Die Vereinten Nationen erreichen Hollywood

Die heimliche Hauptdarstellerin im Kinofilm "Die Dolmetscherin" ist die UNO, sekundiert vom Internationalen Strafgerichtshof

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Die UNO und der UN-Generalsekretär Kofi Annan haben ein "Schreckensjahr" hinter sich. Im Irak-Krieg wurde die Weltorganisation von der US-Regierung und den Briten links liegen gelassen und marginalisiert. Aber auch das jetzige 60. Gründungsjahr scheint die Wende zum Guten nicht zu bringen. Untersuchungen des Öl-für-Nahrung-Programms bringen Vetternwirtschaft und Regelverstöße ans Licht, Berichte von sexuellem Missbrauch von Minderjährigen durch UN-Blauhelme im Kongo erweisen sich als zutreffend, die Sanierung des baufälligen UN-Hauptgebäudes wird weiter verzögert und die UN-Mitgliedsländer sind über die Reform der Organisation und ihren Zeitplan zerstritten und in zwei Lager gespalten. Zu allem Überfluss will US-Präsident George W. Bush den neokonservativen UN-Gegner John Bolton zum neuen US-Botschafter bei den Vereinten Nationen ernennen. Mit dem am 21. April angelaufenen Kinofilm "Die Dolmetscherin" erhält die UNO nun populären Beistand. Der Film rangiert in den USA, England und Deutschland ganz vorne in den Kinocharts.

In "Die Dolmetscherin" ist die Hauptdarstellerin die UNO. Bild: Universal Pictures

Für den Dreh ist es dem Regisseur Sydney Pollack ("Jenseits von Afrika") erstmals gelungen, was schon Alfred Hitchcock 1959 versagt wurde - die Erlaubnis für Aufnahmen im UN-Hauptquartier in New York zu erhalten. Über einen ehemaligen US-Senator hatte Pollack Kofi Annan kontaktiert und sein Anliegen vorgestellt. Es dürfte nicht besonders schwer gewesen sein, Annan von den Vorteilen eines UN-freundlichen Hollywood-Streifens zu überzeugen.

Wir unterhielten uns lange über die Aussage des Films und wie Worte gegenüber Gewalt obsiegen. Nachdem man mich zu Annan vorgelassen hatte, war die Genehmigung schnell in der Tasche.

Sydney Pollack in einem Interview

Neben Sean Penn und Nicole Kidmann ist die UNO der heimliche Hauptdarsteller. Schon die ungewohnten Einblicke in das UN-Gebäude bis hin zum Saal der UN-Generalversammlung dürften der UNO bei vielen Zuschauern zu manchem Glanz verhelfen:

Vergessen Sie alles, was Sie bisher über die UN wussten. Vor allem die Versammlungshalle versprüht ein gewisses Flair, sie gleicht einer Melodie. Als Nicole Kidman und Sean Penn ihre Szenen dort drehten, war es, als ob der Raum als dritter Protagonist mitmischen würde,;;Sydney Pollack

Die Handlung dreht sich um die UNO-Dolmetscherin Silvia Broome (Kidman), die aus dem fiktiven afrikanischen Staat Matobo stammt und inzwischen in New York arbeitet. Der gealterte Staatschef des Landes, Zuwani, hat sich vom antikolonialistischen Revolutionshelden zu einem korrupten Diktator gewandelt, dem schwerste Menschenrechtsverletzungen und Völkermord vorgeworfen werden. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen erwägt, den Internationalen Strafgerichtshof mit der Angelegenheit zu betrauen. Allein die USA sperren sich noch dagegen.

Um sich zu verteidigen, kündigt der Despot eine Rede vor einer in wenigen Tagen zusammentretenden UN-Vollversammlung an. Etwa zur gleichen Zeit hört Broome im UN-Gebäude zufällig ein Gespräch mit, in dem zwei Verschwörer vermeintlich über ein Attentat auf den Präsidenten Matobos sprechen. An Bundesagenten Tobin Keller (Penn) liegt es nun herauszufinden, was am Mordkomplott dran ist. Um jeden Preis muss die Sicherheit des Staatschefs und der Diplomaten im UN-Gebäude gewährleistet werden. Durch ihre Vergangenheit in Matobo sieht sich die UN-Angestellte Broome bald selbst Ermittlungen ausgesetzt. Gleichzeitig wird ihr von unbekannten Afrikanern nachgestellt und die Exilopposition in New York in die Sache verwickelt.

