Die Vogelgrippe und der Schutz des geistigen Eigentums
Sollte eine für den Menschen gefährliche Epidemie ausbrechen, so könnte etwa das Medikament Tamiflu von Roche manches Leben retten, wenn es in ausreichender Menge und hinreichend billig auch in Entwicklungsländern zur Verfügung stünde
Bislang sind an der Vogelgrippe 62 Menschen, die eng mit Vögeln zusammen lebten, weltweit gestorben, alle in asiatischen Ländern. Mittlerweile wird berichtet, dass die Vogelgrippe nicht nur in fünf europäischen Ländern durch Vögel eingeschleppt wurde, sondern dass sich womöglich auch drei Franzosen aus La Reunion auf einem Asienurlaub in einem Vogelzoo damit angesteckt haben könnten. Noch aber ist der Erreger, das H5N1-Virus, nicht zu einem gefährlichen Virus geworden, der sich von Mensch zu Mensch verbreiten könnte.
Die Wahrscheinlichkeit, dass der Erreger zu einem gefährlichen menschlichen Grippevirus mutiert, wird unterschiedlich hoch eingeschätzt, aber die Möglichkeit besteht, zumal wenn mehr Menschen vom Vogelgrippevirus befallen werden. Sollte eine Epidemie ausbrechen, so wären die gefährlichsten Regionen die armen Länder in Asien und vor allem in Afrika, die keine ausreichenden Präventionsmaßnahmen getroffen haben und/oder dies mangels Ressourcen nicht können.
Einen gewissen Schutz für Menschen könnte das von dem Pharmakonzern Roche hergestellte Tamiflu bieten. Auch die gewöhnlichen Schutzimpfungen können, bis ein spezifischer Impfstoff entwickelt wurde, das Immunsystem stärken. Doch beides kostet Geld, was viele Länder und Menschen nicht haben, während in den reichen Ländern beispielsweise Tamiflu bereits gehortet wird. Der Hersteller kann die durch Angst und Vorsorgemaßnahmen gestiegene Nachfrage gegenwärtig nicht erfüllen, auch wenn die Produktion bis nächstes Jahr verzehnfacht werden soll, und will das Medikament nun bis zum Beginn der Grippezeit nicht mehr für Privatkunden auf den Markt bringen.
Um eine mögliche gefährliche Grippeepidemie einzudämmen, müssten nicht nur die Menschen in den reichen Ländern, sondern besonders auch die in armen Ländern durch Impfungen oder Medikamente geschützt werden. Dafür aber würden die Produktionskapazitäten nicht zur Verfügung stehen, Medikamente wie Tamiflu wären besonders bei einem Ausbruch der Epidemie für viele zu teuer, besonders wenn Nachfrage und Angebot weit auseinander klaffen. Roche verspricht allerdings, Lizenzen an Unternehmen und Regierungen zu vergeben, um einer Unterversorgung zu begegnen, und das Unternehmen erklärt, dass Patente einer Produktion eines generischen Medikaments nicht im Wege stehen würden.
In Taiwan und in Indien wird überlegt, das Patent aufzuheben. Unternehmen wie Cipla wollen ein generisches Medikament entwickeln und auf den Markt bringen. Allerdings hat das Unternehmen auch bei Roche angefragt, ohne dass es offenbar bislang zu einer Einigung gekommen ist. Cipla will schon ab Februar das Medikament anbieten. Der Hauptwirkstoff Oseltamivir stammt aus dem Sternanis (Illicium verum), der nur dann wirksam ist, wenn die Pflanze aus China und Vietnam kommt. Hier gibt es bereits wegen der großen Nachfrage Lieferengpässe.
Zwangslizenzierung von Tamiflu – aber unter welchen Bedingungen?
Mit der möglicherweise drohenden Grippeepidemie steht daher wieder einmal das Problem des geistigen Eigentums zur Debatte. Auch eine Sublizenzierung des Patents könnte das teure Medikament – in Deutschland etwa 33 Euro – für viele Menschen in den armen Ländern unerschwinglich bleiben lassen, wenn nicht die Möglichkeit gewährt würde, generische Medikamente auf den Markt zu bringen, oder wenn armen Ländern günstige Lizenzen angeboten werden. Wäre das Medikament schlicht zu teuer, so könnten bei einem Ausbruch der Epidemie Millionen von Menschen sterben. UN-Generalsekretär Kofi Annan hatte bereits davor gewarnt, dass das Patentrecht nicht „den allgemeinen Zugang zu Medikamenten behindern“ dürfe.
Dieser Forderung haben sich nun Politiker auf einem Treffen der Gesundheitsminister aus aller Welt in Ottawa angeschlossen. Dabei ging es um die globale Vorbeugung gegen die Vogelgrippe und um die Notwendigkeit, dass bei einem Ausbruch, solange ein Impfstoff nicht entwickelt wurde, Medikamente wie Tamiflu – das Patent läuft erst 2016 aus - für die Menschen zur Verfügung stehen müssten. Die Gesundheitsminister von Mexiko und Thailand schlugen vor, dass die reichen Länder 10 Prozent der eingekauften Medikamente für die Entwicklungsländer zur Verfügung stellen Aber dafür erhielten sie keine Zustimmung.
Der mexikanische Gesundheitsminister Julio Frenk schlug überdies vor, Ländern wie Mexiko, Indien oder China, die in der Lage wären, solche Medikamente wie Tamiflu herzustellen, die Technik zur Verfügung zu stellen, um eine ausreichende Versorgung garantieren zu können. Der kanadische Gesundheitsminister Ujjal Dosanjh erklärte, dass er der Forderung zustimme, dass ein technischer Transfer gewährleistet sein müsse, um die Menschen schützen zu können. Das aber sei ein "Euphemismus für die Lockerung der Patentgesetze". Es gebe Länder wie Indien, in denen die Regierungen die Patente umgehen könnten: "Darüber können wir nicht urteilen, wenn Menschen sterben." Roche warnt natürlich davor, eine generische Version ohne Lizenz herzustellen, da man dazu ein bestimmtes Wissen benötige, das nur im Konzern vorhanden sei.
Die WTO räumt seit 2001 im TRIPS-Abkommen die Möglichkeit ein, dass Regierungen unter bestimmten Bedingungen beschließen können, auch gegen den Willen des Patentinhabers eine Lizenz für die heimische Produktion eines Medikaments zu gewähren. 2003 wurde dies auch für Länder geregelt, die nicht selbst generische Medikamente herstellen können, sondern sie aus Ländern importieren müssen, die eine solche Zwangslizenzierung vorgenommen haben. In einer Notsituation muss dazu nicht erst versucht werden, die Zustimmung des Patentinhabers zu erlangen, um für eine beschränkte Zeit ein Medikament herzustellen, aber es müssen "vernünftige wirtschaftliche Bedingungen" eingehalten werden, also eine angemessen Bezahlung erfolgen. Die Höhe der Lizenz ist aber genau die Hürde.
Sollte tatsächlich eine Epidemie ausbrechen, dann wird es auch interessant zu beobachten sein, ob die Abkommen zum geistigen Eigentum eingehalten und wie die reichen Länder sich in einer solchen Situation verhalten werden. Anders als bei alltäglichen und schleichenden Infektionen wie Aids oder Malaria die trotz vorhandener Medikamente aufgrund des Preises weiterhin vielen Menschen das Leben kosten, würde eine Grippeepidemie ähnlich einer plötzlichen Naturkatastrophe das moralische Problem mit ganz anderer Eindringlichkeit stellen. Zumal die Epidemie in den reichen Ländern im Unterschied zu denen in Südostasien wohl gut eingedämmt werden kann.