongresswahlen, die als Referendum gegen das bisherige Vorgehen der USA im Irak verstanden wurden, war in Washington viel von einer „frischen Perspektive“ in der Irakpolitik die Rede, ein Wechsel wurde gefordert. Die Spekulationen über den künftigen Kurs gingen meist von einer Truppenreduzierung aus. Nach neuesten Berichten erwägt Präsident Bush, offensichtlich darauf bedacht, das Heft in der Hand zu behalten, auch eine ganz andere Option: einen letzten großen "Push" mit größerer Truppenstärke.
Spekulationen darüber, wie die frische Perspektive auf den Fortgang der Irakpolitik aussehen möge, konzentrierten sich in den letzten beiden Wochen auf die Empfehlungen der Irak Study Group, die für Dezember erwartet werden. Die Mehrheit der politischen Beobachter ging davon aus, dass die Empfehlungen den künftigen Kurs der Regierung Bush prägen würden und dass sie als zentralen Punkt die allmähliche Reduzierung der amerikanischen Truppen im Irak präsentieren würden.
In den letzten Tagen tauchten allerdings auch Berichte auf, wonach sich der Präsident und seine Berater bei der Suche nach neuen Optionen nicht ausschließlich auf die Erkenntnisse der Baker-Hamilton-Kommission aka Iraq Study Group stützen wolle. Man werde auch Expertisen von Militärs und Einschätzungen von Regierungsstellen miteinbeziehen: Hinweise darauf, dass Bush sich das Heft in der Außenpolitik nicht so leicht aus der Hand nehmen lassen will.
Erhärtet werden sie nun durch aktuelle Informationen des Guardian. Demnach sollen Vertreter des Pentagon die Iraq Study Group beraten und mit einem Strategiepapier für einen Sieg im Irak aufwarten. Vier Säulen soll die im Pentagon entwickelte „Victory Strategy“ haben: Die Verstärkung der amerikanischen Truppen im Irak, um Bagdad zu sichern, eine verstärkte Kooperation mit Ländern in der Region, verstärkte Versöhnung zwischen Sunniten, Schiiten und anderen sowie eine Aufstockung der Mittel zur Ausbildung und Ausrüstung der irakischen Sicherheitskräfte.
Zusätzliche 20.000 Soldaten würden nach Informationen von Regierungs-Insidern anvisiert. Diese Zahl nannte gestern auch der amerikanische Top-Commander im Irak, General Abizaid bei seiner Aussage vor dem Kongress-Komitee für Armed Services, das für die Weichenstellung der weiteren Irakpolitik eine wichtige Rolle spielt (- und angesichts der neuen Mehrheitsverhältnisse ein zentrales Forum für die Irakpolitik der Demokraten ist). Abizaid wollte eine größere Truppenverstärkung nicht auschließen, betonte aber, dass dies langfristig nicht möglich wäre - aus Mangel an Personal („American military stretched too thin“). Abizaid betonte aber gleichzeitig, dass eine Verstärkung von Bodentruppen seiner Ansicht nach im Irak nur wenig Wirkung zeigen würde und zudem die Glaubwürdigkeit der irakischen Regierung unterminieren könnte.
Nach dem Rücktritt von Rumsfeld, der sich zum Ärger mancher Generäle immer wieder gegen Truppenverstärkungen ausgesprochen hat, ist anscheinend für manche Militärs auch der Weg für diese Optionen frei, ansonsten würde sich Abizaid nicht so deutlich dagegen aussprechen.
Kernpunkt Israel-Politik
Bemerkenswert ist auch der zweite Punkt der V-Strategie der Berater aus dem Pentagon: die verstärkte Kooperation mit Ländern aus der Region. Als wirklich neues Element der Irakpolitik wurde in der letzten Zeit diskutiert, dass die US-Regierung mit Syrien und Iran verhandeln solle. Der Schlüssel zur Stabilität im Irak liege in diesen Nachbarländern, vor allem in Iran. Dieser Gedanke taucht nicht nur bei einschlägigen Kommentaren auf, er zeigte sich auch bei den Vorschlägen, die der englische Premierminister Tony Blair vor zwei Tagen der Iraq Study Group unterbreitete. Im neuen Strategiepapier, so die Informationen des Guardian-Journalisten Simon Tisdall, würde zwar die „diplomatische, finanzielle und wirtschaftliche Einbindung“ von befreundeten Ländern wie Saudi Arabien und Kuwait betont, Gespräche mit Syrien und Iran sind dagegen umstritten.