Sean Penn in "Die Dolmetscherin". Bild: Universal Pictures

Zimbabwe als Vorlage

In seinen politischen Aussagen zeigt sich der Film hoch aktuell und engagiert. Seine besondere Wirkung entsteht gerade durch die Kombination der Bilder aus dem UN-Gebäude und seiner mehr oder weniger sublimen Botschaft. Ohne Schwierigkeiten ist zu erkennen, dass mit Matobo das unter Robert Mugabe leidende Zimbabwe gemeint ist.

Der Film fällt genau in das Unabhängigkeitsjubiläum. Vor 25 Jahren schüttelte Zimbabwe als letztes afrikanisches Land nach Jahren des Freiheitskampfes eine unterdrückerische, weiße Minderheitsregierung ab. Der viel gepriesene Held der Zeit: Robert Mugabe. Von Mugabes Ruhm ist schon lange nichts mehr übrig. Bereits in den 1980er Jahren schlug seine Präsidentschaft in Staatsterror um. Erst im März hat Mugabe und seine Regierungspartei Zanu-PF bis zu eine Million Stimmzettel erfunden, um den Sieg zu sichern – bei nur etwa 5,8 Millionen Wahlberechtigten.

Der oberste Gerichtshof ist praktisch entmachtet, die Medien zum Schweigen gebracht. Mugabe hat es geschafft, aus der "Kornkammer Afrikas" ein auf Lebensmittelhilfen angewiesenes Armenhaus zu machen. Die Inflation ist unkontrolliert, Menschenrechtsverletzungen, Mißwirtschaft und Korruption an der Tagesordnung. Der Fall Zimbabwe ist auch deswegen besonders tragisch, weil er das Versagen der Afrikanischen Union (AU) bei der "Renaissance" des Kontinents verdeutlicht, bei der "Good Governance" eine so große Rolle spielen soll. Weder Südafrikas Präsident Tabo Mbeki, noch die AU sind in der Lage, sich von Mugabe zu distanzieren. "[Mbekis] stille Diplomatie [...] ist so still, daß nicht einmal die Protagonisten selbst sie hören können", kritisierte die FAZ.

Nicole Kidman in "Die Dolmetscherin". Bild: Universal Pictures

Zimbabwe arbeitet in der aus 15 Staaten bestehenden AU-Kommission mit, die sich der Aufgabe angenommen hat, die beiden afrikanischen Kandidaten für den UN-Sicherheitsrat auszuwählen. Ausgerechnet Zimbabwe war im April außerdem unter den Ländern, die von den afrikanischen UN-Mitgliedern aus ihrer Mitte für eine weitere dreijährige Periode in die UN-Menschenrechtskommission entsandt wurden.

Der Internationale Strafgerichtshof

Die International Bar Association, der internationale Zusammenschluss von Juristen aller Professionen, hat schon im März 2003 gefordert, dass die erste Amtshandlung des neu gewählten Anklägers des Internationalen Strafgerichtshofes (Der Internationale Strafgerichtshof nimmt seine Arbeit auf) die Einleitung von Ermittlungen gegen Robert Mugabe sein müsse. Da Zimbabwe die Zuständigkeit des Gerichtshofes wohlweislich nicht anerkennt, ist dies allerdings nur möglich, wenn der UN-Sicherheitsrat den Fall überweist.

Genau das nun passiert in "Die Dolmetscherin" im Hinblick auf Mugabes alter ego. In den Verwicklungen des Films bekommt Broome zuletzt die Gelegenheit, den auch ihr verhassten Diktator Zuwani zu töten. In einer pathetischen Szene entscheidet sie sich anders. Nachdem das ganze Drama aufgelöst ist, wird zum Abschluss des Films verkündet, dass der UN-Sicherheitsrat einstimmig beschlossen habe, die Situation in Matobo an den Internationalen Strafgerichtshof zu verweisen. Die Gerechtigkeit kann damit ihren Lauf nehmen, Diplomatie siegt über Gewalt.

