"Die Vermutung, der Giftanschlag auf Nawalny sei ohne Wissen Putins erfolgt, ist wenig plausibel"

Seite 3: "Der Mossad ist eine stille Hausmacht in Europa"

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In Israel kursiert der Witz, dass es ein Vorurteil ist, dass in Europa jede Jüdin und jeder Jude oder jede/r mit historisch jüdischem Namen für das "Institut", das Mossad, arbeitet … in Wirklichkeit sei es nur jede/r Zweite/r. Was macht das Mossad in Ihren Augen so effektiv und gefürchtet? Vielleicht auch die eher intellektuelle Tradition, aus dem es entstand - gegründet von vielen Akademikern aus dem jüdischem Untergrund in Europa, die etwa in den Nakam-Einheiten dienten, in Israel auch bekannt als "lange Kerls"?

: Der Nimbus des Mossad resultiert aus der verschworenen Gemeinschaft der Männer und Frauen, die seit der Unabhängigkeit Israels im verdeckten oder offenen Kampf gegen feindselige arabische Nachbarn standen. Ob es nun in Europa jeder zweite oder gar nur jeder zweihundertste Mensch jüdischen Glaubens ist, der zu den unbezahlten Unterstützern des "Instituts" zählt, ist eine müßige Zahlenspielerei. Fakt ist, dass es diese stille Hausmacht gibt und zwar schon vor dem Fall der Mauer auch in Osteuropa, namentlich in Polen, wo sich Geheimdienstler jüdischen Glaubens angesichts des grassierenden Antisemitismus zum Überlaufen bewegen ließen. In den letzten Jahren hat der Mossad allerdings an Qualität verloren, wie sich an einer Reihe gescheiteter Operationen ablesen lässt. Ursächlich dafür ist vor allem die Politisierung des Dienstes durch Benjamin Netanjahu.

Was zeichnet in Ihren Augen die Effektivqualität der russischen Geheimdienste aus? Kann die CIA da nicht mehr mithalten? In den Fällen Assange und Snowden sieht die CIA ja bis heute alt aus …

Erich Schmidt-Eenboom: Auch der russische Inlandsnachrichtendienst FSB und der Auslandsnachrichtendienst SWR kochen nur mit Wasser, allerdings nach einem ausgesprochen viel längeren Kochkurs als die westlichen Kollegen, mehr im Kollektiv und mit deutlich längerem Atem bei nachrichtendienstlichen Operationen. Ihr gegenwärtiger Hauptvorteil liegt jedoch darin, dass sie im geheimdienstorientierten Kreml auf eine ähnliche Denkungsart und offene Ohren stoßen.

Und die US-Dienste?

Nach dem nachrichtendienstlichen Versagen von CIA und NSA bei der Vorwarnung der Terroranschläge von 9/11 sind die US-Dienste massiv gestärkt worden. Sie verfügen über die größten Finanzmittel weltweit, den mit Abstand größten Personalbestand und die allermodernste Technik. Das Problem, das dadurch verschärft wurde, war das Informationsmanagement für das gigantische geheimdienstliche Informationsaufkommen. Die Bedarfsträger im Weißen Haus und den Ministerien rechtzeitig und zielgenau zu unterrichten, überstieg häufig die Kompetenz der Dienste.

Mit Donald Trump als Präsidenten trat eine Lähmung der Apparate ein. Er wollte die CIA wieder auf die Schulbank verweisen, weil ihre Analysen allzu oft im Widerspruch zu seinem Tunnelblick stehen.

Die Leaks durch Assange und Snowden hat die CIA nicht zu verantworten, vielmehr gehen die Whistleblower zu Lasten des Militärs und der NSA. In Mitleidenschaft gezogen wurde die Agency dennoch.

Glauben Sie, Snowden war schon auf Hawaii ein russischer Agent … wie etwa Ex-BfV-Chef Maaßen annimmt?

Erich Schmidt-Eenboom: Glaubensfragen sind mir fremd und ich fremdele auch mit Geheimdienstchefs, die ohne jeden Beweis "Annahmen" in die Welt setzen.

Klare Fronten gibt es nicht in der Welt der Geheimdienste und der Nachrichtendienste … zusammengearbeitet wird mit jeder und jedem, der Informationen hat. Gelten in dieser Parallelwelt noch zivilisatorische Mindeststandards?

Erich Schmidt-Eenboom: Diese These ist mir zu pauschal. Die Intensität der Zusammenarbeit mit fragwürdigen Partnerdiensten variiert stark. Sie wird allerdings kaum von moralischen Standards bestimmt, sondern von den nationalen Interessen und von der Nützlichkeit für die eigene geheime Beschaffung. Darüber hinaus gehört zum Selbstverständnis von Nachrichtendiensten die Aufgabe, selbst dort Gesprächskanäle und Kontaktmöglichkeiten offen zu halten, wo für eine Regierung offizielle Beziehungen wegen der Verwerflichkeit des Gegenübers nicht in Betracht kommen.

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