Für Bush sind Gespräche mit Teheran und Damaskus heikles Terrain. Was Blair in seinem Vorschlag als Kern setzte, dass der israelisch-palästinensische Konflikt am Anfang einer Politik der Wende im Irak stehe, lauert nämlich auch im Hintergrund der Bedingungen, die Syrien und Iran als Voraussetzungen für Verhandlungen nannten. Zwar signalisierte beide Länder Bereitschaft zu Verhandlungen mit den USA, aber beide wollen auch etwas davon haben. Die vage Aussicht darauf, dass sich die Verhältnisse im Nachbarland Irak stabilisieren könnten, genügt ihnen als Lockmittel für Gespräche nicht.
Ahmadinedschad fordert eine Verhaltensänderung: Wenn die amerikanische Regierung ihr Verhalten ändere, dann sei Teheran zu Gesprächen bereit. Konkret heißt das wohl, die Bush-Regierung müsste ihre elementare Bedingung für eine Aufnahme von Gesprächen fallen lassen: den Stopp der Urananreicherung. Bush hält nach wie vor an dieser Bedingung fest, wie er auch in den letzten Tagen betonte. Das ist für Teheran unakzeptabel. Die „frische Perspektive“ einer neuen Irak-Politik scheint, was die Einbeziehung des Iran anbelangt, schnell an alte Grenzen zu stoßen.
Iran will Urananreicherung ausweiten
Zumal in den letzten Tagen bekannt wurde, dass Iran die Urananreicherung ausweiten will und dass die Atombehörde IAEA Spuren von Plutonium und hochangereicherten Uran in einer iranischen Anlage gefunden haben soll. Zudem lehnt Teheran derzeit eine stärkere Zusammenarbeit mit Vertretern der IAEA zur Überprüfung seines Nuklearprogramms ab, solange die Angelegenheit im Sicherheitsrat verhandelt wird. Das nährt natürlich die Zweifel an den Plänen Teherans - in der Regierung Bush, besonders bei den Falken, und in Israel, dem engsten Verbündeten der USA in der Region. Kaum vorstellbar, dass Bush derzeit oder irgendwann seine Forderung nach einem Stopp der Urananreicherung fallen lassen wird.
Der US-Präsident kann keine Politik machen, die gegen die Sicherheitsinteressen Israels gerichtet ist. Nicht von ungefähr sprach Bush an dem Tag, als er die Iraq Study Group traf, woher ja bislang der stärkste Impuls zu Gesprächen mit Iran herrührte, auch mit dem israelischen Ministerpräsidenten Olmert, der dieser Entwicklung eher argwöhnisch gegenüberstehen dürfte.
Man darf gespannt sein, welchen Kurs Bush zwischen der "Skylla" der neuen Irakpolitik, die ein Engagement mit Iran fordert, und der „Charybdis“ seiner Israelpolitik, die auf Konfrontation mit Iran setzt, finden wird.
Dass auch die Bedingungen, welche Syrien an das Gesprächsangebot stellt, letztendlich auf Forderungen hinauslaufen, die mit der israelischen Politik zu tun haben, zeigt sich zwar nicht explizit, ist aber auch kein Geheimnis. Nach Informationen von John Landis, der aus Damaskus bloggt sind die Möglichkeiten von Präsident Assad, der Gesprächsbereitschaft signalisierte, sehr beschränkt, da eine starke Fraktion in seiner Regierung, ermutigt durch die Hisbullah-Erfolge im Libanonkrieg, den günstigen Moment ausnutzen will, um den „Druck auf Israel zu erhöhen“. Glaubt man den aktuellen Aussagen eines „Top- Vertreters“ des amerikanischen Außenministeriums, wendet sich die Stimmung dort ohnehin gegen Gespräche mit Syrien.