Stimmung in den USA auf der Kippe

Die Botschaft des Films erschöpft sich nicht in der Parallele zwischen Matobo und Zimbabwe. Sehr zum Leidwesen neokonservativer Amerikaner nimmt Pollack mit seiner Rahmenhandlung auch die US-Regierung aufs Korn. Diese sträubte sich bislang kategorisch, den Internationalen Strafgerichtshof anzuerkennen. Doch seit dem Folterskandal von Abu Ghraib vor einem Jahr steht die Stimmung zunehmend auf der Kippe. Zunächst zeigte sich das in der internationalen Diplomatie.

Nach Abu Ghraib war die US-Regierung nicht in der Lage, zum dritten Mal eine Immunitätsregelung durch den UN-Sicherheitsrat zu boxen, mit der US-Amerikaner in UN-Einsätzen weiterhin vor einem Zugriff des ICC geschützt worden wären – die Resolution hätte trotz aller Bemühungen die erforderliche Mehrheit verfehlt. Aber auch innenpolitisch gerät die Frage in Bewegung. Nachdem die US-Regierung und der US-Kongress die Menschenrechtsverbrechen in der Darfur-Region im Sudan zutreffend als Völkermord qualifiziert haben, wurden die Stimmen immer lauter, die Verantwortlichen des nordsudanesischen Regimes vor ein internationales Gericht zu stellen. Gänzlich unerwartet ließ die US-Regierung schließlich eine Resolution des UN-Sicherheitsrates passieren, mit der die "Situation" in Darfur an den Internationalen Strafgerichtshof verwiesen wird. Damit hat sie den seit 1998 verfolgten Kurs des kategorischen Widerstands erstmals aufgegeben und die Idee eines neuen, nur auf den Sudan gemünzten Ad-Hoc-Tribunals begraben.

Dieser Schritt entspricht den Ergebnissen von Meinungsumfragen in den USA. Bei einer am 1. März veröffentlichten Erhebung des Council on Foreign Relations und dem Program on International Policy Attitudes der Universität Maryland gaben 60 Prozent der Befragten an, dass der Internationale Strafgerichtshof mit dem Völkermord im Sudan befasst werden sollte. Bei der Worldviews-Umfrage 2002 gaben 76 Prozent an, dass sich die USA dem Internationalen Strafgerichtshof anschließen sollte. Wenn es allerdings darum geht, dass sich US-Amerikaner wegen Kriegsverbrechen vor dem ICC verantworten müssen, liegt die Zustimmung nach einer Umfrage des Pew Global Attitudes Project vom Juni 2003 bei nur 37 Prozent – selbst wenn die US-Regierung die Verbrechen selbst nicht verfolgen würde.

Konservative werden nervös

Die Frage scheint also nicht entschieden zu sein. Umso wichtiger ist die Aufnahme des Internationalen Strafgerichtshofes in die Rahmenhandlung von Pollacks Film. Konservative Kommentatoren in den USA sprechen jedenfalls von "politischer Propaganda, um das Image der Vereinten Nationen zu fördern und die USA wegen ihrer Opposition gegen den Internationalen Strafgerichtshof schlecht aussehen zu lassen." Sean Penn habe schon gegen den Irak-Krieg opponiert und Nicole Kidman sei sowieso Goodwill-Botschafterin der UNO. Leni Riefenstahl hätte die UN-Propaganda nicht besser machen können, so eine andere Polemik.

Die Nervosität ist verständlich. Mit dem Film "Die Dolmetscherin" erreicht die Debatte um den Internationalen Strafgerichtshof den Kino-Mainstream. Zwar wird das Gericht im ganzen Film überhaupt nur zwei Mal erwähnt. Doch das ist den Kritikern in den USA schon zwei Mal zu viel.